Eine neue Dating-App will Menschen über ihren Hass zusammenbringen. Der Selbsttest zeigt: Die Idee ist gar nicht so dumm.
«Hass verbindet», sagte mein Geschichtslehrer im Gymnasium. Das war sein Fazit zur Gründungsgeschichte der EU. Nebst der Erinnerung an den Duft des Pfeifenrauchs, der jeweils mit ihm ins Klassenzimmer wehte, blieb mir vor allem diese Kernaussage von ihm bis heute.
Nein, «Hater» wird die EU nicht retten. Es ist und bleibt eine Dating-App. Aber eine, die die übliche Reihenfolge aller Romanzen umkehrt: aus Hass will sie Liebe entstehen lassen.
Die Dating-App für Misanthropen
Das Prinzip dahinter ist simpel: Nach der Registrierung darf man unbescholten seine Meinung abgeben – zu über 2000 Themen, die nacheinander auf dem iPhone aufpoppen (Sorry, Android-Nutzer: Ihr müsst euch noch auf die App gedulden).
Wischt man dann mit dem Finger nach unten, bedeutet das «Hate». Ein Wisch nach oben heisst «Love». Links und rechts stehen «Like» und «Dislike» zur Auswahl. Bei «Rosinen» und «Kim Jong-Un» zum Beispiel ist mein Finger schnell. Bei «Kinder» und höchst Abstraktem wie «Intensität» oder «Avocado-Toast» verweile ich länger.
«Das macht ja richtig Spass!», denke ich mir. Und etwas eigentherapeutische Persönlichkeitsanalyse steckt auch drin: Ja, ich hasse Leute, die sich im Café zuerst selbst finden müssen, bevor sie sich eine vermaledeite Schale bestellen. Aber war nicht ich die, die sich letzthin nicht zwischen Apfel- und Schokokuchen entscheiden konnte? Prinzipien und Taten, das sind halt oft zwei Paar Schuhe.
Schon allein, dass ich eine Dating-App benutze, lässt mich kaum mehr in den Spiegel schauen. Nachdem die ganze Welt über «Tinder» sprach, hatte auch ich die App für geschlagene drei Minuten auf meinem Smartphone – länger hielt ich all die halbstarken, entblössten Oberkörper nicht aus.
Ganz ohne äussere Werte gehts nicht
Auch bei «Hater» trifft man diese an. Denn nach einigen Wischs vermeldet die App, dass es passende «Haters» gebe. Will sagen: Der Algorithmus hat Menschen ausfindig gemacht, die das Gleiche hassen wie man selbst.
Jetzt wirds tinderesk: Die Themen werden ersetzt durch Männer-Fotos. Diese werden ergänzt mit Vornamen, Alter, Entfernung vom eigenen Standort und einer Prozentangabe, die zeigt, wie sehr man in seinen Hassobjekten übereinstimmt. Männer mit niedriger Übereinstimmung werden davor herausgefiltert.
Also doch: So ganz ohne äussere Werte gehts auch hier nicht. Ich darf weiter wischen. Wer gefällt, geht nach rechts. Alle anderen nach links. Alles rein aus Recherche-Zwecken, natürlich.
«Hey :)»
Nach einigen Tagen kriege ich die Push-Meldung: «Du hast ein Match!» Da bin ich bei einem Herrn wohl auf der rechten Seite gelandet.
Kurz darauf die nächste Push: «Hey :)», sagt sie.
Was hatte ich erwartet? Jane Austen? Trotzdem bin ich enttäuscht. Denn mit 93 Prozent Übereinstimmung ist das doch mein Seelenpartner! Und dieses nichtssagende «Hey» soll nun der Beginn einer perfekten Partnerschaft, einer Hass entsprungenen, ewig währenden Glückseligkeit sein?
Jetzt mal Ruhe bewahren. Immerhin hat er auf den Fotos etwas an. Und sowieso: Hätte ich es denn besser gemacht?
Zweite Nachricht: «Wie gahts?»
Ein Zürcher – ich hätte es wissen müssen. Ich antworte: «Zürcher – ganz schwierig …» Er korrigiert: Aargauer, aber die seien in der Regel nicht gerade beliebter. «Aargauer – super schwierig», sage ich, «aber eins muss man euch lassen: Wenn jemand weiss, wie man Autos super geschmacklos auftunen kann, dann ihr.»
Er nimmts zur Kenntnis und weiss zu kontern. Bald frage ich ihn: «Sag einmal, bist du Philologe? Ich spüre hier starke textanalytische Fachkenntnisse!» Er: «Nicht schlecht. Ich bin Journalist, und du bist gut!»
Aber natürlich! In welcher Berufsgattung finden sich schon mehr hasszerfressene Wesen als im Journalismus?
Hass ist das nicht
Als er den Namen der Zeitung nennt, für die er arbeitet, fallen gezwungenermassen weitere Sprüche von meiner Seite. Aber Hass ist das nicht. Allgemein ist in unserer Unterhaltung erstaunlich wenig davon vorhanden. Vielmehr merke ich, dass diese 93 Prozent Übereinstimmung wohl doch nicht aus dem Nichts kommen.
Irgendwann verlagern wir die Konversation aus der App, telefonieren und beschliessen, uns zu treffen. Irgendwie absurd das Ganze. «Und was ist, wenn meine Fotos gar nicht von mir sind und ich schiefe Zähne und ins Sehfeld herabhängende Augenlider habe? Und sich mein Coiffeur kurz vor dem Treffen völlig verschneidet?» Er lacht. «Dann wird es ein teurer Abend.»
Perfekte Antwort.
Ob das Treffen auch so wird, bleibt abzuwarten. Aber eines ist sicher: Ohne «Hater» wäre es nie so weit gekommen. Sie hatten wohl recht, lieber Herr Geschichtslehrer.
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Die App «Hater» gibt es kostenlos im Apple-Store. Eine Version für Android soll noch in diesem Frühjahr kommen, berichtet «Mashable».