Basel erhält einen schönen, neuen Platz direkt vor seinem Wahrzeichen – und ein Problem von einer ganz neuen Dimension. Dabei geht es im aufkeimenden Streit um die Bespielung des Münsterplatzes nur vordergründig um etwas mehr Ruhe oder ein bisschen mehr Happening. In den Diskussionen prallen Welten aufeinander: protestantische, katholische und esoterische.
Grossartig, phantastisch, marvelous! Diese Formen und Figuren! Diese schlichte Eleganz! Und gleichzeitig: diese Grosszügigkeit! Über das Basler Münster sagen alle das Gleiche, einfach in etwas anderen Worten und unterschiedlichen Sprachen.
Fachleute wie Marcial Lopez, langjähriger Mitarbeiter und Meister in der Münsterbauhütte, schwärmen ebenso wie die drei älteren Damen aus Amerika, die in diesem Winter zum ersten Mal in Basel sind und sich zuerst einmal viel, viel Zeit für das Münster nehmen. Mithilfe eines etwas unhandlichen Plans mit unzähligen Zeichnungen und handgekritzelten Notizen studieren sie aussen zuerst die Galluspforte mit dem eher mild wirkenden Christus als Weltenrichter (pretty!). Dann die Türme (great! – wenn auch nicht ganz so great wie bei anderen Kirchen in Frankreich – oder war es Italien?). Und schliesslich die beiden Heiligen, die den beiden Türmen ihren Namen gaben: der heldenhafte Georg und der wohltätige Martin (die sind dafür just great!).
Schöne neue Pläne für den Kultort
Wenn es ums Münster geht, sind sich selbst hochgeis-tige Kirchenleute und eher esoterisch angehauchte Menschen einig. «Die Ausstrahlung, die dieser Bau hat, ist einzigartig», sagt Lukas Kundert, Präsident der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt, und der geomantische Stadtforscher Oliver Dinten stimmt ihm zu. Sie beide haben auch die gleiche Erklärung für die Wucht der Kirche: ihre grosse Vergangenheit. «Im Münster hat eine ganze Reihe grosser Persönlichkeiten gepredigt. Hier wird seit über tausend Jahren immer wieder Weltgeschichte geschrieben», sagt Kundert. Dinten denkt sogar noch weiter zurück, in die Zeit der Kelten, die auf dem Münsterhügel schon vor über zweitausend Jahren ihre Heiligen verehrten.
Diese Kraft, diese Energie sei bis heute zu spüren, auch wenn sie mit dem Bau des Münsters und der Reformation immer wieder verändert und teilweise zerstört worden sei, sagt Dinten: «Das ganze Gebiet ist noch immer ein Kraftort. Ein Kosmos im Kleinen.» Mit positiver wie negativer Energie: «Es gibt Stellen, an denen geht einem das Herz auf, und andere, da fühlt man sich unwohl und eingeengt.» Dort dränge es einen weiter, in die positive Energie, wo man einfach nur sein könne, unbeschwert, meditierend, bis man in sich und der Welt versinke. Ein Zustand schon fast wie im Himmel, wie man ihn im Münster an vielen Stellen erleben kann, sagt Dinten.
Nun soll rund ums Münster, dieses kleine Paradies, alles sogar noch besser werden. In den kommenden Monaten wird die 25 Jahre dauernde erste Rundumrestaurierung des Münsters abgeschlossen und gleichzeitig auf dem ganzen Platz das Kopfsteinpflaster fertig verlegt sein. 2019 folgt der nächste Höhepunkt: Zum 1000-Jahr-Jubiläum des zweiten Münsterbaus, des Heinrichs-Münsters, wird dem Monument ein papierenes Denkmal gesetzt: ein Kunstdenkmalband mit vielen Fotos und noch mehr Beschreibungen. «Damit wird der lang erwartete Gesamtüberblick über den Münsterbau endlich vorliegen», kündigt Dorothea Schwinn Schürmann, eine der beiden Hauptautorinnen, an (mehr dazu auf Seite 11).
Fast wie ein neuer Kulturkampf
Das sind gute Aussichten für die Münster-Verehrer. Möglicherweise freuen sie sich aber zu früh – weil Basel im nächsten Jahr nicht nur einen grossen, schönen, neuen Platz, sondern auch ein Problem erhält, das noch ganz andere Ausmasse annehmen könnte. Denn spätestens nach dem Abschluss der Arbeiten müsste eigentlich auch klar sein, wie dieser himmlische Flecken genutzt werden soll. Gute Ideen gab es in der Vergangenheit viele, etwa für Strassencafés und eine Buvette im Sommer oder eine Eisbahn im Winter.
So unterschiedlich die Projekte auch waren, eines haben sie gemeinsam: Sie alle scheiterten am Widerstand der Anwohner, des Denkmalschutzes und vor allem der Kirchenvertreter. Der Münsterplatz sei seit jeher ein Ort der Ruhe und Besinnlichkeit und müsse das auch in Zukunft bleiben, sagten die Reformierten mit Unterstützung der zumeist gut-betuchten Ruhebewahrer, und die Behörden gaben jeweils nach. Es war schon fast ein neuer Kulturkampf, der rund um den schönsten Platz ausgetragen wurde. Geld und Geist gegen das Fleisch, das Wort gegen das Vergnügen, die Kirche gegen die Masse.
