Ein neues Gütesiegel soll die pädagogische Qualität in Krippen verbessern helfen. Nicht alle Betreiberinnen sind begeistert.
Die Abstimmung über den Familienartikel ist vorbei, das Resultat bekannt: Die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit wird nicht in der Verfassung festgeschrieben. Doch die öffentliche Diskussion um die behördlichen Auflagen für Kinderkrippen, die den Abstimmungskampf prägte, geht unvermindert weiter. «Krippen-Bürokraten verbieten Kindern das Küssen», ereifert sich der «Blick», von einem «Berg von Regulierungen» schreibt die «NZZ am Sonntag» und auch der «Tages-Anzeiger» berichtet von «Vorschriften und Vorurteilen», die den Krippenunternehmerinnen die Arbeit erschwerten. Gleichzeitig arbeiten der Branchenverband Kitas und die Jacobs Foundation intensiv an einem Zertifizierungsverfahren für ein Label, um die Qualität der Kindertagesstätten zu verbessern. Da stellt sich die Frage: Gibt es nun zu viele Auflagen oder zu wenige?
Mehr als eine Kinderhüeti
Es brauche vor allem andere, sagt Thomas Jaun, Präsident beim Netzwerk Kinderbetreuung Schweiz und Schulleiter der Höheren Fachschule für Kindererziehung in Zug. Jaun findet die Aufregung über die Anforderungen an die Infrastruktur «eine ideologisch gefärbte Diskussion». Eine Diskussion auch, die vom Wesentlichen ablenke.
Der Fokus müsse viel stärker auf die pädagogische Qualität gerichtet sein. Eine Kita sei schliesslich mehr als eine Hüte- und Verpflegungseinrichtung. Sie soll besonders für Kinder, die regelmässig mehr als einen Tag wöchentlich dort verbringen, «ein Ort der Anregung und Förderung sein», sagt Jaun. Und, um diesem Missverständnis vorzubeugen: «Es geht dabei keineswegs um schulische Bildung, sondern, wenn Sie so wollen, um Menschenbildung.»
Das Qualitätslabel setze deshalb klar auf Kriterien, die für die Entwicklung der Kinder förderlich sind. Und zudem sei es ein Instrument, das auch den Kitas selber helfe, sich weiterzuentwickeln.
Gutes Konzept reicht nicht
Um das Label zu erhalten, reicht es allerdings nicht, ein gutes pädagogisches Konzept vorzuweisen, es kostet auch etwas. Man befinde sich noch in der Pilotphase, erklärt Alexandra Güntzer, Medienverantwortliche bei der Jacobs Foundation, auch, was die Finanzierung betreffe. «Wir gehen momentan davon aus, dass je nach Grösse durchschnittlich zwischen 1000 und 1500 Franken Kosten pro Jahr für eine Kita anfallen.»
Im April startet das Pilotprojekt mit 50 ausgewählten Kitas, mit denen das Zertifizierungsverfahren getestet wird, im September soll das Label offiziell lanciert werden. Güntzer sagt, bei den Kita-Betreiberinnen, die bei der Pilotphase mitmachen wollten, «herrschte reger Andrang», gemäss dem Verband Kitas bewarben sich «über 100».
Wie eine Umfrage bei diversen Krippenleiterinnen ergeben hat, wollen aber noch einige zuwarten, bis die Pilotphase abgeschlossen ist und sie mehr darüber wissen. Die einen, vor allem kleinere, erklären ihre Zurückhaltung mit den Zusatzkosten und ihren eh schon knappen Finanzen. Bei einer der grösseren Trägerschaften in der Region Basel heisst es, was die pädagogischen Konzepte ihrer Kinderkrippen angehe, gebe es momentan keinen dringenden Handlungsbedarf. «Wir orientieren uns diesbezüglich bereits an den Empfehlungen des Branchenverbands Kitas.»
Trotzdem ist eben diese Trägerschaft, die übrigens nicht genannt werden will, derzeit auch aktiv unterwegs zum Thema «Regulierungs- und Förderstrukturen für Kinderkrippen»: In einem, gemeinsam mit vier anderen Trägerschaften verfassten «offenen Brief» heisst es unter anderem, dass die von den Behörden stark reglementierten Bereiche Personal und Räumlichkeiten 90 bis 95 Prozent des Umsatzes einer Kinderkrippe ausmachten, «so dass auf der Aufwandseite wenig Handlungsspielraum übrig bleibt».
Plätze bleiben rar
Die Briefschreiber kritisieren vor allem «das Verhältnis der Fördermittel im Vergleich zu den regulatorischen Anforderungen». Mit einem Wechsel von der bisherigen Objekt- zur Subjektfinanzierung könnte dieses Verhältnis ausgeglichener werden. Übersetzt heisst das: Betreuungsgutscheine für die Eltern statt Subventionierung von bestimmten Krippenplätzen. So könnten, erklärt eine der Verfasserinnen, die Krippen in diversen Belangen wie Lehrlingsausbildung und Kon-zeptentwicklung zusammenarbeiten. «Das wäre viel effizienter», sagt sie, «und würde mehr Ressourcen für die pädagogische Arbeit freisetzen.»
Die Eltern und ihre Kinder dürfen sich also freuen, dass sich bei der Qualität der Krippen einiges bewegt – nun sollten sie sich nur noch darauf verlassen können, dass sie einen Platz finden, wenn sie einen brauchen.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.03.13