Jugendkultur sucht einen Platz im Leben

Nicht Äusserlichkeiten wie Stil, musikalisches Genre oder Ausdrucksform sind es, die Jugendkultur ausmachen. Es ist die Motivation, die junge Kultur zu Kultur für Junge macht.

Jugendkultur – was heisst das? Kaum ein Jungkünstler würde von sich behaupten, er mache so etwas.

(Bild: Gaspard Weissheimer)

Nicht Äusserlichkeiten wie Stil, musikalisches Genre oder Ausdrucksform sind es, die Jugendkultur ausmachen. Es ist die Motivation, die junge Kultur zu Kultur für Junge macht.

Dieses Wochenende gehört die Stadt der Jugend. Auf vielen öffentlichen Plätzen und in den Strassen und Gassen wird gespielt, getanzt, gelesen, gefeiert. Ein Begriff wird tausendfach genannt werden, auf Hunderten Flyern und Plakaten präsent sein: Jugendkultur.

Ist das eine trennscharfe Kategorie oder bloss eine Floskel? Gelebte Kultur oder unzutreffende Fremdzuschreibung? Pädagogenjargon? Politisches Schlagwort?

Auf jeden Fall ist es ein aufgeladener Begriff, der je nach Adressat Lärmklagen, Förderwillen oder Feierstimmung hervorruft.

Wer seine Bedeutung ausloten möchte, fragt am besten bei Menschen nach, die ihn benutzen. Etwa beim Jugendkulturfestival (JKF), das den Begriff im Namen trägt und dessen Programm folglich ein Abbild der hiesigen und heutigen Jugendkultur sein sollte. Mit sieben Sparten versuchen die JKF-Macher, der grossen Breite des jungen kulturellen Schaffens gerecht zu werden: Musik, Tanz, Film, Literatur, Theater, Sport und freie Projekte. Die letzte Kategorie verrät: Es ist schwierig.

Das JKF wächst mit der Jugend

#daschjugendkultur
Jugendkultur hat 1000 Facetten, die wir allein unmöglich beleuchten können. Deshalb sind wir auf eure Hilfe angewiesen: Wir sammeln unter dem Instagram-Hashtag #daschjugendkultur die besten Bilder vom JKF 2015. Mitmachen und berühmt werden (ein kleines bisschen, vielleicht).

Jugendkultur ist nicht nur enorm variantenreich, sie unterliegt auch einem rasanten Wandel. Das JKF funktioniert deshalb anders als ein konventionelles Festival. Künstler werden nicht gebucht, sie werden dazu aufgerufen, sich selbst anzumelden. Eine Fachjury entscheidet dann über die besten Bewerbungen. «Eine Plattform bereitstellen», wird diese Vorgehensweise im JKF-Büro genannt. Das Resultat ist ein ständig wachsendes und immer bunteres Kulturfestival, das längst nicht mehr nur eine grosse Party in der Innenstadt ist. So haben in diesem Jahr etwa auch die DJs beim JKF den Stellenwert erhalten, den sie in der jungen Musikszene als eigenständige Produzenten abseits vom blossen Liederabspielen längst haben.

Vorstellungen über die Eigenheiten und Merkmale der Jugendkultur finden sich auch bei Institutionen, die sich deren Förderung verschrieben haben. Wer am Geldhahn sitzt, wird eine konkrete Vorstellung davon haben, wohin sein Geld fliessen soll. Der GGG Kulturkick ist eines dieser Angebote. Dort können sich junge Kreative vergleichsweise niederschwellig mit kleineren Geldbeträgen ihre Projekte teilfinanzieren lassen.

Förderinstitutionen vermeiden eine abschliessende Definition dessen, was Jugendkultur ausmacht.

Auch beim Kulturkick werden die unterstützten Projekte in grobe Kategorien eingeteilt, sie entsprechen ungefähr denjenigen beim JKF. Doch der Kulturkick setzt etwas früher an, mit der finanziellen Unterstützung sollen Jugendliche erste Schritte und Experimente im kreativen Schaffen unternehmen können. Die inhaltlichen und qualitativen Ansprüche richten sich nach der Höhe der erfragten Summe, 5000 Franken sind das Maximum. Es werden aber auch Beiträge im Umfang von wenigen Hundert Franken gesprochen, etwa für die Miete von Equipment. Entscheidender als der künstlerische Wert sind beim Kulturkick Eigeninitiative und Engagement.

Ob JKF oder Kulturkick – der Sprachgebrauch seitens der Ermöglicher von Jugendkultur gleicht sich. Der Begriff wird primär dazu genutzt, zu fördern, was junge Kunstschaffende und Kreative gestalten wollen. Beide Institutionen vermeiden eine abschliessende Definition dessen, was Jugendkultur ausmacht. Sie wissen wohl, wie kläglich der Versuch einer solchen Festlegung an der Realität scheitern würde. Also überlassen sie es den Jugendlichen selbst, den Rahmen dieses Begriffes auszufüllen.

