Eine linksextreme Gruppe hat die Verantwortung für die Ermordung zweier Mitglieder der neonazistischen Partei Chryssi Avgi übernommen. Damit verstärken sich Befürchtungen über eine neue Spirale politisch motivierter Gewalt in Griechenland.
In einem am Samstag veröffentlichten Manifest übernahm die zum ersten Mal in Erscheinung tretende Gruppe «Kämpfende revolutionäre Volkskräfte» die Verantwortung für den Doppelmord an zwei Anhängern der Chryssi Avgi. Der Anschlag vom 1. November im Norden Athens wird im Schreiben als direkte Vergeltungstat für den Mord am linken Musiker und Aktivisten Pavlos Fyssas im September bezeichnet.
Damit bestätigte sich der Verdacht der griechischen Behörden, die kaltblütige und professionell durchgeführte Tat vor einem Parteibüro der neonazistischen Partei habe einen politisch motivierten Hintergrund gehabt.
Symbolisch aufgeladen
Das Datum der Veröffentlichung ist nicht zufällig gewählt: Am Sonntag jährte sich zum vierzigsten Mal der Studentenaufstand gegen die Militärjunta, der blutig niedergeschlagen wurde und das Ende der Diktatur einleitete. Der 17. November gilt seither als ein quasi-Nationalfeiertag und hat grosse symbolische Bedeutung im griechischen Nationalbewusstsein als Tag gegen den Faschismus und für die Wiederherstellung der Demokratie.
In den letzten Jahrzehnten ist darum ein regelrechter Märtyrerkult entstanden, der Ausdruck der links-rechts-Polarisierung in Griechenland ist. Dieser hat sich mit dem Eintritt Griechenlands in die EU und dem Ende des Kalten Krieges zwar abgeschwächt, ist aber immer noch vorhanden.
Die «Theorie der zwei Extreme», die die Regierung Samaras als Mahnung vor der (linken wie auch rechten) Opposition anführt, zielt letztlich auf die gesellschaftlichen Ängste vor einer erneuten gewaltsamen Austragung ideologischer Differenzen, die in Griechenland eine lange Tradition haben.
Klassenkampf und politische Gewalt
Das 18-seitige Manifest steht gemäss Aussagen der griechischen Polizei inhaltlich und in der Wortwahl in der Tradition früherer Untergrundorganisationen, die in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich im Grossraum Athen für politische Attentate verantwortlich waren. Gemäss einer ersten Textanalyse mutmassen die Behörden, dass es sich hinter der neu in Erscheinung getretenen Gruppe um «alte Bekannte» handeln könnte.
So finden sich im Manifest rhetorische und ideologische Gemeinsamkeiten mit Veröffentlichungen älterer Gruppen, die in der Tradition der alles überschattender Revolutionäre Organisation 17. November stehen, oder zumindest Abspaltungen von dieser. Diese formierte sich nach dem erwähnten Studentenaufstand von 1973 und zog während fast drei Jahrzehnten eine blutige Spur durch das Land.
Ideologisch vertrat sie eine Mischung von Marxismus und Nationalismus und grenzte sich von ebenfalls gewalttätigen, anarchistischen Gruppen ab, die hauptsächlich nihilistische und eher chaotische Pamphlete rausgaben.
Sammelbecken des Faschismus?
Das Manifest geht allerdings über Kapitalismuskritik und Klassenkampfrhetorik hinaus. In einem historischen Rückblick wird die Chryssi Avgi als das momentane Sammelbecken des griechischen Faschismus identifiziert, als Nachkommen der Nazi-Kollaborateure und Anhänger der Militärdiktatur, die eng mit der Polizei verbandelt sind und dank opportunistischer Tolerierung der bisherigen Regierungen unbescholten die griechische Gesellschaft unterwandern konnten.
Entsprechend richte sich der Doppelmord nicht einzig gegen die Chryssi Avgi, sondern auch gegen die Polizei, den Staat und allen Bürgern, die in den Wahlen für sie gestimmt hätten. Der Aufstieg von Chryssi Avgi, so die Schlussfolgerung, sei eben kein Produkt der Krise, sondern ein integraler Teil der griechischen Gesellschaft, der in den letzten zehn Jahren durch politische Schützenhilfe und wirtschaftliche Unterstützung griechischer Grossunternehmer schrittweise gestärkt wurde.
Fragile gesellschaftliche Balance
Das Bedenklichste an diesem Manifest ist wohl die Tatsache, dass es für griechische Ohren weit weniger radikal klingt als für mittel- oder nordeuropäische. Die letzten fünf Jahre der Rezession nagen unerbittlich am Zusammenhalt eines Volkes, der die Lasten des 20. Jahrhunderts noch immer mit sich rumträgt und eine gesellschaftliche Versöhnung nie wirklich erreicht hat.
Die Eingliederung in die EU und in die Eurozone, sowie die generell starke pro-europäische Stimmung in Griechenland, waren denn auch nie einzig von ökonomischen Gedanken getrieben, sondern dienten ebenfalls zur Eindämmung der eigenen Dämonen.
Der Boden für Radikalisierung jeglicher Art ist in Griechenland momentan ziemlich nahrhaft. Die Wirtschaft im freien Fall, steigende Steuerabgaben und Lebenskosten, exorbitante Arbeitslosenraten und eine Regierung, die für viele nicht mehr als eine Marionette der internationalen Geldgeber ist: Politische Orientierungslosigkeit und gesellschaftliche Spannungen nehmen stetig zu.
Eine auf den Strassen ausgeführte, blutige Auseinandersetzung zwischen Extremisten ist gerade das Letzte, was sich die griechische Gesellschaft leisten kann.