Jungfrauen in Muttenz

Fünf von ihnen gelten der Bibel als klug, fünf andere als töricht: zwei der zehn Jungfrauen sind in Muttenz zu sehen.

(Bild: Martin Stohler)

Am Eingang der Abdankungshalle von Muttenz ist eine kluge und törichte Jungfrau zu sehen. Die beiden stehen in einer 2000-jährigen Tradition. Geschaffen hat sie der Baselbieter Künstler Fritz Bürgin.

(Bild: Martin Stohler)

(Bild: Martin Stohler)

Es gibt Bilder, deren Gehalt sich uns ohne Weiteres erschliesst. Bei anderen dagegen müssen wir mit dem Kontext vertraut sein, damit wir ihre Bedeutung verstehen. Die Sgraffiti der beiden jungen Frauen, mit denen wir uns in dieser «Zeitmaschine» befassen, schmücken den Eingang der Abdankungshalle auf dem Friedhof von Muttenz. Geschaffen hat sie der Baselbieter Künstler Fritz Bürgin (1917–2003) vor gut einem halben Jahrhundert; das genaue Jahr ist mir leider nicht bekannt.

Die beiden jungen Frauen sind sich recht ähnlich. Sie unterscheiden sich allerdings in zwei wichtigen Details. Während die eine uns mit offenen Augen ansieht, ist der Blick der andern gesenkt und sind ihre Augen geschlossen. Bedeutender ist der zweite Unterschied, der sich aus der Art und Weise ergibt, wie die beiden ihre Öllampe halten.
Die Lampen verweisen uns auf den Kontext, in dem wir die zwei jungen Frauen zu sehen haben. Es ist ein Gleichnis, das im Matthäusevangelium (Kapitel 25, 1–13) erzählt wird. Zehn Jungfrauen gehen dem Bräutigam entgegen. Alle haben Lampen dabei, aber nur die fünf klugen haben daran gedacht, auch noch Öl in Krügen mitzunehmen. Als der Bräutigam lange nicht kommt, werden die zehn müde und schlafen ein. Mitten in der Nacht wecken sie laute Rufe: «Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen!» Rasch stehen alle auf und machen ihre Lampen zurecht. Da sagen die törichten Jungfrauen zu den klugen: «Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus.» Die klugen antworten ihnen: «Dann reicht es weder für uns noch für euch, geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht.»

Geschlossenes Tor

Während die törichten Jungfrauen dem vielleicht nicht ganz uneigennützig gegebenen Rat folgen (warum gehen sie nicht im Dunkeln weiter?), kommt unterdessen der Bräutigam und führt die Jungfrauen, die bereit sind, in den Hochzeitssaal. Für die törichten Jungfrauen, die zu spät kommen, bleibt die Türe des Saals geschlossen. Zu ihnen sagt der Bräutigam: «Ich kenne euch nicht.»

Das Gleichnis endet mit der Mahnung: «Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.» Die Botschaft ist simpler als die Geschichte, die sie transportieren soll: Die Gläubigen sollen das «Öl», das sie zu Christinnen und Christen macht, stets bei sich haben – andernfalls kommen sie nicht ins Himmelreich.

Fritz Bürgin hat das wahrscheinlich nicht ganz so eng gesehen. Wie sollen wir die Blumen deuten, die neben dem Fuss der törichten Jungfrau blühen? Hat er hier einen leisen Einspruch angemeldet? Ich habe es leider verpasst, ihn danach zu fragen, als er noch unter uns weilte.

 

 

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