Kein Tag ohne Beschimpfung: Der abgrundtiefe Hass der Antifeministen

Wer letzte Woche am TagesWoche-«Mittendrin» mit der feministischen Aktivistin Anne Wizorek war, bekam den Eindruck, Feminismus sei gerade ziemlich angesagt. Schnell wurde aber auch die andere Seite deutlich: Hass und Beschimpfungen sind für feministische Aktivistinnen Alltag.

Frauen streiten heute laut für ihre Anliegen, sie sind sichtbar und hörbar – das passt vielen Männern nicht («Schlampen-Marsch» in Brüssel, 2011). (Bild: Reuters)

Wer letzte Woche am TagesWoche-«Mittendrin» mit der feministischen Aktivistin Anne Wizorek war, bekam den Eindruck, Feminismus sei gerade ziemlich angesagt. Schnell wurde aber auch die andere Seite deutlich: Hass und Beschimpfungen sind für feministische Aktivistinnen Alltag.

Wer sich heute feministisch äussert, erntet nicht nur Gegenwind, sondern oft auch Hass. Ob im Internet, beim Nachtessen, an Universitäten oder im Parlament – die deutschen Soziologen Hinrich Rosenbrock und Andreas Kemper zeigen in Untersuchungen, dass der Antifeminismus offensiver geworden ist, bissiger, organisierter.

Die Player reichen von Abtreibungsgegnern über Parteien, die Antifeminismus als Wahlprogramm entdeckt haben (zum Beispiel die AfD in Deutschland), Bürgerbewegungen (wie Pegida), christliche Organisationen (wie zukunft.ch), Kirchenvertreter (in der Schweiz Bischof Huonder) über Männerrechtsorganisationen und Journalisten bis hin zur besonders aggressiven Maskulistenszene im Internet (zum Beispiel Agens, MANNdat, WikiMannia, wgvdl).

Antifeminismus auch in etablierten Medien

Aber was ist Antifeminismus? Ein extremes Beispiel ist der rechtsradikale Attentäter Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 72 Menschen ermordete. Unmittelbar nach der Tat gestand er, dass sein eigentliches – verfehltes – Ziel die Ermordung der feministischen Politikerin Gro Harlem Brundtland gewesen sei. In seinem Manifest «2083» behauptete er zudem, die Schuld an der «Überfremdung» und der «Einführung der Scharia» trage der «Staatsfeminismus» und die «Gender-Doktrin». Beides beraube den westlichen Mann seiner patriarchalen Position und führe damit zu einer Schwächung der Nation. Obwohl Breiviks antifeministische Motivlage unter anderem vom norwegischen Männerforscher Jorgen Lorentzen klar benannt wurde, erhielt diese medial wenig Beachtung.

Umgekehrt aber fand und findet man Argumentationslogiken durchaus auch in etablierten Medien. Die Geschichte von den Männern als «Verlierer des Feminismus» hat sich nachhaltig ins kulturelle Bewusstsein eingegraben. In der deutschen Presse wie etwa dem «Spiegel», der FAZ oder der «Zeit» war in den letzten Jahren immer wieder zu lesen, Gendermainstreaming sei «politische Geschlechtsumwandlung». Und der Schweizer Männerforscher Walter Hollstein schreibt vom «männlichen Niedergang» durch die Frauenbewegung.

Feministische «Weltverschwörung»

Meistens wird dabei das Bild einer Weltverschwörung lesbischer Akademikerinnen und Frauenbeauftragter suggeriert, die mit dem «Gender-Prinzip» an der Zerstörung der traditionellen Geschlechterrollen arbeiten, an der Schaffung eines «Frankenstein ohne Geschlecht» (BaZ) oder an einer Quote, die nichts anderes als eine «staatliche Umverteilung zulasten der Männer» sei (NZZ).

Solche antifeministischen Parolen sind nicht neu. Bereits im europäischen Mittelalter veröffentlichte Christine de Pizan «Das Buch von der Stadt der Frauen», mit dem sie gegen antifeministische Haltungen schrieb. Es war der Ausgangspunkt für die «Querelles des Femmes», dem grossen Geschlechterstreit des Mittelalters.

Konjunktur hatten antifeministische Bewegungen auch im deutschen Kaiserreich – eine insgesamt extrem anti-emanzipatorische Zeit, in der Frauenfeindlichkeit Hand in Hand ging mit Antisemitismus, Nationalismus, Intellektuellen- und Demokratiefeindlichkeit. Es herrschte eine umfassende Ablehnung gegenüber der Moderne, deren verhasste Repräsentanten «der Jude» und «das Weib» waren.

Antifeminismus und geistige Landesverteidigung

Auch in der Schweiz gab es im frühen 20. Jahrhundert massive antifeministische Mobilisierungen, vor allem gegen das Frauenstimmrecht. Aufschlussreich sind Untersuchungen über die Verbindung zwischen Antifeminismus und geistiger Landesverteidigung in den 1930er-Jahren. Die Historikerin Regula Stämpfli beschreibt, wie der «patriotische Zwang» zum Zusammenhalt es den Frauen in der Schweiz verbot, sich für ihre Rechte einzusetzen, da dies die Stabilität der Nation gefährde. Frauen, die es dennoch taten, galten als Landesverräterinnen.

