Rocklegende Lou Reed stellte in Basel seine Fotografien vor. Die Besucher aber kamen vor allem, um sich ein Autogramm zu ergattern. Reeds Laune machte das nicht besser.
Der Groupie von gestern ist der Doktor von heute. So einer steht bei Lou Reed am Fauteuil, auf dem der New Yorker Stilpräger der 1960er Jahre Platz genommen hat. Der Mann mit schlohweissem Bart und wackligen Händen schiebt dem Mann mit dem furchigen Gesicht und den wackligen Händen ein paar Platten auf den Beistelltisch. «Ihre Musik, Mister Lou Reed, ist die beste Medizin», sagt der Arzt. Das habe er in all den Jahrzehnten seit Velvet Underground festgestellt. Empirisch geradezu.
Reed fällt ins Murmeln, nimmt alle Kraft zusammen nach 40 Jahren Exzess und schaut dem betagten Mediziner entgeistert in die Augen. Der Arzt lächelt euphorisch. Reed blickt wieder ins Nichts der Groupies, die im Basler Off-Space Villa Renata zur Vernissage von Reeds Fotowerk zusammengekommen sind oder auch nur, um eine Unterschrift zu ergattern.
Reed legt den Finger auf die Platte, die er signieren soll. Dem Murmeln entwächst eine Aussage: «It’s not the original», kein Originalalbum. Der Arzt beginnt noch mehr zu wackeln, entschuldigt sich. «Sorry, Mister Lou Reed, sorry very much.» Reed, gönnerhaft, unterschreibt mit silbrigem Filzstift, schüttelt die Hand, sagt leise «next».
«Soll ich auf Schuhen unterschreiben?!»
Reeds Laune an diesem Donnerstagabend ist nicht die Beste. Vielleicht ist das heute Freitag anders, wenn der Meister vorliest. Aber manchem Besucher mangelt es auch an Respekt. Da tritt ein vielleicht 20-jähriger Italiener, von der Mama vorgeschickt, mit einem Notizblock an Reed heran. Reed, für einen Augenblick genervt, dann desillusioniert, schickt den Italiener weg. «Get something better», hol was Besseres. Reed guckt sein junges blondes Manager-Bunny an: «Was soll das hier? Soll ich vielleicht noch auf Schuhen unterschreiben?!»
Bald hat Reed genug von den weisshaarigen Teenagern, von den Autogrammjägern ohne offizielles Lou-Reed-Material. Er wendet sich grummelnd dem Leiden am Leben und an der Zeit zu. Und dann kommt ihm noch die Lederjacke komisch. Minutenlang versuchte er, das Teil ordnungsgemäss zu schliessen, bevor er aufgibt. Eine Jacke aus einem früheren Leben.
Resigniert und müde schlurft er nach gut einer Stunde aus der Villa. Lässt den Securitas-Mitarbeiter einige Besucher, die an der Treppe stehen, verscheuchen, damit er sich am Geländer stützen kann. Lou Reed steigt in den Mercedes-Van, lässt nochmals hupen. Fährt ab, die Socinstrasse hoch. In Richtung Adullam.
Vernichtendes Urteil
So präzise seine Musik war, so scharf ist noch die Beobachtungsgabe des mittlerweile 70-Jährigen. Das sollen die Fotografien dokumentieren, die er in der zwischengenutzten Villa ausstellt, bevor er weiterzieht. Villa Renata, Madrid, Paris. Die weite Welt. Das Urteil über die Qualität seiner Bilder fällt TagesWoche-Bildredaktor Fonzi.
Herr Fonzi hat dabei festgestellt, dass in vielen auf Google erhältlichen Bildern ein bisschen Lou Reed drinsteckt und in Lou Reeds Bildern wiederum ein bisschen von vielem, was auf Google erhältlich ist.
Fonzis Fotokritik
Lou Reeds Bilder sind Zeugnisse eines Luxushobbys, der Fotograf darf mit teuren Schweizer Kameras Kalendersujets fotografieren und wild sortiert als Fotobuch drucken.
Lou Reed ist ein Meister der Effekte. Infrarotfotografie zieht immer, weisses Chlorophyll lässt jedes Naturfoto besonders erscheinen. Den Trick kennen einige Amateure.
Unschärfe oder eine gefühlvolle Verwackelung gibt auch dem langweiligsten Bild eine authentische Note. Goldene Himmel sind eine sichere Sache für jeden Fotokünstler, ein Flugobjekt in der Mitte und fertig ist das Kalendertitelbild.