Es war der Hitzesommer 2018. Die unerbittliche Sonne brannte den Schweizern etwas mediterranes Flair in ihre verstockten Seelen. In Cafés nahmen benommene Service-Fachangestellte mühselig die Kaltgetränk-Wünsche der Teilzeitarbeitenden entgegen.
Durch die Gassen wehte ein föhnwarmer Wind of no Change. In der Nacht blieb die Luft stehen und verschwitzte Leiber wanden sich unter viel zu dicken Decken. Manch einer kaufte sich eine Klimaanlage für seine Wohnung und pumpte heisse Luft in die sonst schon flirrende Hitze der Stadt.
Die Flüsse waren lauwarme Enttäuschungen. Die pingelig getrimmten Rasen verbrannten und boten zusammen mit welkenden Hortensien ein Bild des Zerfalls. Kinder ernährten sich ausschliesslich von Glace und Schleckzeug, weil die Eltern zu müde waren, den Kampf gegen die infantile Zuckersucht zu führen. Es war heiss, der Himmel schwieg, die Sonne sengte.
Infernalisches Klima
In den Ländern rundum brannte es. Der Nationalfeiertag musste ohne Feuerwerk auskommen. Das Zündeln war in dieser Atmosphäre zu riskant. Das schien aber nicht für die grossen Zeitungen zu gelten. Während der Klimawandel sämtliche Frontseiten hätte prägen sollen, stopften Tagi, NZZ und Co. ihre Sommerlöcher mit rechten Relativierungen.
Während Tausende Flüchtende in den Meeren ertranken und freiwillige Helfer nicht mehr retten durften; während Nationalisten und Populisten sich vernetzten und Sieg um Sieg errangen, schossen Artikel, die sich über die Empörung darüber empörten, wie Giftpilze ins infernalische Klima dieses Supersommers.
Hysterie, Moral-Diktatur und Verblendung wurden denjenigen unterstellt, die sich darüber echauffierten, dass 2018 wieder Nazis im deutschen Parlament sassen; dass Menschen sterben mussten, weil sie es wagten, vor dem Krieg zu flüchten; dass bürgerliche Bigotterie nun als gesunder Menschenverstand angepriesen wurde.
Eine kühle Klinge schlitzte den schwülen Vorhang auf und der Duft des Untergangs verbreitete sich in den Strassen
Viele wollten schon das Handtuch werfen. Zogen sich zurück in ihre Schneckenhäuser. Mit Eiskaffee, Netflix und endlosen Instagram-Feeds schotteten sie sich ab. Oder sie tanzten zu wummernden Bässen irre Anbetungsrituale auf ausgetrockneten Wiesen und in den dürren Wäldern des Landes. Drogen gegen Drohgebärden. Halluzinogene gegen bürgerliche Paranoia. Digitale oder künstlich herbeigeführte Parallelwelten als Refugien zum Schutz vor dem Wahnsinn des Sommers.
Und die überzeugten Zweifler fingen an, an ihren Überzeugungen zu zweifeln. Liege ich falsch? Haben die recht? Bin ich ein übereifriger Moralapostel, der selbst nicht wirklich etwas unternimmt, um dieses ertrinkende Elend, diesen elenden Rassismus zu bekämpfen? Bin ich intolerant, weil ich Intoleranz nicht toleriere? Ist mein System überhitzt? Sollte ich aufhören, Hurensöhne Hurensöhne zu nennen? Bin ich ein Wutbürger?
Vielleicht sollte ich mich beruhigen, abkühlen, die Fresse halten, wie mir das einige raten. Vielleicht sollten wir mit Rechten reden? Sonnenstichtag. Ich versuchte das Fieber abzuschütteln, aber es wich nicht. Egal, wo ich hinkam – die Hitze hatte schon einen Tisch reserviert. Ausgebucht.
Doch dann kam die Flut mitten in die Gluthitze. Der Himmel öffnete sich. Eine kühle Klinge schlitzte diesen schwülen Vorhang auf. Donner und Blitz im Sekundentakt. Regentropfen in Planetengrösse prallten auf den Asphalt und der verführerische Duft des nahenden Untergangs verbreitete sich in den Strassen. Stieg in die Fenster wie ein willkommener Dieb. Die dürren Blätter raschelten und bereiteten sich darauf vor, von den Ästen gepeitscht zu werden.
Während sich normalerweise alle vor dem Regen in Sicherheit bringen, strömten jetzt die Menschen nach draussen. Halbnackt und mit ausgestreckten Armen empfingen sie die Himmelsfluten. Anlageberater liessen Laptop und Cold Brew stehen und gesellten sich zum Reigen der Seligen. Kleine Kinder planschten in den sich bildenden Pfützen und Mutter Natur schwemmte ihnen die Zucker- und Rotzkrusten aus den Gesichtchen. Banker und revolutionäre Jugendliche tanzten Hand in Hand und der Regenstrom kühlte ihre erhitzten Körper.
Ein letzter, heftiger Hagelstoss begrub alles unter sich und als die feiernden Massen sich verliefen, war der Sommer vorbei.
Menschen fluteten die Strassen und rissen sich die Kleider vom Leib, während der Regen immer stärker wurde. Kühle Windstösse untermauerten das freudige Spektakel. Die Erlösung war da. Hass und Streit, Wut und Neid wurden unter lautem Gurgeln von Gullideckeln verschlungen.
Das Klima kühlte sich ab. Die Strassen verwandelten sich in Flüsse. Müll und Autos wurden fortgeschwemmt. Inzwischen lugten nur noch die ausgestreckten Arme der selig Feiernden aus dem Wasser. Ertrinken geschieht leise.
Ein letzter, heftiger Hagelstoss begrub alles unter sich und als die feiernden Massen sich verliefen, war der Sommer vorbei. Die Menschheit auch. Alles nur ein Traum. Eine Halluzination eines subversiven Journalisten, der sich an einer illegalen Goa-Party im Wald einen trotz Mikrodosierung bösen LSD-Trip aus dem Leib zu tanzen versuchte.
PS: Der Typ an der Goa-Party war natürlich nicht ich, konnte ich ja gar nicht ich sein – denn ich bin kein Journalist.