Seit Oktober 2012 verhandelt die kolumbianische Regierung mit der linksgerichteten Farc-Guerilla, um den ältesten Bürgerkrieg Lateinamerikas zu beenden. Aktuelles Thema auf der Verhandlungsagenda: Drogenanbau. Das Bundesland Cauca steht dabei im Mittelpunkt des Interesses, ein Grossteil der dort lebenden Bauern baut Koka oder Marihuana an.
Nur in wenigen Gebieten Kolumbiens macht sich der Bürgerkrieg so sehr bemerkbar, wie im südwestlichen Bundesland Cauca. Die Region um die Dörfer Corinto und Toribio hat sich während der vergangenen Jahre zum Inbegriff eines Konfliktes entwickelt, der grösstenteils mit dem Drogenhandel finanziert wird. Eingebettet zwischen der West- und der Zentralkordillere der kolumbianischen Anden, ist das Gebiet nicht nur auf Grund der klimatischen Bedingungen für den Anbau von Koka und Marihuana geradezu prädestiniert, sondern es eignet sich ebensogut für den anschliessenden Vertrieb der Drogen. Auf heimlichen Schmuggelrouten sind es von der Kleinstadt Corinto aus gerademal 150 Kilometer bis an den Pazifischen Ozean, von wo aus die Drogen zunächst nach Mittelamerika und anschliessend in die USA gebracht werden.
Der 30’000-Seelen-Ort Corinto liegt am Fusse der Zentralkordillere, umgeben von Zuckerrohrplantagen, die sich Richtung Westen bis zum Horizont hinziehen. Mit Maschinengewehren im Anschlag patrouillieren Soldaten vorsichtig die Strassen. Die Polizeistation ist mit Sandsäcken gesichert, hinter denen Uniformierte misstrauisch jeden mustern, der ihnen zu nahe kommt. Durchschnittlich einmal pro Woche gibt es einen Bombenanschlag in Corinto oder in einem der umliegenden Dörfer.
Zwar ist die Stadt fest in der Hand kolumbianischer Streitkräfte, aber nur zehn Minuten ausserhalb ändert sich das. Dort beginnt eines der letzten Bollwerke der Farc-Guerilla – eine Gegend, in die sich das kolumbianische Militär nur schwer bewaffnet mit Black-Hawk-Hubschraubern hineinwagt. Das Hinterland Corintos ist eine Region, in der eigene Gesetze herrschen. Die lokale Wirtschaft dreht sich hauptsächlich um den Anbau von Koka und Marihuana. Drogenplantagen muss man deshalb auf den Hängen um Corinto herum gar nicht erst suchen. Man sieht sie auf den ersten Blick: Marihuana und Koka werden nur zwei Meter neben den schwer befahrbaren Lehmwegen angebaut.
Alternativen zum Marihuana- und Kokaanbau sehen die Bauern im Moment keine. (Bild: Oliver Schmieg) (Bild: Oliver Schmieg)
Friedensgespräche in Kuba
Mehr als 2000 Kilometer von Corinto entfernt, in der kubanischen Hauptstadt Havanna, führen seit Oktober 2012 Vertreter der kolumbianischen Regierung und der linksgerichteten Farc-Guerilla Friedensgespräche. Beendet werden soll der älteste Bürgerkrieg Lateinamerikas, ein Konflikt, der bis heute 220’000 Todesopfer gefordert und 5,7 Millionen Binnenflüchtlinge verursacht hat.
Seit Ende vergangenen Jahres steht auf der Gesprächsagenda der Friedensverhandlungen das Thema «Drogenanbau». Obwohl den Farc–Rebellen nachgesagt wird, sie würden 60% der Kokainproduktion Kolumbiens kontrollieren, gaben ihre Vertreter vor wenigen Wochen überraschend bekannt, dass sie hinsichtlich des Verhandlungsthemas «Drogenanbau» kurz vor einer Einigung mit der Regierung Juan Manuel Santos’ stünden. Sämtliche Koka- und Marihuanaplantagen, so die Vertreter der beiden Gesprächsparteien, sollen nach Unterzeichnung einer Friedensvereinbarung durch legale Anpflanzungen wie Kochbanane, Mais, Kaffee oder Yuka ersetzt werden.
