Knallharter Service im Geheimtipp

Wo es schön und ursprünglich ist, tummeln sich Tausende Touristen. Und doch fanden wir in einem südfranzösischem Fischerdorf ein kleines Restaurant mit hohen Ansprüchen an sich und seine Gäste.

Verschlafen, aber wunderhübsch: das südfranzösische Fischerdorf. (Bild: Samuel Rink)

Knallige Neonreklamen am Segelboothafen. Bäh, wie eklig. Bars, Strandcafés, Dönerbuden – alles was uninspirierte Zweitwohnungsbesitzer begehren. Das Kaff ist eine Tortur. Unsere Exkursion abseits der Touristenpfade ist ein Fiasko.

Da! Die Burgruine auf dem Hügel. Ein letzter Hoffnungsschimmer, dem Ausflug doch noch etwas abzugewinnen. Erst beim Hinspazieren bemerken wir das schmucke Altstädtchen am Fusse des Hügels. Warum ist hier alles leer?

Wir klettern die vielen Stufen zum Turm hoch. Eigentlich steht von der einstigen Burg nur noch eine Wand. Erst hier oben sehen wir, dass die Altstadt in einem perfekten Kreis um die Burg liegt. Ein Meer von unregelmässigen Ziegeldächern. Dahinter das echte Meer mit ausgedehnten Stränden und der hässlichen Hafenpromenade.

Das ignorierte Bijou

Dort sitzen wohl die Zweitwohnungsbesitzer bei dänischem Bier und Pizza Napoletana. Dabei spielt hier die Musik. Wir sind fast alleine.

Langsam meldet sich auch bei uns der Hunger. Wir steigen hinab in die unterdessen schattigen Gassen. Hier reihen sich blaue, gelbe, grüne Fensterläden aneinander. Dazwischen kleine Wohnungstüren. Ein Fischerdorf aus dem Bilderbuch, nur ein paar Gehminuten von der unsäglichen Uferpromenade.

Hier wohnt augenscheinlich das gemeine Volk. Kinder rennen in der Gasse einem Ball hinterher. Im ersten Stock streckt die Mutter ihren Kopf aus dem Fenster und ruft zum Abendessen. Szenen wie im Film. Und keiner sieht es!

Am imaginären Tisch

Auch aus unseren Mägen erklingt der Ruf nach Essen immer heftiger. Aber wohin? Ein Stück die Strasse runter sitzen Menschen vor blauen Fensterläden an Tischchen. Mitten in der Gasse. Wieder Idylle pur. Da müssen wir hin. Mist, wir sind zu fünft und hier ist nur noch ein Zweiertisch frei. Alle anderen sind schon besetzt. Von Einheimischen, wie es scheint.

Eine gemütliche Kellnerin im mittleren Alter erscheint in der Tür: «Un moment, s’il vous plaît!» Wir warten. Das Tischchen verschwindet. Was passiert?

Die Kellnerin kommt mit drei weiteren Klappstühlen zurück. «Asseyez-vous!» Ein Mann in blauem Shirt ruft uns davon eilend ein paar unverständliche Worte zu und verschwindet hinter der Hausecke. Bizarr. Wir sitzen mitten auf der Strasse um einen imaginären Tisch.

«Bien cuit»

Einige Minuten später taucht hinter der Ecke ein Tisch auf. Der Mann hat zu Hause seinen Gartentisch geholt. Extra für uns. Wir sind baff.

Die Kellnerin bringt die Speisekarte. Eine schwarze Tafel mit einer Handvoll Gerichte. Spezialitäten wie Seeschnecken. Oder altbekanntes wie Poulet Curry. Wir sind neugierig und bestellen gleich alles. Es geht genau auf. Fünf Gerichte, fünf hungrige Mäuler. Die Kellnerin lacht und eilt davon. Was uns wohl erwartet?

Während wir warten, erleben wir Frankreich. Am Nebentisch bestellt eine junge Dame das Flanksteak an karamellisierten Schalotte: «Bien cuit!». Das südfranzösische Temperament der Kellnerin blitzt auf: «Mais non! Ça ne va pas, ça!» Zu ihrem Unmut kann sie die Dame von ihrem Fauxpas nicht abbringen. Schimpfend läuft sie davon. Ungeniert macht sie an einem der anderen Tische halt und lästert vor aller Ohren über die Dame mit dem durchgebratenen Steak. Dann geht sie rein. Durch das Fenster dringen Wortfetzen. «Zut alors!» Jetzt wissen es auch die Gäste drinnen.

Kleine Küche, hohes Niveau

Uns wird klar: Dieses Lokal hat seine Ansprüche. Und tatsächlich. Aus der Küche kommen unsere sorgfältig angerichteten Jakobsmuscheln an Orangensauce, Seeschnecken im Knoblauch und Crevetten kreolisch. Das Essen schmilzt im Gaumen. Was für eine Überraschung! Unkompliziert wie wir sind, reichen wir uns die Teller über den Tisch. Alle probieren von allem. Grosse Begeisterung. Fünf-Sterne-Kost. Sogar das vermeintlich gewöhnliche Poulet. Wir denken an die Touris am Hafen. Schadenfreude, sie verpassen was.

Am Tisch nebenan wird das Skandal-Steak serviert. Die Kellnerin bleibt beobachtend stehen. Grosse Anspannung. Die Frau schneidet sich ein Stück ab und beisst rein. «Très bien!», so das Verdikt. Die Kellnerin grinst und gesteht gut hörbar: «Das Steak ist nicht bien cuit, sondern à point.» Allgemeines Gelächter und eine peinlich berührte Dame. Hier gibts knallharten Gourmetservice, ob der Gast will oder nicht.

Wir sind begeistert. Wer extra einen Tisch heranschafft und so viel Wert auf die Küche legt, dem sind Gäste ein kostbares Gut. Kein Lokal, das von Touristen überschwemmt ist, gibt sich solche Mühe. Wir haben einen echten Geheimtipp gefunden! Und einen solchen verrät man nicht in aller Öffentlichkeit.

Wer wissen will, wo er dieses Lokal findet, schreibt an samuel.rink@tageswoche.ch. Der Autor ist gewillt zu verraten, wo sich dieses Lokal befindet, wenn er im Gegenzug ebenfalls einen echten Geheimtipp gesteckt bekommt.

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