Kostet ruckelfreies Fernsehen im Internet bald extra?

Provider verlangen von Content-Anbietern immer öfter Geld für schnellen Datentransfer. Aktivisten warnen vor einem Zwei-Klassen-Internet. Nun steht der Staat vor der Frage, ob er eingreifen muss. Die Gegner sind die Giganten in der Branche.

Provider verlangen von Content-Anbietern immer öfter Geld für schnellen Datentransfer. Aktivisten warnen vor einem Zwei-Klassen-Internet. Muss der Staat das Internet schützen, das wir heute kennen?

Das möglicherweise langweiligste Video der Welt ist eine Eigenproduktion von Netflix und es wollte an diesem Abend einfach nicht laden. «Verizon hat heute Abend einen neuen Feind bekommen», schrieb der Texaner David Raphael in seinem Blog und legte dar, wie im Kampf um die Zukunft des Internets mit unfairen Mitteln gekämpft wird.

Er wusste: An ihm lag es nicht, dass das Video stockte. Er bezahlt jeden Monat einen dicken Betrag für eine extraschnelle Verbindung an Verizon, einen der grössten Internet-Anbieter des Landes. Um seinem Verdacht nachzugehen, machte er einen Test aus dem Netzwerk seiner Firma. Plötzlich hatte die Verbindung die volle Geschwindigkeit. Das machte das langweiligste Video der Welt nicht besser, aber es wurde – wie alle anderen Netflix-Angebote – nun flüssig, ruckelfrei und in der besten Bildqualität gespielt. An Netflix lags also auch nicht.

Das war im Februar. Inzwischen sind die Probleme verschwunden. Der Unterschied zwischen damals und heute: Verizon lässt sich nicht mehr nur von Privatkunden wie David Raphael bezahlen, sondern auch von Netflix selbst. Einige glaubten, dass Verizon Netflix absichtlich verlangsamte, um eine solche Zahlung durchzusetzen. In einem Chat mit David Raphael gab das ein Support-Mitarbeiter von Verizon zu.

Als müsste ein Postempfänger Porto zahlen

Der Anbieter sagt, der Mitarbeiter sei falsch informiert gewesen. Doch das Dokument verbreitete sich auf der ganzen Welt und fand seinen Weg auch in die Schweiz. In einem Bericht des Bundesamtes für Kommunikation plädiert unter anderem die Digitale Gesellschaft dafür, dass der Staat Internetanbieter davon abhalten müsse, Extragebühren für schnellere Internetverbindungen auch von Inhalteanbietern zu kassieren. «Das wäre dann, wie wenn bei die Post auch vom Empfänger Geld verlangen würde, um einen Brief zu liefern», sagte Andreas Von Gunten, der für die Digitale Gesellschaft mit am Diskussionstisch sass.

Beim Kampf um Netzneutralität geht es darum, wie Inhalte über das Internet übertragen werden, wer dafür bezahlen soll und ob der Staat eingreifen muss.

Der Kampf um die Netzneutralität ist mittlerweile in der politischen Schweiz angekommen. Es geht darum, wie Inhalte über das Internet übertragen werden, wer dafür bezahlen soll und ob der Staat eingreifen muss. Dabei schauen die Schweizer Entscheidungsträger auf genau solche Szenen, wie sie der Internetnutzer David Raphael an diesem Abend im Februar erlebte. Denn das langweiligste Video der Welt hat eine interessante Information in der Ecke links oben. Dort zeigt das Testvideo des Online-Services Netflix an, in welcher Geschwindigkeit das Video bei Nutzern wie Raphael ankommt.

Streamen, ohne das Datenvolumen anzubrauchen

Um ein Zwei-Klassen-Internet in der Schweiz zu verhindern, soll die sogenannte Netzneutralität im Gesetz verankert werden. Alle Daten, egal woher sie kommen und egal wer sie sendet, sollen gleich behandelt werden. So jedenfalls die Forderung der Befürworter, zu denen auch das Schweizer Fernsehen und der Konsumentenschutz zählen.

