Die Schuldenberatungsstelle Plusminus ist zehn Jahre alt geworden. Ein Grund zum Feiern ist das eigentlich nicht.
Die Frau weint und schluchzt. Aber an Tränen hat sich Michael Claussen längst gewöhnt. Seit zehn Jahren sitzt der Stellenleiter von Plusminus Menschen gegenüber, die in ihrem Leben kaum noch einen Ausweg sehen. Ihr Problem türmt sich dann auf seinem Schreibtisch: Mahnungen, Betreibungen. Manchmal liegt unter dem Berg unbezahlter Rechnungen auch bereits ein Pfändungsbescheid.
Für einige ist der Gang zu Plusminus der Anfang auf dem Weg aus der Überschuldung, für die meisten beginnt aber nur der Lernprozess für ein Leben in Schulden. 316 überschuldete Baslerinnen und Basler hat Plusminus 2011 beraten und betreut, nur bei 67 war der Sanierungsplan erfolgreich. Aber es geht bei der Schuldenberatung nicht nur um die grossen Würfe, sagt Claussen. «Wir helfen, die Lebensqualität zu verbessern, zu verhindern, dass die Leute weiter in Schulden rutschen.»
Im Durchschnitt haben die Klienten von Plusminus Schulden von 56 000 Franken. Allein das Steueramt wartet auf über 6,5 Millionen Franken von ihren Klienten. Entgegen der weitverbreiteten Meinung sind nicht etwa Kreditkarten und Konsumkredite das grösste Problem, sondern das Steuersystem. Claussen: «Wir leben und geben Geld in der Gegenwart aus, aber Steuern bezahlen wir für die Vergangenheit.»
Gefährdete Jungfamilien
Gerade junge Leute unterschätzen die Steuern, weil sie erst eineinhalb Jahre nach dem ersten Lohn ins Haus flattern. Die Schuldenberatungsstellen plädieren deshalb dafür, dass die Steuern laufend vom Lohn abgezogen werden wie bei Ausländern mit B-Aufenthaltsbewilligung. «Wir haben kaum Klienten mit B-Bewilligung.»
In die Überschuldung kann jeder geraten, sagt Claussen. Besonders betroffen sind junge Familien, die die Kosten für ein Kind unterschätzen, und Paare, die sich trennen. «In Basel leben nach meiner Schätzung 20 bis 30 Prozent in relativer Armut und sind überschuldungsgefährdet.» 20 Prozent der Bevölkerung besitzen Konsumkredite oder Leasing-Verträge, die auch als klassische Schuldenfallen gelten, und 20 Prozent haben Steuerrückstände. «Und es gibt eine Schnittmenge, die beides haben. Die leben am Limit.»
Den Schulden können Depression und Sucht folgen. «Die Leute haben das Gefühl, Versager zu sein», sagt Claussen. Dann ist nicht nur Budget-planung gefragt, sondern auch hoffnungsvolle Worte. Selbst wenn sich dann Steuerschulden so hoch wie das Münster türmen, trocknen die Tränen – zumindest für eine Weile.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.09.12