Jugendliche machen nicht Jugendkultur, sie machen einfach.

Die Jugendlichen selber können mit dem Begriff wenig anfangen. Junge Künstler nutzen ihn höchstens im Zusammenhang mit den Veranstaltungen und den Fördergeldern, nicht jedoch dann, wenn sie ihre Arbeit beschreiben. Sie machen nicht Jugendkultur, sie machen einfach.

Vielleicht ist es also interessanter zu fragen, was junge, jugendliche Kultur zu junger, jugendlicher Kultur macht. Weshalb soll die Musik einer Rapcrew, deren Mitglieder zwischen 18 und 25 Jahren alt sind, mehr Jugendkultur sein als das dritte Album eines alteingesessenen Basler Rappers? Ist es die Motivation, die hinter dem kreativen Schaffen steht? Sind es die Themen, welche die Kunst prägen?

Aus den vielen Gesprächen, die ich während der Recherche geführt habe, hat sich mir ein Satz besonders eingeprägt. Er stammt von einem jungen Künstler. «Ich will über die Kunst meinen Platz im Leben finden», sagte der junge Mann in seinem Atelier hinter dem Dreispitz. Umgeben von Skizzen, wilden Schnipseln, aufkeimenden Ideen und verworfenen Prototypen.

Wohin gehöre ich? Es ist die Ur-Frage, die sich beim Übergang vom Kind zum eigenständigen Erwachsenen stellt. Die Frage, die – wenn überhaupt – nur durch Experimentieren beantwortet werden kann. Vielleicht ist es also diese drängende Suche, die Jugendkultur auszeichnet. Unabhängig davon, ob Musik, Fotografie, Schreiben oder Skaten den Weg zum Ziel darstellen.

Auch wer konsumiert, ist Teil der Szene

Zwei Zahlen zum JKF sind besonders eindrücklich: 1800 aktive Jugendliche gestalten ein Programm für rund 60’000 (vorwiegend) jugendliche Zuschauer. Diese Zahlen zeigen auf, dass Jugendkultur nicht nur produziert, sondern auch rege konsumiert wird. Die Zahlen erzählen von der hohen Qualität der präsentierten künstlerischen Arbeit. Neben der Suche nach einem Platz im Leben ist dies das zweite, mindestens ebenso wichtige Ziel vieler junger Künstler: Sie wollen etwas schaffen, das junge Menschen zusammenbringt. Etwas, woran Gleichaltrige und Gleichgesinnte Freude haben. Etwas, das gemeinsame Erlebnisse ermöglicht.

Konsumierende Jugendliche tragen somit ebenfalls zur Jugendkultur bei. Sie stellen das Publikum für die Kunst ihrer kreativen Altersgenossen. Und auch das Zusammenkommen, das gemeinsame Feiern ist letztlich eine Suche nach einem Platz im Leben. Während der Kulturschaffende mit seinem Talent vielleicht nach einem Auskommen, nach einer Karriere sucht, sucht der Konsument nach Begegnung, nach Freundschaft und Liebe, nach einem Platz im sozialen Gefüge. Beides sind Aspekte des eigenständigen Lebens, die in jungen Jahren grosse Veränderungen erfahren. Die in dieser Zeit womöglich zum ersten Mal aktiv gestaltet werden.

Nicht Geld ist das Problem, sondern Platz.

Experimentieren, suchen, gestalten, sich engagieren und entscheiden sind die Motive hinter der Jugendkultur, und sie haben etwas gemeinsam. Sie brauchen Platz, um sich entfalten zu können. Einen Raum, der einen Erfolg ebenso erlaubt wie das Scheitern. Bei der letzten Ausgabe des JKF 2013 hat die TagesWoche eine Debatte geführt zur Frage «Wird in Basel genug getan für die Jugendkultur?» Der Tenor: Nicht Geld sei das Problem, sondern Platz. Auch wenn in Basel die Innenstadt alle zwei Jahre für zwei Tage der Jugendkultur gehört, sind Freiräume jeglicher Art rar.

Wer junge Kulturschaffende fördern will, muss ihnen Ateliers, Proberäume und Musikstudios zur Verfügung stellen. Nur so kann etwas entstehen. Wer will, kann das dann Jugendkultur nennen.

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Die TagesWoche hat im Rahmen des JKF 2015 der jungen Kultur und ihren Machern einen Themenschwerpunkt gewidmet. Dazu sind folgende Artikel erschienen:

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