Mit am Verhandlungstisch sassen auch Vertreter von Swisscom, Cablecom, Sunrise und Orange, die sich wenig überraschend nicht vom Staat reinreden lassen möchten. Mit gutem Grund: Orange beispielsweise bietet Mobilfunk-Abos an, mit denen man Musik beim Anbieter Spotify aus dem Internet streamen kann, ohne dass das inbegriffene Datenvolumen angebraucht wird. Beim Spotify-Konkurrenten Deezer hingegen würde es angebraucht. Sunrise hat ähnliche Angebote.

Swisscom, Cablecom, Sunrise und Orange möchten sich nicht vom Staat reinreden lassen.

Swisscom und Orange bieten zudem eigene oder Partnerdienste an, die man nutzen kann, ohne dass das Datenlimit angebraucht würde. All das würde gegen die Netzneutralität verstossen. Auch im Ausland gibt es Beispiele, in denen Internetanbieter Datenpakete von Konkurrenten langsamer transportierten. Einige blockierten Filesharing-Netzwerke wie BitTorrent. Andere blockierten Internet-Telefonie.

Swisscom gegen Zattoo

Das ist besonders pikant, wenn Internetanbieter gleichzeitig Inhalte verkaufen und damit direkt mit Firmen wie Netflix in Konkurrenz stehen – so wie in der Schweiz die Swisscom und die Cablecom. Dieser Interessenkonflikt bestehe nicht, schrieben sowohl Cablecom wie auch Swisscom in E-Mails an die TagesWoche. «Swisscom ist daran interessiert, möglichst allen (eigenen und fremden, aber legalen) Content in möglichst guter Qualität zu transportieren, um dem Kunden ein gutes Erlebnis beim Internetzugang zu bieten.»

Dennoch kämpft die Swisscom vor Gericht derzeit dafür, sich den Transport von Daten des TV- und Radio-Streamingdienstes Zattoo bezahlen zu lassen. Eine Verfügung verhinderte das bisher, doch der Fall ist vor Gericht hängig.

Schnellstrassen und Umwege

Die öffentliche Debatte hat vielen einen Einblick gegeben, wie das Internet wirklich funktioniert – und, dass es darin Schnellstrassen und Abwege gibt: Denn wenn wir ein Video anwählen, kommt es über den Umweg einer Reihe verschiedener Netzwerke zu uns. Das erste ist der Anbieter selbst. Das letzte der Internet-Dienstleister wie beispielsweise die Swisscom. Dazwischen gibt es eine Reihe anderer Anbietern mit eigenen Netzwerken.

Um eine Schnellstrasse herzustellen, können sich grosse Firmen direkte Zugänge zu grossen Internetanbietern erkaufen oder ihre Inhalte auf Servern lagern, die das tun. So kommen Inhalte ohne Umwege an – gegen eine Gebühr, wie sie Verizon von Netflix verlangte. Der Scheck sicherte Netflix direkten Zugang, und Verizon machte zwei Mal Kasse: einmal bei den Empfängern und einmal bei Netflix, dem Sender.

Ähnliche Deals hat Netflix mit den Verizon-Konkurrenten Comcast, Time Warner Cable und AT&T. Netflix hätte auch ohne diese Schnellstrassen liefern können, argumentiert der Online-Service. Joris Evers, Pressesprecher des kürzlich auch in der Schweiz gestarteten Services, schrieb in einer E-Mail, dass Internetanbieter nicht zweimal kassieren dürften. Stattdessen sollten sie «Zugriff auf alle Seiten bieten, nicht nur die eigenen oder solche, die extra bezahlen».

Google hat die Einladung zur Diskussionen über Netzneutralität ausgeschlagen. Das Grossunternehmen kann sich schnelle Leitungen leisten.

