In Sulzburg ist der Wald noch so, wie er sein muss: dunkel und einsam

Etwa 70 Prozent Sulzburgs sind bewaldet. Wem die Natur nicht reicht, der findet auch Geschichte. Aber auch hier ist leider nicht alles nur Idylle.

Ach, wie schön ist die Fahrt durchs Markgräflerland. Jetzt aber schön wieder auf die Strasse schauen.

(Bild: Andrea Fopp)

Etwa 70 Prozent Sulzburgs sind bewaldet. Wem die Natur nicht reicht, der findet auch Geschichte. Aber auch hier ist leider nicht alles nur Idylle.

Die Bäume ziehen links und rechts vorbei, dunkel die Douglasien, mit hellgrünen Spitzchen, dazwischen Laubbäume, mit deren Namen ich nicht auftrumpfen kann, weil sie nicht angeschrieben sind (die Douglasien schon). Ein oranger Schmetterling fliegt vorbei, zwei Eichhörnchen jagen sich um den Stamm, ein Bach glitzert im Moos.

So muss Wald sein, dunkel, kühl, feucht und vor allem: einsam. Vier Stunden bin ich unterwegs und treffe niemanden. Wie immer verlaufe ich mich, denn in Gedanken versunken, verpasse ich den Wegweiser. Das Handy hilft nicht weiter, kein Empfang, also zurück bis zur letzten Markierung.  

Beige Shorts, karierte Hemden

Dafür bin ich hergekommen, um mich zu verlieren und wiederzufinden. Okay, eigentlich nur, um mich wiederzufinden. Im Wald geht das, aber ein richtiger Wald muss es sein, nicht so ein ausgedünnter wie der Allschwiler, wo du alle zwei Meter einen Menschen oder Hund triffst.

Jetzt nur nicht pathetisch werden, schnell vorwärtsspulen weg vom Selbstfindungstrip hin zu allem, was ich über Sulzburg nie wissen wollte. Das idyllische Städtchen hat nämlich auch für solche, die ein Touristenprogramm brauchen, allerhand zu bieten – das sieht man an den vielen Seniorinnen und Senioren in beigen Shorts und karierten Hemden. 

Der Kapuzenpulli lächelt

Sie gruppieren sich um die Café-Tische auf dem Marktplatz und bestellen Käsekuchen und Schwarzwäldertorten. Da kommen zwei Jungs mit Baseballcaps, sie schlendern die Hauptstrasse hoch und runter, hoch und runter. Dann ein Teeniemädchen im schwarzen Kapuzenpulli, aus dem tätowierte Arme ragen. Sie schaut finster, ich lächle – sie lächelt zurück, und ich habe eine Freude. 

Es hat also doch junge Leute in diesem Städtchen. «Das sind die Kinder aus dem SOS-Kinderdorf», klärt mich ein Franzose auf, er setzt sich neben mich und raucht. Es hat ihn vor Jahrzehnten in den Schwarzwald verschlagen, der Liebe wegen. Die Liebe ist weg, aber er ist geblieben, wegen der Natur und den tiefen Mieten. «Und weil sich alle grüssen hier, alle.» Aber die einen lieber als die anderen. «Es gibt Dorfbewohner, die das nicht so gut finden mit dem Kinderheim.»

Traurige Stolpersteine

Es ist bestimmt ein grosses Opfer, seine Stadt mit Kindern zu teilen, die nichts und niemanden haben. Der Franzose wackelt mit dem Kopf: «Komm.» Er führt mich die Hauptstrasse entlang und bleibt vor zwei silbernen Platten stehen, die im Boden eingelassen sind. «Hier wohnte Elise Bloch. Deportiert 1940. Mehrfach interniert, befreit/überlebt.» Es sind Stolpersteine, die ersten wurden auf Initiative des Berliner Künstlers Gunter Demnig gelegt, sie erinnern an das Schicksal der Juden in Sulzburg.

Die ersten Juden kamen Anfang des 16. Jahrhunderts in das Städtchen, weil sie in Freiburg nicht geduldet waren. Hier konnten sie bleiben, mussten aber «Schutzgeld» zahlen, bis zu 40 Gulden pro Person plus Naturalien. Obendrauf kämpften sie bis ins 20. Jahrhundert dafür, dass ihre Kinder die gleichen Ausbildungen machen und dieselben Berufe ausüben durften wie die Christen.

Dann kam der Zweite Weltkrieg. Am 22. Oktober 1940 deportierten die Nazis alle Juden Sulzburgs ins Internierungslager Gurs im Südwesten Frankreichs, die meisten starben dort. Diejenigen, die überlebten, mussten in ein Vernichtungslager nach Polen. Die Synagoge in Sulzburg zerfiel und wurde erst 1980 restauriert. Der jüdische Friedhof blieb erhalten. 

Danke und Amen

Wie jetzt zur nächsten Sehenswürdigkeit überleiten, ohne herzlos zu sein?

Machen wirs kurz und schmerzlos: Das Bijou Sulzburgs ist die frühromanische Kirche St. Cyriak, sie soll bereits 993 bestanden haben. Der heutige Kirchturm stammt aus dem 11. Jahrhundert und gilt als der älteste erhaltene Kirchturm Südwestdeutschlands. Im Hauptbau weisse Wände, um die Tor- und Fensterbögen aufgemalte Streifen in Orange, Gelb und Blau. Eine Decke aus Holz. So schlicht, so schön. Eine Besucherin schrieb ins Gästebuch: «Wir danken Gott für diese wunderbare Kirche.»

Die einen gehen in den Wald, die anderen in den Tempel. Und wenn sie dabei ihren Seelenfrieden finden, haben auch die Kinder etwas davon.

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