Knackeboul und die Hurensöhne

Ein SVP-Politiker postet Fotos von toten Kindern, ein anderer faselt von «Negern». Dafür findet unser Kolumnist deutliche Worte und gerät dadurch selber in die Kritik.

Wenn Nazis aufmarschieren und Politiker «Neger» sagen, ist es Zeit für deutliche Worte, findet Knackeboul. (Bild: Montage Hans-Jörg Walter)

Wenn ich die letzten Tage aus meinem (Browser-)Fenster guckte, erblickte ich öfters einen aufgebrachten Mob mit Mistgabeln und Fackeln. Was klingt wie eine mittelalterliche Szene aus einem Geschichtsbuch, ist in Tat und Wahrheit eine immer aktuelle Szene auf meinem Gesichtsbuch (Facebook – ich habe ein Wortspiel erklärt).

Mein Vergehen diesmal: Ich bin einem SVP-Jungpolitiker aus dem Berner Oberland an den Karren gefahren. Dieser Mann hat mit dem Foto eines Stunden vorher in Barcelona von Attentätern überfahrenen Kindes Werbung für seine asoziale Politik macht. Ich hab den Mann daraufhin einen Hurensohn genannt. Zugegeben: nicht die feine englische Art.

Natürlich haben alle getroffenen Hunde gebellt und es hagelte Drohungen und Beschimpfungen von Rechten, Wutbürgern und Nazis. Dazu gesellten sich für einmal auch etliche Gutbürger und Gutmenschen, die fanden, dass ich mich mit meiner Ausdrucksweise auf das Niveau der Hetzer herunterlasse. Der Grossteil der Sich-Empörenden waren übrigens weisse Männer, deren Einschätzung meines Niveaus mir fragwürdiger erscheint als meine Ausdrucksweise.

Wenn der SVP-Politiker Erich Hess von «Negern» faselt, dann ist es angebracht, sich zu empören und unerhört zu werden.

Erstens ist der Ausdruck Hurensohn längst entzaubert und hat etwa gleich viel mit einer Mutter zu tun wie das «huere geil» mit einer geilen Hure – das Wort wird im Rap-Jargon und in meinem Milieu verwendet wie in der amerikanischen Umgangssprache das Wort «Motherfucker».

Zweitens: Wenn in den USA Neonazis und anderes Gesindel Hitlers Gedankengut durch die Strassen proleten dürfen und der SVP-Politiker Erich Hess im Berner Stadtparlament ungestört von «Negern» faselt, dann ist es angebracht, sich zu empören und dabei unerhört zu werden. Besser als ungehört.

Das dem SVP-Honk hingeschmetterte Hurensohn ist ein Ausdruck der Wut auf ein menschenverachtendes Verhalten (Foto von totem Kind posten), währenddessen Nazi-Aufmärsche und Hess’ «Neger» die Verharmlosung bis Verherrlichung eines Gedankengutes darstellen, das schon Millionen Menschen das Leben kostete.

Wer die Opfer des Holocaust verhöhnt, hat es nicht verdient, dass man seine Meinung toleriert.

Deshalb hier, als Reaktion auf diese heuchlerische Empörung, eine Liste von neun Dingen, die schlimmer sind, als einen, der die Bilder toter Kinder für seine ausländerfeindliche Politik missbraucht, einen Hurensohn zu nennen.

  1. Fotos von toten Kindern für ausländerfeindliche Politik missbrauchen.
    Nur ein Charakterlump postet ein Bild eines überfahrenen Kindes, um seine menschenverachtende Politik zu promoten. Er verhöhnt damit das Opfer, seine Angehörigen und beeinträchtigt die Arbeit der Polizei. Ja, Linke und Gutmenschen haben vor zwei Jahren das Bild des ertrunkenen Flüchtlingsjungen Aylan gepostet. Auch das fand ich problematisch. Trotzdem – die Aussage hinter den Populisten-Posts ist: «Schaut, was passiert, wenn wir dieses Pack nach Europa lassen!» Die Aussage hinter den Posts mit dem Flüchtlingsjungen war: «Das passiert, wenn Europa keine Hilfe leistet in der humanitären Katastrophe, die sich an unseren Grenzen ereignet.»
  2. Afrikanische Mitmenschen «Neger» nennen.
    Erich Hess, der sich Nationalrat nennen darf, hat das neulich im Berner Stadtparlament sagen dürfen. Während ich finde, dass er dafür sofort hätte des Amtes enthoben werden sollen, wurde er nicht einmal zur Rede gestellt.
  3. Drogendealer vor der Reithalle schlimmer finden als einen Nationalrat, der afrikanische Mitbürger «Neger» nennt.
    Wer nicht begreifen will, warum das Wort Neger immer und vor allem wenn von Weissen ausgesprochen problematisch ist, begreift auch nicht, dass Drogen und somit Drogenhandel gesellschaftliche Realitäten sind, die man nüchtern und aufgeklärt angehen muss. Man kann das nicht dem schwarzen Mann in die Schuhe schieben.
  4. Nazi-Ideologie verherrlichen durch das Tragen von deren Symbolen, das Besuchen von Nazi-Grabstätten oder von rechtsradikalen Konzerten.
    Wer das tut, verhöhnt die Opfer des Holocaust und hat es nicht verdient, dass man auf ihn eingeht oder seine Meinung toleriert.
  5. Naziaufmärsche als unproblematisch darstellen, weil ja niemand zu Schaden gekommen sei.
    Ein Naziaufmarsch ist immer ein schädlicher Akt. Eine wache Gesellschaft stellt sich ihm entschieden entgegen.
  6. Eine unmenschliche Flüchtlingspolitik betreiben und sich über die Kürzung von Budgets für Flüchtlingskinder freuen.
    Die Menschen, die die lebensgefährlichen Strapazen einer Flucht auf sich nehmen, tun dies als letzte Option und aus purer Verzweiflung. Wer etwas anderes behauptet, kennt keine Flüchtlinge und hat sich nicht mit dem Thema auseinandergesetzt. Wer das Leid dieser Menschen für politische Vorstösse missbraucht, hat Hurensohn-Potenzial.
  7. Diese Politik wählen und sich mitschuldig machen am Tod Tausender ertrunkener Flüchtender.
  8. Ein Schiff organisieren, um in Lebensgefahr schwebende Flüchtende zu schikanieren.
    So geschehen letzten Monat durch die Identitäre Bewegung – ein grausiger Haufen europäischer Nationalisten im Hipster-Kleid.
  9. Das Schiff per Crowd-Funding-Kampagne mitfinanzieren.
    Ein erschreckend grosser Teil der gespendeten Gelder für das Nazi-Schiff kam aus der Schweiz. Das Schiff geriet dann übrigens in Seenot und musste von einer NGO, die sich sonst des Leids der Flüchtenden annimmt, gerettet werden.

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