Doch wenigstens kann sich Netflix diese Zahlungen einigermassen problemlos leisten. Sorgen müsse man sich eher um das Netflix von morgen, sagt Andreas Von Gunten von der Digitalen Gesellschaft. Für neue, kleinere Anbieter werde die Schwelle höher, dieselbe Qualität wie etablierte Konkurrenten anbieten zu können, wenn sie in jeder Ecke des Internets eine Schnellstrassen-Gebühr abliefern müssten. «Es ist ein Kampf der Zivilgesellschaft gegen Oligopol-Strukturen», sagt Von Gunten. Das Netz, dominiert von wenigen Giganten, die entscheiden, welche Inhalte im Internet schnell und welche nicht so schnell geliefert werden sollen.

Die Giganten von heute sind wohl darum auch nicht stark involviert in den Kampf. Google beispielsweise wurde zu den Diskussionen für den Bakom-Bericht eingeladen, hat aber dem Bericht zufolge abgelehnt. Das Grossunternehmen profitiert davon, dass es sich die Schnellstrassen leisten kann. «Die Chance ist relativ gross, dass sie sich damit lästige, neue Wettbewerber vom Hals halten können», sagt Von Gunten.

Der Aufstand der Kleinen

In den USA wird der Kampf am leidenschaftlichsten von kleineren Anbietern geführt wie beispielsweise von Tumblr, dem Blogging-Netzwerk, das von Yahoo gekauft wurde. «Stoppt Langsam-Spuren im Internet, die alles ruinieren», forderte das Netzwerk an einem Aktionstag im September seine jungen Nutzer auf und übersäte seine Seite mit den kreisrunden Ladesymbolen, die fast jeder Internetnutzer kennt. Ähnliche Aktionen führten Browser-Hersteller Mozilla oder YouTube-Konkurrent Vimeo durch. Es sind Versuche, mit dem Begriff «Netzwerkneutralität» die Gemüter aufzuheizen.

Der Baselbieter Nationalrat Thomas de Courten hat gegen die Netzneutralität gestimmt.

Der Schweizer Nationalrat hat sich überzeugen lassen, dass die Netzneutralität gesetzlich verankert werden muss. Der Rat votierte im Juni mit grosser Mehrheit dafür. Erfolglos dagegen gestimmt haben fast geschlossen FDP und CVP, einige BDP-Vertreter und ein Vertreter der SVP, der basellandschaftliche Nationalrat Thomas de Courten. Das verspricht eine spannende Debatte im Ständerat, wo die CVP und die FDP in der Mehrheit sind.

Provider gegen «Regulierung auf Vorrat»

Die Provider werden ihre Freiheit, neue Produkte anzubieten, nicht so leicht aufgeben und gegen eine «Regulierung auf Vorrat» kämpfen, wie es Swisscom-Sprecher Josef Huber in einer E-Mail beschrieb. «Die Frage der Netzneutralität stellt sich bei einem allfälligen Stau. Eine Gleichbehandlung von Datenpaketen für einen YouTube-Film mit Datenpaketen für die Telemedizin liesse sich nicht rechtfertigen.»

Zumindest im Netz der Cablecom dürfte es erstmal nicht zu Staus kommen, schreibt Cablecom-Sprecher Andreas Werz in einer E-Mail, «weil wir in unserem gesamten Anschlussgebiet ein modernes und leistungsfähiges Glasfaserkabelnetz besitzen, das über ausreichende Internetkapazitäten und über genügend freie Kapazitäten verfügt.» Ein staatlicher Eingriff sei daher schlicht unnötig, Cablecom werde sich «in absehbarer Zeit» nach dem Prinzip der Netzneutralität verhalten.

In den USA liessen sich Millionen von ähnlichen Beteuerungen ihrer Anbieter nicht überzeugen und forderten klare Regeln für Netzneutralität von der zuständigen Behörde Federal Communications Commission (FCC). Aber auch sie warten noch.

 
Das Thema Netzneutralität hat aufgrund seiner eher langweiligen Natur einen schweren Stand, die Gemüter in Wallung zu bringen. Im Sommer widmete sich der englische Comedian John Oliver eine viertel Stunde lang genau dieser Tatsache – und brachte mit seinem Aufruf an die Zuschauer die Server der zuständigen Behörden zum erliegen. Ein Lehrstück ins Sachen politischer Satire:

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