Dass die Farc-Rebellen mit den Vertretern der kolumbianischen Regierung ausgerechnet in diesem Punkt übereinstimmen, erstaunt aus zwei Gründen: Zum einen finanzieren sich die Guerilleros hauptsächlich über den Drogenhandel, und zum anderen vertreten sie – so geben sie zumindest vor – die Interessen der ländlichen Bevölkerung Kolumbiens. Und genau dieser Bevölkerungsteil zeigt hinsichtlich des Themas «Drogenanbau» nur wenig Interesse an einer Übereinkunft zwischen Regierung und Rebellen. Fast ausnahmslos alle Bauern des Bundeslandes Cauca leben vom Marihuana- und Kokaanbau. Verkehrswege, auf denen ein Transport herkömmlicher Produkte zu akzeptablen Preisen möglich wäre, existieren in den Bergen dieser Region nicht.
«Wir werden auch weiterhin Koka und Marihuana anbauen»
Orfa Rojas lebt am Rande Corintos. Die 45-jährige ist Kokabauerin und Präsidentin des Bauernverbandes Zonas de Reserva Campesina del Cauca, einer Organisation, die die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der ländlichen Bevölkerung vertritt. Ihr Büro unterhält sie im Innenhof ihres Hauses. Kein Schild an der Einganstür, kein Hinweis darauf, dass sich hinter der mit Eisengittern geschützten Tür das Büro des Bauernverbandes befindet. Seit auf sie vergangenes Jahr ein Attentat verübt wurde, zieht sie es vor zurückgezogen zu leben.
Angehörigen des Bauernverbandes Zonas de Reserva Campesina wird in Kolumbien gerne unterstellt, sie seien Milizen der Farc-Rebellen – eine ausgesprochen gefährliche Behauptung. Mehr als 50 Jahre Bürgerkrieg haben das südamerikanischen Land deutlich geteilt: Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt die konservative rechte Regierung, während sich nur eine kleine Minderheit auch öffentlich zu linken, politischen Ideologien bekennt. Orfa Rojas ist Sozialistin und in Kolumbien bedeutet das, dass sie mit Todesdrohungen leben muss.
«Aus meiner Sicht gibt es im Moment keine Alternative zu Koka oder Marihuana. Würden unsere Bauern Kochbanane anbauen, dann könnten sie diese hier im Dorf nicht rentabel verkaufen. Bei den Preisen, die angeboten werden, müssten sie ihr Produkt praktisch verschenken», gibt Orfa Rojas zu bedenken. Die Bauernvertreterin des Bundeslandes Cauca nimmt kein Blatt vor den Mund: «Über Jahre hinweg wurden uns Strassen versprochen, die nie gebaut wurden. Der Transport von Mais, Kaffee oder Yuka wäre daher im Moment derart teuer, dass diese Produkte kein Verbraucher bezahlen könnte», ist sie überzeugt.
Orfa Rojas lebt am Rande Corintos. Die 45-jährige ist Kokabauerin und Präsidentin des Bauernverbandes Zonas de Reserva Campesina del Cauca. (Bild: Oliver Schmieg) (Bild: Oliver Schmieg)
Kokablätter als Zahlungsmittel
Orfa Rojas weiss, wovon sie spricht. Im Gegensatz zu herkömmlichen landwirtschaftlichen Produkten müssen sich die Bauern nicht um den Transport ihrer Koka- oder Marihuanablätter kümmern – die werden direkt von ihren Fincas abgeholt. Und in vielen Dörfern der Region müssen die Bauern selbst darauf nicht warten: In den Geschäften können sie mit Koka oder Marihuana sogar bezahlen – die Blätter ersetzen die Landeswährung, den kolumbianischen Peso.
Bauernvertreter wie Orfa Rojas haben der kolumbianischen Regierung bereits vor Jahren Vorschläge unterbreitet, die zum Ziel haben den Drogenanbau zu stoppen. Würden sie zumindest vorübergehend staatliche Subventionen in Höhe von 50% ihres Einkommens erhalten, erklärt die Präsidentin des Bauernverbandes Zonas de Reserva Campesina del Cauca, dann wären sie bereit ihre Anpflanzungen schrittweise gegen andere Produkte auszutauschen.
«Von den Friedensverhandlungen haben wir erst aus der Presse erfahren. Die Vereinbarungen, die in Havanna getroffen werden, sind deshalb für uns auch nicht bindend. Sollten unsere Bedingungen nicht erfüllt werden, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, als auch weiterhin Koka und Marihuana anzubauen», sagt Orfa Rojas. Bestehen die kolumbianischen Bauern auf ihren Standpunkt, dann wäre ein künftiger Konflikt vorprogrammiert. Sollten sich die Koka- und Marihuanabauern aus dem Bundesland Cauca weigern ihre Drogenplantagen aufzugeben, dann müssten die Friedensverhandlungen als gescheitert betrachtet werden.
