Kaffeeklatsch im Baumwipfel

Bei Bad Ramsach oberhalb Läufelfingens zeigen Baumkletterer aus aller Welt, was sie können, und animieren das Publikum zum Mitklettern. Ein Highlight für Ökolo­gen und Klettermaxe.

«Ich bin schon als Kind immer in Bäumen rumgeklettert.» Heute gehört Anja Erni zu den besten Baumkletterinnen der Welt. (Bild: Stefan Bohrer)

Bei Bad Ramsach oberhalb Läufelfingens zeigen Baumkletterer aus aller Welt, was sie können, und animieren das Publikum zum Mitklettern. Ein Highlight für Ökolo­gen und Klettermaxe.

Dieses Wochenende geht es beim Baselbieter Bad Ramsach oberhalb Läufelfingens hoch her. Und zwar wörtlich. Rund hundert professionelle Baumkletterer und mindestens ebenso viele «Erdlinge» treffen sich zum vierten Arborcamp. Arbor heisst nichts anderes als Baum auf Latein. Doch beim Treffen wird es deutlich lustiger und informeller zugehen, als die gelehrte Betitelung vermuten lässt. Denn die Baumkletterer sind ein ziemlich wilder Haufen. Eine Schaukel an 30 Meter langen Seilen und eine Speedline (eine Art Kletter-Rennpiste) lassen das Adrenalin strömen.

Wer es gemütlicher mag, kann – Schwindelfreiheit vorausgesetzt – im 20 Meter hohen Baum-Café verweilen. Zahlreiche Kletteranlagen für Kinder und Erwachsene und ein Gleich­gewichts­parcours in Bodennähe machen das Arborcamp zum Spass für die ganze Familie.

Europameisterin aus Roggwil

Anja Erni hat derzeit alle Hände voll zu tun. Zusammen mit fünf anderen Baumpflegern stellt sie die gesamte Infrastruktur auf die Beine. Die Baumpflegerin aus Roggwil führt mit ihrem Partner unter dem Namen «Astwerk» ein kleines, aber florierendes Unternehmen. Nach der Lehre als Land­schaftsgärtnerin hat sie die Berufsmatur gemacht und sich zur Baumpflegespezialistin ausbilden lassen. Dabei ist das gesicherte Klettern in hohen Baumwipfeln ein integraler Teil der Ausbildung.

Wie kommt Anja Erni auf einen so ausgefallenen Beruf? Sie lacht: «Ich bin schon als Kind immer in Bäumen rumgeklettert. Da war das doch eine völlig logische Berufswahl.» Und ein befriedigendes Hobby offenbar auch. Anja Erni ist Vizeweltmeisterin und amtierende Europameisterin im Baumklettern. Diesen Titel will sie kommendes Wochenende in Thun verteidigen, wo die diesjährigen Europameisterschaften stattfinden.

Neben heissen Stunts und Kletter­spass wird auch allerhand Information geboten. 13 Fachvorträge behandeln verschiedene Aspekte des Baum- und Waldschutzes: etwa Baumkrankheiten, die Rolle des Waldes im Ökosystem und den Wandel der Schweizer Wälder in den letzten 150 Jahren.

Dabei gibt es auch Themen, die zu Besorgnis Anlass geben, wie etwa das Buchsbaum- und Eschensterben. Viele Experten haben sich bereits damit abgefunden, dass der Buchsbaum durch den Buchsbaumzünsler und Wildverbiss in unseren Breitengraden vermutlich aussterben wird. Jetzt geht es aber auch der Esche an die Rinde. Ein Schlauchpilz, der bisher vom abgestorbenen Holz der Eschen lebte, ist auf mysteriöse Weise aggressiv geworden und vergiftet neuerdings das gesunde Holz.

Fokus auf Spass und Begegnung

Trotz dieser ernsten Themen liegt der Fokus auf Spass und Begegnung. Die Idee zum Arborcamp kam 2009 einer Handvoll Kletterer bei einer Weiterbildung von «Baumklettern Schweiz» in den Sinn. Die Baumpfleger fanden es schade, ihre Kollegen aus dem In- und Ausland immer nur bei Wettkämpfen zu treffen. «Wir wollten einfach ein Treffen im stressfreien Rahmen. Einen internationalen Austausch zwischen Leuten, die in den Bäumen arbeiten, und Baumliebhabern, die gerne mal in die Wipfel wollen», sagt Erni. «Wir trennen nicht gross zwischen Teilnehmern und Publikum.» Wer will, kann unter Anleitung klettern, und gehört damit automatisch zu den Kletterern.

So stressfrei, wie ursprünglich gedacht, ist die Veranstaltung mittlerweile allerdings nicht mehr. Kamen zum ersten Camp gerade mal 35 Kletterer, waren es im letzten Jahr schon 100. Und ebenso viele Besucher. «In diesem Jahr werden es aufgrund der Europameisterschaft in Thun wahrscheinlich deutlich mehr», vermutet Erni. Der riesige Aufwand für die Kletteranlagen wird von gerade mal fünf bis sechs Baumpflegern unentgeldlich und in der Freizeit bestritten.

«Manchmal», gibt Erni zu, «frage ich mich ernsthaft, warum ich mir das jedes Jahr antue. Aber wenn die Veranstaltung dann steht, ist es doch extrem schön. Wenn man merkt, dass man Menschen zusammenbringt und eine spannende Begegnungsfläche für Baumpfleger und Baumfreunde geschaffen hat – das ist einfach der Hammer.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 30.08.13

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