In Kindergottesdiensten und Schullagern werben freikirchliche Gemeinschaften um neue Mitglieder. Der Spass der Kinder steht dabei selten alleine im Mittelpunkt.
Freikirchen wissen, was Kindern gefällt. Vom Youtube-Video zum Kindergottesdienst, von Ferienlagern zu Fussballturnieren werben sie mit einem breiten Angebot um junge Kirchenmitglieder. Mit Leichtigkeit verbinden sie dabei konservative Glaubenslehre mit Spiel und Spass.
Im christlichen Jugendlagerhaus Camp Rock können die Kinder auswählen zwischen Action-Camp, Abenteuer-Camp oder Erlebnis-Camp. Die Schweizer Freikirche ICF (International Christian Fellowship) bietet für ihre Jüngsten eigene Gottesdienste mit Hüpfburg, Basteltisch und Spielnachmittagen an. Die Veranstaltungsreihen heissen «Milky Way», «Chinderexpress» oder «Kids Planet».
In jeder grösseren Stadt finden sich zudem christliche Kindertagesstätten oder christliche Nachhilfegruppen. Alle diese Angebote haben etwas gemeinsam: Im Mittelpunkt steht auch die Vermittlung der Glaubenslehre. Wie das zusammenpasst, veranschaulicht etwa ein Video des ICF Zürich mit Maskottchen Elmo.
Das farbige Zotteltier verbrennt sich an einer Tasse heisse Schokolade seine Zunge. Die unterhaltsame Nummer dauert einige Minuten, bis der Moderator zum Wesentlichen kommt. «Weisst du, was ich vorschlage, Elmo?», fragt er das Zotteltier, «dass wir jetzt für dein Zunge beten. Denn Jesus kann machen, dass dieser Schmerz weggeht. Immer wenn du Schmerzen hast, kannst du sagen, Jesus bitte mach, dass der Schmerz weggeht, Amen.»
Himmel oder Hölle
Wie keine andere Glaubensgemeinschaft richten sich die Freikirchen mit ihren Angeboten an Kinder. Doch nicht immer geschieht das so harmlos wie im Video mit Elmo. Bei der Beratungsstelle infoSekta sind bei jeder dritten Anfrage zu evangelikalen Gruppen Kinder betroffen, sagt Beraterin Regina Spiess.
Im Gegensatz etwa zur reformierten oder katholischen Kirche, die ebenfalls Kinderlager anbieten, gilt bei den Freikirchen auch für die Jüngsten: Nur wer sein Leben Gott übergibt, ist errettet. «Den Kindern wird erklärt, dass Rettung nur durch ein Leben mit Jesus Christus möglich sei und alle anderen verloren sind, die eigenen Eltern inbegriffen», so Spiess.
Ziel der Angebote sei immer auch das Weitergeben der «frohen Botschaft». Doch nicht für alle Eltern ist der religiöse Hintergrund auf den ersten Blick ersichtlich. Und so kommt es vor, dass nicht evangelikal erzogene Kinder ein freikirchliches Ferienlager besuchen und nach ihrer Rückkehr verzweifelt versuchen, die eigenen Eltern zu bekehren. Dann klingelt bei infoSekta das Telefon.
Andersgläubige als Bedrohung
Die professionell vermarkteten Kinderangebote richten sich auch an Aussenstehende. Im eigentlichen Fokus der Freikirchen steht aber der eigene Nachwuchs. Während gemäss einer jüngst erschienenen Studie (online nicht verfügbar) die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung behauptet, ihren Kindern keine religiöse Orientierung mehr vermitteln zu wollen, verwenden evangelisch-freikirchliche Eltern genau darauf Zeit und Energie.
Nichtgläubige, Fernsehen, Populärkultur und auch die Schule nehmen diese Eltern häufig als Bedrohung des eigenen Glaubens wahr. Viele schicken ihre Kinder deshalb nicht nur in christliche Ferienlager, sondern auch an kirchliche Schulen, wo die Abgrenzung gegenüber Andersgläubigen noch einmal gefestigt wird.
Bekanntestes Beispiel in der Nordwestschweiz ist die Freie Christliche Schule in Liestal. Mit ihrem Angebot von der Spielgruppe bis zur Sekundarstufe deckt sie die gesamte obligatorische Schulzeit ab. Georg Otto Schmid von der evangelischen Beratungsstelle Relinfo sieht darin grundsätzlich kein Problem, mit einer Einschränkung: «Wir können den Besuch von freikirchlich geprägten Schulen nur Kindern aus Elternhäusern empfehlen, die dem freikirchlichen Christentum mindestens nahestehen.»
«Gott muss Schuld bestrafen»
Welche Bedeutung Schuld und Sünde bei manchen evangelikalen Freikirchen in der Kindererziehung spielen, zeigt exemplarisch ein weiteres Video – dieses Mal von einer Gemeinschaft in Thun. Im Film aus dem Kindergottesdienst «Kidstrain» ertrinkt ein Junge in den braunen Fluten eines Flusses. Dazu zitieren Kinderstimmen in stockendem Lesefluss aus dem Testament. «Jeder Mensch ist schuldig und kann sich nicht selber retten», sagt ein Junge. «Alle sind Sünder und haben nichts vorzuweisen, das Gott gefallen würde», sagt ein Mädchen, und ein zweiter Junge erklärt: «Gott muss Schuld bestrafen.»
Antrieb vieler evangelikal gläubiger Eltern, sagt Regina Spiess, sei die Angst, die Kinder könnten vom Glauben abfallen und verloren sein. «Das ist für evangelikal Gläubige ein schrecklicher Gedanke.» So folgten die Freikirchen mit ihren Angeboten selten einer bestimmten Agenda, die Bekehrungsversuche kämen von Herzen. Doch für die Kinder blieben die damit einhergehenden Konflikte dieselben. «Die Vorstellung von verloren sein, Bestrafung und Schuld», sagt Spiess, «finde ich für Kinder sehr problematisch.»
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