Karl Bürkli – ein Spross der Seidenindustrie entdeckt den Sozialismus

1843 brach Karl Bürkli von Zürich zu einer Reise durch Europa auf. 1848 kehrte er als Sozialist nach Hause zurück.

Ein «fauler Hund» mit «genug Geld vom Alten»: Karl Bürkli verbrachte seine Wanderjahre lieber mit Lernen als mit Arbeit.

1843 brach Karl Bürkli von Zürich zu einer Reise durch Europa auf. 1848 kehrte er als Sozialist nach Hause zurück.

Am Ende ihrer Lehrzeit begaben sich Handwerker früher auf die Walz. Dabei sahen sie etwas von der Welt und konnten im Idealfall bei neuen Meistern etwas dazulernen. Auch Karl Bürkli (1823–1901) machte das so. Nach Abschluss seiner Gerberlehre bei der Zürcher Firma Kästle & Steiner schnürte er 1843 seine Schuhe und begab sich auf Wanderschaft.

Die erste Station war Lausanne. Dort fand er Arbeit bei der Gerberei Mercier und nahm, wie man in Hans-Ulrich Schiedts Bürkli-Biografie erfährt, am Vereinsleben des Arbeitervereins teil. Zu dessen Mitgliedern gehörten neben deutschen Republikanern und Schweizer Radikalen auch Anhänger des Handwerker-Kommunisten Wilhelm Weitling (1808–1871).

Geld vom «Alten»

Über Genf, Lyon, Marseille, Orléans (wo er erstmals eine Eisenbahn sah) gelangte Bürkli schliesslich 1845 nach Paris. Dort hörte er sich Vorträge über Chemie, Nationalökonomie und Astronomie an – ein Indiz dafür, dass Bürkli die Walz vor allem dazu nutzte, seinen geistigen Horizont zu erweitern. So bemerkte er in späteren Jahren einmal, dass seine Meister an ihm «einen faulen Hund» gehabt und ihn «alle bald zum Teufel gejagt hätten». Bürkli konnte sich das leisten, weil er während seiner Walz stets «genug Geld vom Alten» hatte.

Der «Alte» war Johann Georg Bürkli (1793–1851), Abkömmling einer alteingesessenen konservativen Zürcher Familie, die ihr Geld im Seidenhandel gemacht hatte. Papa Bürkli hätte sich für seinen Sohn bestimmt eine standesgemässere Tätigkeit als die eines Gerbers gewünscht. Doch der junge Bürkli war nach eigener Aussage ein «wilder Bube, der immer die schlechtesten Zeugnisse nach Hause brachte». Und dass «mit dem Studieren bei ihm kein Heu dürr» werde, war beiden Bürklis klar.

Eine Grosskommune für 1620 Menschen

In Paris sprang der Funke schliesslich doch noch auf Bürkli über. Nicht an der Universität, dafür als er die Bekanntschaft von Mitgliedern der Ecole sociétaire machte, einer sozialistischen Vereinigung, die sich den Ideen von Charles Fourier (1772–1837) verschrieben hatte.

Fourier sah die Antwort auf die sozialen Probleme seiner Zeit in sogenannten Phalanstères, Lebens- und Produktionsgemeinschaften, in denen im Idealfall jeweils 1620 Menschen lebten. Als Zwischenschritt konnte sich Fourier auch kleinere Genossenschaften vorstellen, in denen unabhängige Produzenten ihre Erzeugnisse gemeinsam vermarkteten.



Victor Considerant: Der französische Sozialist gewann Bürkli für die Ideen von Charles Fourier.

Victor Considerant: Der französische Sozialist gewann Bürkli für die Ideen von Charles Fourier.

Die Ecole sociétaire unter der Leitung von Victor Considerant (1808–1893) beschränkte sich nicht darauf, die Ideen Fouriers unter die Leute zu bringen. In der Zeitung «La démocratie pazifique» nahmen ihre Anhänger auch Stellung zu politischen Tagesfragen und propagierten das Recht auf Arbeit, die direkte Demokratie und eine Reform des Bankenwesens.

Pionier der Schweizer Arbeiterbewegung

1847 nahm Bürkli seine Walz wieder auf. Während einem Jahr war er in den Niederlanden, in England, Deutschland und Österreich unterwegs. Dabei besuchte er auch genossenschaftliche Projekte, Konsumvereine, Arbeiter-Associationen und Ackerbaukolonien.

Zurück in Zürich wurde Bürkli zunächst zu einer Anlaufstelle für deutsche republikanische Flüchtlinge. Zudem war er bestrebt, die eine oder andere Idee, die die französischen Fourieristen entwickelt hatten, in die Praxis umzusetzen. Dazu gehörte die Gründung des Zürcher Konsumvereins, der ein voller Erfolg wurde. Weniger rasche Resultate zeigte Bürklis Eintreten für die Schaffung von Kantonalbanken, deren Aufgabe er in der Kreditvergabe an Handwerker sah.

Die demokratische Revolution im Kanton Zürich von 1868/1869, die das Ende des Systems Eschers bedeutete, in dem alle Fäden beim Eisenbahnkönig und Gründer der Schweizerischen Kreditanstalt Alfred Escher (1819–1882) zusammenliefen, bestätigte Bürkli in seinem Eintreten für die direkte Demokratie. Von den Vorteilen der Letzteren versuchte er 1869 auch die Delegierten der Internationalen Arbeiter-Association zu überzeugen, die damals in Basel tagten.

Die 1888 gegründete Sozialdemokratische Partei orientierte sich dann zwar weniger an französischen Vorbildern als an der Theorie und Praxis der deutschen Genossen. Trotzdem blieb Karl Bürkli ein wichtiger Impulsgeber für die Schweizer Arbeiterbewegung. 

Quellen

– Hans-Ulrich Schiedt: Die Welt neu erfinden. Karl Bürkli (1823–1901) und seine Schriften. Zürich 2002

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