Integration wäre anders

Im Rahmen des zehnjährigen Jubiläums der Fachstelle «Gleichstellung und Integration von Menschen mit einer Behinderung» haben Behinderte und Nicht-Behinderte Texte zum Thema vorgelesen. Wir haben sie ergattert und publizieren nun den dritten.

Thomas Brunnschweiler arbeitet in der Kreativwerkstatt am Bürgerspital und hat persönliche Psychiatrieerfahrung. (Bild: Markus Inderbitzin)

Im Rahmen des zehnjährigen Jubiläums der Fachstelle «Gleichstellung und Integration von Menschen mit einer Behinderung» haben Behinderte und Nicht-Behinderte Texte zum Thema vorgelesen. Wir haben sie ergattert und publizieren nun den dritten.

Thomas Brunnschweiler studierte Germanistik und Theologie. Er ist freischaffender Schriftsteller und Journalist und arbeitet in der Kreativwerkstatt. Sein Bezug zum Thema Behinderung ist neben seiner Arbeit, dass auch er persönliche Psychiatrieerfahrung hat.

Integration wäre anders

«Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwächsten»
 Schweizer Bundesverfassung

Die grossen Verteilkämpfe haben längst begonnen, auf allen Gebieten; auch der Kampf um die mediale Aufmerksamkeit. Früher wurden Menschen mit Behinderung physisch an den Rand der Städte verbannt. Ein Symbol dafür ist noch die ehemalige «Milchsuppe», die heute als Bürgerspital Basel ein hochprofessioneller Betrieb ist. Keine Frage: Menschen mit Behinderung geht es heute in der Schweiz generell besser als anderswo. Sie werden betreut und verwaltet – aber ansonsten ziemlich totgeschwiegen. Medial stehen sie am Rande.

Allenfalls sind in den Medien gut aussehende, kraftstrotzende Paraplegiker im Rennrollstuhl präsent, die an den Paralympics eine Medaille gewonnen haben. Bezeichnend ist, dass das Schweizer Fernsehen zu bester Sendezeit ein Grüppchen – um es mit einem Kölner Ausdruck zu sagen – «positiv Bekloppter» gerade in einen Zoo steckt, wo sie den Tierchen die Ställe ausmisten dürfen. Da wird eine den Jöh-Effekt heischende Situation inszeniert. Dabei gibt es im echten Leben wesentlich Authentischeres.

Markus Buchser ist wohl einer der besten Art brut-Künstler Europas; er arbeitet in der Kreativwerkstatt Bürgerspital Basel. Er hat den Lothar-Späth-Förderpreis in Deutschland erhalten, hat bereits im Haus der Kunst in München ausgestellt. In der Schweiz hat er bezeichnenderweise noch keinen Preis erhalten. Als im Jahre 2012 die UPK eine grosse Ausstellung von ihm präsentierte, berichtete keine Zeitung darüber. Das grösste Gratisblatt in Basel gab die Rückmeldung, man habe im Frühjahr schon etwas über einen Rollstuhlfahrer gebracht, jetzt im Herbst schon wieder etwas mit einem Behinderten, das sei doch etwas viel. Und der Redaktor einer Tageszeitung winkte ab mit dem Hinweis auf den Ort der Ausstellung; die UPK scheint offensichtlich so etwas wie ein Ort höchster Ansteckungsgefahr zu sein, deren Besuch man keinem Leser zumuten darf.

«Die Gesellschaft schafft es nicht, Menschen eine Plattform zu geben, die nicht als sogenanntes ‹Humankapital› angepriesen werden können»

Für mich ist Markus Buchser ein spannender Zeitgenosse, der es trotz einer leichten geistigen Beeinträchtigung vom Knecht zum Kunstmaler gebracht hat. Seine persönliche biografische Leistung ist für mich erheblich grösser als etwa die von Paris Hilton, die sich ihren Ruhm erkaufen musste. «Paris Hilton» hat bei Google 63 Millionen Treffer, «Markus Buchser Kreativwerkstatt» hingegen nur deren 970. Würde die Quantität die Qualität abbilden, müsste Paris Hilton über 64‘000 Mal wichtiger sein als Buchser.

Das Musiktheater «Hamlet», das von einer Gruppe der Kreativwerkstatt in zweijährigen Proben erarbeitet und im Rahmen des Wildwuchs-Festivals gezeigt wurde, bewegte und begeisterte das Publikum. Der Event wurde medial in der Region ignoriert. Nur ein Regionalblatt berichtete darüber, und dies nur, weil ich dort freier Mitarbeiter bin.

Die Zeitungsmacher sagen: Unsere Leser wollen mit dem Thema Behinderung nicht konfrontiert werden. Bekannte, die ich auf den Problemkreis anspreche, sagen: Ich würde gerne mehr über solche Menschen lesen, das ist doch spannender als Cüpli schlürfende Promis. Aber die Medien werden durch Mehrheitsmeinungen und Umfragewerte geleitet, nicht durch irgendwelche antiquierten Werte. Wer ist da behindert? Menschen mit einer geistigen, körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung? Oder ist es nicht gerade die Gesellschaft, die es nicht schafft, Menschen eine Plattform zu geben, die nicht als sogenanntes «Humankapital» angepriesen werden können? Wie soll man Menschen mit Behinderung integrieren, wenn sie aus dem Bewusstsein ausgespuckt werden?

Ich nenne dies «die mediale Diskriminierung von Menschen mit Behinderung». Der Verteilkampf um die Aufmerksamkeit tobt. Die Opfer des Ausschlusses häufen sich. Das Klima wird kälter. Offiziell gibt es in der Schweiz keine mediale Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Aber wie schrieb doch der weise Kurt Marti schon vor Jahren: «Es gibt in der Schweiz keine Zensur, aber sie funktioniert vortrefflich.»

Dies war der letzte Text, der am Jubiläum der Fachstelle gelesen wurde, und den wir veröffentlichten. Herzlichen Dank an die drei Schreibenden, die uns ihre Texte zur Verfügung gestellt haben!

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