Der Schlagzeuger Bölle Börlin, einst Mitglied der jüngsten Basler Beatband, blickt mit einer Biografie auf ein halbes Jahrhundert als Musiker zurück.
Es ist DAS Jubiläum in diesem Sommer: In Sondersendungen und mehrseitigen Artikeln berichten die Medien über den Beginn einer Ära, die von «Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll» geprägt wurde: 50 Jahre Rolling Stones. Am 12. Juli 1962 hatte die Band ihren ersten Auftritt im Marquee-Club in London, im selben Jahr, in dem die Beatles mit ihrer ersten offiziellen Single «Love Me Do» die Hitparaden stürmten.
Die Beatles sind längst Geschichte, die Rolling Stones gibt es heute noch – zu Legenden wurden beide Bands. Und darüber hinaus trafen sie das Lebensgefühl ihrer Generation, sie wurden zu Idolen von Millionen Jugendlicher auf der ganzen Welt. Auch in der Schweiz.
Einer von ihnen ist der Schlagzeuger Hans-Peter Börlin, genannt Bölle. Auch Bölle Börlin kann auf eine halbes Jahrhundert als Musiker zurückblicken, und das tut er mit einer musikalischen Biografie, die er auf vier CDs pressen liess.
Kleinbasler Teenager träumten
Genau genommen sind es erst 49 Jahre her, seit der Kleinbasler zusammen mit seinen Schulkollegen Claude Pfau, Roger Vogel und Wolfgang Scherrer (später wurde dieser zunächst durch Felix Thommen, dann durch Hans-Peter Feuz abgelöst) die Band The Typhoons gründete. Aber man soll das nicht zu pingelig sehen, auf ein Jahr mehr oder weniger kommt es nicht an, um ein paar Jahrzehnte Basler Musikgeschichte zu beschreiben.
Bölle Börlin trug die Idee, seine Erinnerungen zusammenzufassen, schon länger mit sich herum. «In erster Linie für meine Kinder und Enkelkinder», sagt er. Und dann ergab sich die Gelegenheit, in einem Studio die Aufnahmen zu machen. Bölle ging an die Arbeit, wühlte in den Archiven und suchte Musikstücke heraus, die er als Ergänzung zum Gesprochenen auf der CD haben wollte. Alles andere war in seinem Kopf gespeichert.
So erzählt Bölle, als ob es erst gestern gewesen wäre, wie ein paar Kleinbasler Teenager davon träumten, dass sich Plattenfirmen um sie reissen und kreischende Fans ihnen zujubeln würden. Es gab dann tatsächlich ein paar Momente, in denen sie glaubten, der Traum werde Wirklichkeit.
Schuld ist die Hazy-Osterwald-Show
Bölle kam 1949 im Kleinbasel zur Welt. Er war ein schmächtiges Bürschchen, zudem hatte er eine verkrümmte Wirbelsäule. Seine Mutter inklusive das Krankenhauspersonal hätten nicht geglaubt, dass er durchkomme, sagt Bölle. Doch sein Vater gab nicht auf, er habe ihn Tag und Nacht durchgeschöppelt, «er hat mir das Leben gerettet».
Der Vater war es auch, der ihn auf das Schlagzeug brachte. Der Drummer in der Hazy-Osterwald-Show, die das Schweizer Fernsehen Anfang der 60er jeweils samstags sendete, imponierte dem kleinen Bölle. Das blieb dem Vater nicht verborgen. «Du Hampe», habe er eines Tages zu ihm gesagt, «das wäre doch was für dich.» Die kommenden vier Jahre nahm dann Hampe, der von seinen Kollegen Bölle genannt wurde, in der Musikschule von Coop Schlagzeug-Unterricht.
Proben mit der Frittierpfanne
Der Vater hatte recht gehabt, das war sein Ding – und dass er bei der Gründung der Typhoons im Jahr 1963 noch kein eigenes Schlagzeug besass, hielt ihn nicht von seiner Leidenschaft ab. Eine ausgediente Frittierpfanne musste anfangs für die Proben im Keller herhalten – die Pfanne selbst als Trommel, das Frittiernetz als Becken. Erst nach einem Sommerferien-Job bei Migros kaufte er sich ein Occasion-Schlagzeug. Mächtig stolz sei er gewesen, sagt Bölle. Aber es fehlte der Band immer noch einiges an Material, um gross herauszukommen. Zum Beispiel Verstärker.
Beim ersten Auftritt, den die Typhoons im Horburgpark hatten, improvisierten sie mit Radios aus den elterlichen Stuben. Selbstverständlich ohne Wissen der Eltern. «Und damit es auch das Publikum nicht merkte, deckten wir die Radios mit Tüchern zu.»
Das Konzert, erzählt Bölle, sei ein Riesenerfolg gewesen. Das Publikum habe gejubelt, sogar die Zeitungen hätten darüber geschrieben. Von der «jüngsten Basler Beatband» und den «aufsteigenden Kinks von Basel». «Wir dachten», sagt Bölle, «jetzt haben wirs. Bald fahren wir wie die Beatles im Rolls-Royce.»
«Beat nach der Kirche»
Es folgten weitere Konzerte in Basel. Zum angesagten Ort für die lokale Beatgeneration wurde das Kino Union neben der Matthäuskirche. Nach dem Konfirmationsunterricht durften dort die jungen Basler Bands, von denen es inzwischen einige gab, auftreten.
«Beat nach der Kirche» hiess diese Konzertreihe, und Bölles Vater, der eine kleine Druckerei besass, druckte die Flyers dazu. Später stellte der Kinobesitzer auch den Abend, wenn die Filmvorführung beendet war, für Konzerte zur Verfügung. Sogar die Kinks, damals mit «You Really Got Me» in den Hitparaden, seien im Union aufgetreten.