Präsidentschaftswahlen im Mai
Für kommenden Mai sind in Kolumbien Präsidentschaftswahlen vorgesehen. Juan Manuel Santos stellt sich für eine Wiederwahl zur Verfügung. Viele Experten glauben, es gäbe keinen ernsthaften Oppositionskandidaten. Nach mehr als 50 Jahren Bürgerkrieg wünschen sich die Kolumbianer nichts sehnlicher als Frieden – und gerade den verspricht Santos seinen Landsleuten. In den wenigen verbleibenden Wochen bis zum ersten Wahldurchgang wird es allerdings mit Sicherheit zu keinem Abschluss der Friedensgespräche kommen. Nach mehr als einem Verhandlungsjahr ist man mit dem Thema «Drogenanbau» gerade erst beim dritten von fünf Verhandlungspunkten angelangt.
In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Kolumbianer befürwortend bei möglichen Friedensvereinbarung stimmen werden, ist ein positives Wahlergebnis für den aktuellen kolumbianischen Präsidenten sehr wahrscheinlich. Eine Abstimmung gegen Santos würde, so meinen viele Kolumbianer, das Ende der Friedensverhandlungen bedeuten.
«Frieden beginnt bei Chancengleichheit»
Orfa Rojas erstaunt, wie schnell sich die beiden Verhandlungsparteien hinsichtlich des Themas «Drogenanbau» angenähert haben. Der Friedenseuphorie in ihrem Land will sie allerdings nicht ohne weiteres zustimmen. «Es gibt nach wie vor soziale Ungerechtigkeit in Kolumbien – und die hat nichts mit Drogenanbau zu tun. Genauso wie vor Jahrzehnten stehlen uns die Grossgrundbesitzer auch heute noch unser Land. Wir werden vertrieben und müssen dann davon leben, in irgendeiner Grosstadt wie Bogotá oder Cali Süssigkeiten an einer Ampel zu verkaufen. Frieden fängt bei Chancengleichheit an – und wenn uns die nicht garantiert wird, dann kann es keinen Frieden geben», erklärt die Bauernvertreterin.
In Kolumbien gibt es heutzutage so gut wie niemanden, der sich an ein Leben ohne Bürgerkrieg erinnern kann. «Natürlich wünschen wir uns Frieden», sagt Orfa Rojas. «Allerdings muss uns auch klar sein, dass dieser einen Preis haben wird – und den muss unsere ganze Gesellschaft zu bezahlen bereit sein, nicht nur ein paar Bauern», ergänzt sie.
Landwirtschaft ohne den Koka- und Marihuanaanbau ist für die kolumbianischen Bauern heute undenkbar. Die Angst zu verarmen, ist gross. (Bild: Oliver Schmieg) (Bild: Oliver Schmieg)
Ein gespaltenes Land
Im Wahljahr 2014 ist Kolumbien tief gespalten. Auf der einen Seite diejenigen, die nur zu gerne einem Präsidenten vertrauen möchten, der von vielen schon jetzt als fester Anwärter auf einen Friedensnobelpreis gehandelt wird. Und auf der anderen Seite eine kleine Minderheit, die zu bedenken gibt, dass ein unüberlegt und vorschnell geführter Friedensprozesse wahrscheinlich zu Problemen in der Zukunft führen wird.
Kritiker erinnern an die Friedensvereinbarungen, die der ehemalige Präsident Alvaro Uribe im Jahr 2005 mit rechtsextremen paramilitärischen Gruppen unterzeichnete. Mehr als 30’000 Paramilitärs legten damals ihre Waffen nieder. Wegen fehlender sozialer Programme blieb den meisten Mitgliedern der rechten Milizen jedoch eine Reintegration in die Gesellschaft verweigert.
Militärisch ausgebildet, gründeten sie deshalb nur kurze Zeit nach Abschluss der Friedensgespräche kriminelle Banden, heute bekannt als Bacrim – Bandas Criminales. Die Drogenkartelle Los Urabeños und Los Rastrojos wurden unmittelbar nach dem von Alvaro Uribe geführten Friedensprozess ins Leben gerufen. Bleibt zu hoffen, dass bei den aktuellen Verhandlungen mit der Farc-Guerilla nicht das gleiche geschieht.