Beschimpfungen, Schläge, Schreie – und mittendrin die Kinder. Im Kanton Basel-Stadt muss die Polizei im Durchschnitt einmal pro Tag wegen häuslicher Gewalt ausrücken. Nicht selten bei solchen Fällen Kinder involviert. Gemäss dem Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) erleben pro Monat rund 20 Kinder einen Polizeieinsatz bei sich zu Hause.
In der Hälfte der Fälle häuslicher Gewalt sind Kleinkinder, die selbst keine Hilfe holen können, direkt betroffen oder Zeugen. «Zwischen 2012 und 2014 waren durchschnittlich in rund 57 Prozent der Fälle Kinder im Haushalt gemeldet», sagt JSD-Sprecher Toprak Yerguz. Der Anteil der Kinder, die in den Polizeirapporten auftauchen, sei auch deshalb so hoch, «da in den entsprechenden Familien meist mehrere Kinder leben», so Yerguz weiter.
Stiftung will handeln
Die Christoph Merian Stiftung (CMS) sieht Handlungsbedarf und will sich künftig intensiver mit dem Thema «Gewalt an Kindern» beschäftigen, wie ihrem neu lancierten Magazin «Radar» zu entnehmen ist. Geplant ist in einem ersten Schritt ein Runder Tisch mit dem Kinderschutz Schweiz, dem Marie Meierhofer Institut für das Kind und der Paul Schiller Stiftung. Dies, um den Handlungsbedarf «zu identifizieren und bedarfsgerechte Projekte abzuleiten».
Für nähere Informationen zum Projekt sei es zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh, da man erst mit den Planungen angefangen habe, sagt CMS-Sprecher Toni Schürmann.
KESB wird eingeschaltet
Vergangenes Jahr wurden in Basel-Stadt gemäss der Kriminalstatistik 707 Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt begangen (ganze Schweiz: 17’685).
«Diese Zahl stellt nur die Spitze des Eisbergs dar. Es wird aufgrund verschiedener Studienergebnisse davon ausgegangen, dass die polizeilich registrierten Fälle häuslicher Gewalt weniger als fünf Prozent des Phänomens beleuchten, das in unserer Gesellschaft quer durch alle Bevölkerungsschichten verbreitet ist», sagt Yerguz.
Wird eine konkrete Kindsmisshandlung gemeldet oder von der Polizei festgestellt, wird die Staatsanwaltschaft aktiv. Dies komme zum Glück jedoch selten vor: Nur ein kleiner Teil der Kinder sei direkt von körperlicher Gewalt durch einen Elternteil betroffen. Spuren psychischer Gewalt seien bei einem Polizeieinsatz allerdings nur selten offen sichtbar, sagt Yerguz. Aber: «Auch wenn die Kinder keine offensichtlichen Spuren von Gewalt aufweisen, wird eine Meldung an die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde sowie an den Kinder- und Jugenddienst gemacht, damit diese abklären können, ob das Kindswohl gefährdet ist.»
Denn Kinder seien von Gewalt gegen ihre Eltern immer existenziell betroffen, auch wenn sie selbst keine Schläge abbekommen würden. «Ein von Gewalt und Angst geprägtes Umfeld kann sich negativ auf die Entwicklung der Kinder bis hin ins Erwachsenenalter auswirken», sagt Yerguz.
Kinder versuchen zu schlichten
Birgit Sachweh erlebt als Leiterin des Frauenhauses beider Basel aus nächster Nähe mit, wenn Frauen und Kinder von häuslicher Gewalt betroffen sind. Letztes Jahr mussten 67 Frauen und 56 Kinder wegen ihrer prekären Lage ins Frauenhaus flüchten.
«Viele Frauen kommen mit ihren Kindern zu uns», sagt Sachweh. «Die Kinder, die hier auftauchen, sind in der Regel sehr durcheinander, ängstlich und unruhig.»
Häufig würden die Kinder bei einem Streit dazwischengehen und versuchen, zu deeskalieren und die Mutter zu schützen. «Somit werden die Kinder auch manchmal geschlagen. Viele Mütter sagen uns, dass die Gewalt nicht vor den Kindern stattgefunden habe. Wir stellen in Therapien jedoch immer wieder fest, dass die Kinder doch viel mitbekommen haben – zum Beispiel, wenn sie die dramatische Situation nachspielen.» Oft würden Kinder die Gewalt aber auch akustisch miterleben – oder aufgrund der schlechten Verfassung der Mutter.
«Gerade Babys spüren es, wenn die Mutter unruhig ist – das kann Unsicherheiten auslösen», sagt Sachweh. Für die Frauenhausleiterin ist unbestritten: Auch wenn Kinder nicht direkt von häuslicher Gewalt betroffen sind – indirekt sind sie es immer.