Jugendliche aus Costa Rica jonglieren sich aus dem sozialen Elend

Mit Geldern aus der Schweiz hält der costaricanische Circo Fantazztico Jugendliche in Armenvierteln davon ab, auf die schiefe Bahn zu geraten. Jetzt ist er auf Europatournee und macht bis am Montag einen Zwischenstopp in der Region.

Sich aus dem sozialen Elend herausjonglieren – mit dem Circo Fantazztico in Costa Rica ist das möglich. Für zehn Tage sind die jungen Artisten in der Schweiz zu Gast.

(Bild: Christian Jaeggi)

Mit Geldern aus der Schweiz hält der costaricanische Circo Fantazztico Jugendliche in Armenvierteln davon ab, auf die schiefe Bahn zu geraten. Jetzt ist er auf Europatournee und macht bis am Montag einen Zwischenstopp in der Region.

Die jungen Artistinnen und Artisten vom costaricanischen Circo Fantazztico fliegen auf der Tribüne mit Leichtigkeit, Eleganz und strahlendem Lächeln hoch in die Lüfte, vollbringen ihre Kunststücke mit schauspielerischer Affinität. Das soll ein Sozialprojekt sein?

Mitleid erregen diese Kinder und Jugendlichen nicht gerade, vielmehr Bewunderung – oder gar Neid. Und doch: Sie sind keine unbeschriebenen Blätter, haben Geschichten. Und zwar solche, wie sie für uns vielleicht nach kitschiger Telenovela klingen, in den Armenvierteln von Costa Rica aber harter Alltag sind. So auch die 18-jährige Artistin Alexandra.

Ihren Vater lernte sie vor zwei Jahren kennen, weil sie ihn auf eigene Initiative suchte. Ihre Mutter hat sie zuletzt vor über zehn Jahren gesehen. Sie emigrierte in die USA, als Alexandra sechs Jahre alt war, lebt da ohne gültige Papiere und kann deswegen nicht in die Heimat zurück. Über das Telefon, später Skype, halten sie die Beziehung aufrecht. «Es ist fast, als sei sie hier bei mir», sagt Alexandra.

Ethnische Durchmischung als Thema in der Manege

Alexandra wuchs bei ihren Grosseltern auf. Als sechsjähriges Mädchen folgte sie ihren beiden älteren Brüdern in den Circo Fantazztico, feilte fortan an ihren Kunsstücken in der Luft und am Boden und hat inzwischen ein beachtliches Niveau erreicht. Dieses Jahr spielt sie die Hauptrolle in «Mandinga», einem Stück, das die 21-köpfige Showgruppe des Zirkusprojekts eigens für die Europatournee konzipiert hat.

Mandinga ist eine Kakerlake, die unter anderen Tieren nach einem passenden Bräutigam sucht – womit auch die kulturelle und ethnische Durchmischung in Costa Rica thematisiert wird. Alexandra gefällt ihre Rolle: «Ich mag die Persönlichkeit von Mandinga. Sie ist sehr stark und weiss, was sie will. Damit kann ich mich gut identifizieren.»

Selbstbewusst sein, das fiel Alexandra als Kind schwer. Sie litt unter der Abwesenheit der Eltern. Und heute? «Der Zirkus hat mich zu einer starken, unabhängigen Person gemacht», sagt sie. Er sei ihre Konstante im Leben, auf die sie sich immer verlassen könne.

Genau darum geht es beim Circo Fantazztico. Jugendlichen wie Alexandra eine Alternative zum Abrutschen in kriminelle Strassenbanden zu geben, zur Perspektivlosigkeit in ihrem schwierigen sozialen Umfeld. Dies gelingt durch die regelmässigen Trainings für den Zirkus.

Das Projekt wird grösstenteils vom kleinen Schweizer Hilfswerk EcoSolidar finanziert. Aus der eigentlichen Projektarbeit hält sich dieses aber raus. Geschäftsleiter André Affentranger sagt: «Wir unterstützen Projekte, die vom lokalen Engagement leben.»

Tolle Show

Bereits zum dritten Mal organisiert EcoSolidar gemeinsam mit dem Circo Fantazztico nun eine Schweizertournee. Davon profitieren beide: Wertvolle Erfahrungen für die Jugendlichen – und fürs Publikum eine tolle Show: «Die Leute sind vom Können und der Arbeitsweise des Circo begeistert», sagt Affentranger.

Das Basler Team von EcoSolidar hatte in den vergangenen Monaten mit der anstehenden Zirkustournee alle Hände voll zu tun. Allen voran Praktikantin Laura Peer: Die Ethnologiestudentin war für den Grossteil der Vorbereitungen zuständig. Sie steht schon seit Monaten in engem Kontakt mit den Jugendlichen und Kindern des Circo und dessen Leiter, dem Österreicher Roland Spendlingwimmer. «Ich lernte die Leute vom Circo übers Telefon immer besser kennen, und nun sind sie endlich da – Wahnsinn!»

Peer wird die Gruppe während der ganzen Schweiz-Tournee begleiten. Und hat sich darauf auch ein wenig vorbereitet: «Ich habe mit den Bällen meines Mitbewohners probiert zu jonglieren – das ist gar nicht so einfach!» Dass sie artistisch nicht ganz mithalten kann, ist ihr völlig klar. «Ich will ihnen einfach eine möglichst tolle Zeit ermöglichen», sagt sie.

Migration als wichtiges Thema für die Jugendlichen

Die 23 Jugendlichen, die in der Schweiz auf Tournee gehen, repräsentieren nur einen kleinen Teil des Projekts. Insgesamt trainieren rund 250 Kinder und Jugendliche aus San Isidro im Circo. Die meisten kommen aus Familien, in denen illegale Arbeitsmigration Alltag, ein Visum für Europa jedoch kaum vorstellbar ist. 

Dadurch wird den Jugendlichen, die mit dem Zirkus reisen, eine privilegierte Rolle in ihrem Umfeld zuteil. André Affentranger von EcoSolidar sagt: «Eine kritische Auseinandersetzung der jungen Artisten mit dem Thema Migration ist wichtig. Auf der Tournee wird viel über das Leben hier in Europa gesprochen – über die Klischees und das, was die jungen Leute hier tatsächlich erleben.»

Alexandra ist dieses Jahr bereits zum zweiten Mal mit dem Zirkus in der Schweiz. Auf der letzten Reise war sie acht Jahre alt. «Ich könnte mir gut vorstellen, später eine Ausbildung an einer Zirkusschule in Europa zu absolvieren», sagt sie, «deshalb freue ich mich sehr, schon einmal einen Augenschein von der Kultur hier zu nehmen.» Doch sollte sie irgendwann einmal zum Leben nach Europa kommen, ist Alexandra überzeugt, dann nicht aus der Not heraus, sondern als Künstlerin.

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Vom 12. bis 20. September 2015 tritt der costaricanische Kinder- und Jugendzirkus Circo Fantazztico bei seiner Europatournee in Arlesheim, Basel, Bern und Uster auf. Am Samstag, 12. September, um 19.00 Uhr ist Premiere in Arlesheim. Der Eintritt ist gratis, freie Platzwahl. 

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