Der Mythos von der Landesverteidigung hat die späte Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz massgeblich beeinflusst. Historisch bedeutend war auch der sogenannte wissenschaftliche Antifeminismus, der seit dem 19. Jahrhundert zu beweisen vorgab, Frauenemanzipation würde eine «kulturelle Degeneration» herbeiführen. Mediziner behaupteten, im Feminismus äussere sich ein unnatürliches weibliches Machtstreben, das die gesunde Sexualität pervertiere und sogar die Geburt gesunder Kinder gefährde.

Die Ausläufer solcher Logiken findet man auch in der heutigen antifeministischen Rhetorik, zum Beispiel, wenn der Feminismus für die demografische Krise verantwortlich gemacht wird, weil berufstätige Frauen weniger Kinder gebären.

Männer beschreiben sich als Opfer des Feminismus.

Die aktuelle Debatte zeichnet sich allerdings durch ein neues Argument aus: Männer beschreiben sich als Opfer des Feminismus. Besonders Männerrechtler sprechen heute von einer «umgekehrten Diskriminierung», in der Feministinnen die Unterdrückung der Männer anstreben, zum Beispiel im Familien- und Scheidungsrecht oder in der Bildung. Suggeriert wird ein Interessenkonflikt zwischen den Bedürfnissen von Männern und den Zielen der Frauenemanzipation.

Die Folge ist, dass Männerrechtler nicht einfach für die eigene Emanzipation kämpfen – was wichtig wäre, da unter den vorherrschenden Bedingungen zweifellos auch Männer leiden. Stattdessen wird eine Gegenemanzipation gegen Frauen gefordert. Dass Männeranliegen auch ohne Ablehnung des Feminismus als Gegenpart formuliert werden können, zeigen Markus Theunert und sein Team in der Schweiz auf Männer.ch.

Dabei bringt die neue Opferposition für die Männerrechtler einige Schwierigkeiten, denn das Eingeständnis von Schwäche ist mit ihrem meist traditionellen Männlichkeitsideal nicht kompatibel.

Auch dies ist ein Grund, weshalb Männerrechtler den Feminismus überdimensional darstellen – indem sie zum Beispiel von einer «feministischen Diktatur» sprechen. Ihre Opferposition ist offensichtlich nur dann legitim, wenn die Unterwerfungsmacht geradezu monströs ist. Bezeichnend ist auch, dass man dem Feminismus Männerhass vorwirft, sich aber oft genug selbst gegen die Geschlechtsgenossen richtet. So werden homosexuelle und andere nicht Männlichkeits-konforme Männer herabgesetzt. Im Internet führen Maskulisten sogenannte «Lila-Pudel-Listen», die auf denunziatorische Weise profeministische Journalisten steckbriefartig präsentieren.

«Umerziehung» der Gesellschaft

Aber woher kommt dieser erstarkte Antifeminismus? Eine medienökonomische Erklärung lautet, dass sich mit Gender-Polemiken Klickzahlen, viele Kommentare und somit Traffic generieren lasse. Sicher ist Antifeminismus aber auch eine Reaktion auf eine im Wandel begriffene Geschlechterordnung, in der Schwule heiraten, Frauen Karriere machen und Väter freiwillig Teilzeit arbeiten.

In einer Zeit, in der die Welt sich als krisenhaft erweist, in der männliche Berufsbiografien nicht mehr sicher sind und es überall zu Prekarisierungen kommt, ist Antifeminismus eine Art männliche Re-Souveränisierungsstrategie. Dabei spiegelt der Ruf nach dem traditionellen Familienmodell auch die Sehnsucht nach dem warmen Nest, in dem Frauen «wie früher» dem hart arbeitenden Mann einen sicheren Rückzugsort bieten sollen.

Gleichzeitig ist es aber falsch anzunehmen, Männer würden automatisch zu Antifeministen, bloss weil sie den Job verlieren. Antifeminismus allein als Reaktion auf soziale und ökonomische Umstände zurückzuführen, würde die Dimensionen des Hasses verharmlosen. Es braucht genauere Untersuchungen, die erklären können, welche kognitiven und emotionalen Prozesse zu heutigen Formen von Hass führen und inwiefern Hass eine unbewusste oder auch bewusste Entscheidung ist. 

Es geht um Gerechtigkeit, um eine Gesellschaft ohne Gewalt und Diskriminierung.

Ob Frauen, Homosexuelle, Transgender, Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderung: Sie alle streiten heute laut für ihre Anliegen, sie sind sichtbar und hörbar – und sie sind eine Herausforderung für die Gesellschaft. Ein antifeministischer Vorwurf lautet gemeinhin, Feminismus wolle die Gesellschaft umerziehen.

Genau!, möchte man laut rufen. Denn Feminismus handelt von tiefgreifenden Veränderungen, es geht um Gerechtigkeit, um eine Gesellschaft ohne Gewalt und Diskriminierung, um die Frage, wie wir leben wollen. Eine Gesellschaft, in der feministische Anliegen formuliert und umgesetzt werden. Eine solche Gesellschaft ist nicht mehr dieselbe wie zuvor. Die Welt wird komplizierter. Und das ist gut so.

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Lesen Sie auch die Beiträge in unserem Dossier Feminismus.

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