Zwei Jahre nach ihrer Gründung änderten die Typhoons ihren Namen in The Countdowns – sie hatten erfahren, dass es in England bereits eine Band namens Typhoon gebe – und Werner Kestenholz, ein weiterer Kleinbasler Jugendlicher, wurde zum Manager erkoren. Dank seiner Schlitzohrigkeit kamen die Countdowns zu zwei Auftritten in der Beatsendung «Hits à Gogo» im Schweizer Fernsehen. Und mit «Vacation» und «Sexmaniac» landete die Band sogar kleine Hits innerhalb der nationalen Musikszene.
Ein Jahr später, 1967, schienen die Countdowns nur noch ein paar Meter vom Gipfel des Ruhms entfernt. Als erste Schweizer Band reisten die 18-jährigen Basler nach London, um eine Platte aufzunehmen. Kestenholz hatte ein Studio davon überzeugen können, damit «the best rock band of Switzerland» unter Vertrag zu haben.
Den Auftritt des Lebens verpasst
Es ist nicht so sehr das Ergebnis dieses einwöchigen London-Aufenthalts, das den 62-Jährigen beim Erzählen wieder in einen schwärmerischen Teenager verwandelt, sondern das, was er und seine Freunde dabei erlebt haben. Vor allem, was ihm, Bölle Börlin, widerfahren ist.
Es sei nicht alles verraten, was er auf den CDs ausführlich beschreibt, nur das: Bölle hätte die Gelegenheit zum Auftritt seines Lebens gehabt. Und zwar in einem Club, wo eine Jam-Session mit Eric Clapton und Jack Bruce von den Cream sowie Jimi Hendrix und dem Drummer Mitch Mitchell stattfand – die jungen Basler waren auf Empfehlung ihres Tontechnikers dort.
«Plötzlich nahm Mitchell das Mi-krofon und rief: ‹We have a Swiss drummer here, Mr. Berlin, come, play with us›. Mich, dr Bölle, het schier dr Schlag troffe.» Er habe keinen Mucks von sich gegeben, Mitchell rief nochmals nach ihm. Doch Bölle versteckte sich hinter einer Säule. «Das werde ich wohl mein Leben lang bereuen.»
Filmmusik für «Unruhige Töchter»
Immerhin, zwei Stücke konnten die Countdowns in London verewigen sowie die Erinnerung an den phänomenalen Empfang vom Schweizer Fernsehen und von kreischenden Teenies auf dem Basler Flughafen. «Das ist der Durchbruch, dachten wir.»
Ein paar weitere Konzerte sollten den Countdowns noch dieses Gefühl vermitteln, etwa als sie in Glattbrugg als Vorband von Casey Jones spielten und ihnen die weiblichen Fans vor lauter Begeisterung die BHs zuwarfen, oder als sie für den ersten Schweizer Erotikfilm «Unruhige Töchter» die Musik beisteuerten. Doch der ganz grosse Ruhm blieb aus, der Geldsegen auch.
Musik ist seine Sucht
In den 70ern eroberte der Monumental-Rock die Konzertbühnen und verdrängte den schlichten, frechen Beat, wie die Countdowns ihn gespielt hatten. Aus den jugendlichen Träumern wurden erwachsene Männer mit familiären und beruflichen Verpflichtungen. Auch Bölle heiratete, wurde Vater von vier Kindern und verdiente den Lebensunterhalt nicht als Rockmusiker, sondern in seinem gelernten Beruf als Drucker. Aber am Schlagzeug sass er weiterhin.
«Die Musik ist meine Sucht, ohne sie kann ich mir das Leben nicht vorstellen.» Zeitweise spielte er für vier Bands gleichzeitig, die namhafteste unter ihnen ist Ertlif, die 1970 gegründet und schnell einmal als Basler Supergroup gehandelt wurde. Die Band gab insgesamt sechs Alben heraus, einige von ihnen werden heute als Raritäten gehandelt. Bei den Ertlif mit ihrem typischen 70er-Jahre-Sound kam Bölle endlich auch zu einem mehrminütigen Schlagzeugsolo.
Als echter Kleinbasler trommelte Bölle Börlin selbstverständlich auch für die Fasnacht, verschiedentlich am Charivari. 24 Jahre lang war er aktiv in der Wettsteinclique.
Groupies wärmten sein Bett
Doch es kam die Zeit, in der sein von Geburt an geschädigter Rücken nicht mehr mitmachte. Bölle versorgte sein Schlagzeug im Keller, die Stöcke jedoch, die liegen nach wie vor auf seinem Nachttisch. Und nach wie vor ist er zur Stelle, wenn junge Rockbands ihn um Rat fragen.
Ansonsten sitzt er täglich in seiner Stammbeiz, im «Sängerstübli» in Riehen, und schwelgt in den Erinnerungen an eine Zeit, in der hin und wieder Groupies sein Bett wärmten und er fast einmal mit den ganz Grossen der Rockmusik auf einer Bühne gestanden wäre.
Und die anderen älteren Herren, die ihm zuhören, nicken und erzählen ihrerseits mit glänzenden Äuglein von den legendären Konzerten, an denen sie waren – Jimi Hendrix, The Who, Pink Floyd –, nur über Groupies im Bett schweigen sie sich aus. Das war Bölle Börlins Privileg.
- Musikalische Biografie von Hans-Peter (Bölle) Börlin, Fr. 40.–, erhältlich ab August bei Bider&Tanner, Basel.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13.07.12