Protestantismus gegen Katholizismus
Früher war alles noch eins. Da wurde auf dem Münsterberg nicht nur gebetet, gebeichtet und an mehreren Altären gleichzeitig gepredigt, nein, damals wurde dort auch noch gehandelt, gefeiert und gebechert und notfalls auch mal zugeschlagen oder zugestochen. Im Mittelalter war der angeblich seit jeher so besinnliche Münsterplatz auch ein Marktplatz. Und Jahr für Jahr trugen die Ritter dort während der Fasnacht und am 8. September ihre Turniere aus. Es ging häufig hoch zu und her, und manchmal wurde es auch ziemlich brutal. Schlimm war zum Beispiel die Tribüne, die unter dem Druck der Zuschauermassen zusammenbrach. Und noch sehr viel schlimmer war die Randale vom 26. Februar 1376, dem Tag, der unter dem Begriff «Böse Fasnacht» in die Geschichte einging.
Es war ein Tag, der anscheinend ganz angenehm anfing. Die feinen Damen und Herren der Basler Gesellschaft assen, tranken und tanzten mit ihren Gästen aus nah und fern in den vornehmen Häusern rund um den Münsterplatz. Auf dem Platz veranstaltete das Gefolge des ebenfalls anwesenden Herzogs Leopold III. ein Ritterturnier. Dabei war die Stimmung unter den einheimischen Zuschauern, Handwerkern vor allem, wahrscheinlich von Anfang an etwas angespannt, trotz des Feiertags. Ursache für die Gereiztheit war ein langwieriger Streit zwischen dem Bistum Basel und dem Habsburger Leopold um die Hoheit übers Kleinbasel, das der klamme Bischof verpfänden musste.
«Zornige» Basler
Es war ein Konflikt, der die ganze Stadt erfasste, in verschiedene Lager teilte, und der schliesslich am 26. Feburar 1376 eskalierte, als beim Ritterturnier Speere in die Zuschauer flogen. Die Basler reagierten «zornig», wie ein Chronist festhielt, was eher noch eine Untertreibung war. Die aufgebrachte Menge erschlug mehrere habsburgische Edelleute und Knechte und nahm rund 50 Grafen, Domherren, Ritter und Dienstleute gefangen. Der Herzog konnte sich mit einem Schiff über den Rhein retten, war gegenüber den Baslern aber dennoch nachhaltig verstimmt. Da nützte es auch nicht mehr viel, dass der Basler Rat ihn zu besänftigen versuchte, indem er «fremdes Volk und böse Buben» für die Tat verantwortlich machte und zwölf angebliche Rädelsführer hinrichten liess.
Auf Drängen Leopolds hin verhängte das Reich gegen Basel die Acht. Davon befreien konnte sich die Stadt nur noch mit dem Versprechen, Leopold und seinem Bruder Albrecht künftig zu dienen. Es war für Basel ein ziemlich unvorteilhaftes Abkommen, das längerfristig aber nichts daran änderte, dass in Basel jene Kräfte immer stärker wurden, die sowohl die habsburgische als auch die bistümliche Hoheit abschütteln wollten. Ihrem Ziel einen wesentlichen Schritt näher kamen sie, als Leopold 1386 in der Schlacht von Sempach starb: Nun konnte die Stadt Leopolds Kindern das Kleinbasel abkaufen. Der Bischof hatte kein Geld mehr, um das Pfand einzulösen.
Grosse Persönlichkeiten, grosse Geschichte
Die Böse Fasnacht war eine drastische Episode in der Geschichte des Münsterplatzes und der Stadt. Aber keine untypische. Beim Münster wurde immer auch Politik gemacht, grosse Politik teilweise, von Persönlichkeiten wie dem Kaiser Heinrich II. und seiner Frau Kunigunde etwa, die die Stadt 1006 als Pfand übernahmen und danach förderten wie sonst kaum jemand. Das hat sie in Basel unsterblich gemacht. Verewigt sind die beiden grossen Figuren auch auf dem Münster – als Heilige und Stifter des Neubaus von 1019. Ähnlich lebhaft blieb die Erinnerung an Königin Anna – obwohl sie erst als Tote nach Basel kam. Die Gemahlin Rudolfs von Habsburg starb 1281 in Wien und wurde danach auf eigenen Wunsch im Basler Münster bestattet, um den Basler Bischof wieder zu versöhnen. Rudolf hatte ihn zuvor jahrelang bekämpft.
Oder Papst Felix V.! Auch er wurde in Basel zu einer historischen Figur. Im Rahmen des Konzils von Basel wurde er 1440 im Haus zur Mücke am Münsterplatz zu einem der letzten Gegenpäpste der Weltgeschichte gewählt. Bei seiner Einsetzung sollen sich 50 000 Menschen auf dem genau gleichen Münsterplatz gedrängt haben, den die reformierte Kirche heute am liebsten leer hätte. Damals kletterten die Gläubigen und Schaulustigen auch auf Dächer und Bäume, weil es auf dem Platz unten so eng war.
Diese Feiern waren Massenveranstaltungen. Und perfekte Inszenierungen der Allmacht Gottes und der Stärke der Kirche. Glaube, Politik, Happening – alles passte prächtig zusammen, das war die Stärke der mittelalterlichen Kirche – und wohl auch ihre Schwäche, weil Macht und Moral selten gut zusammengehen. Und schon gar nicht über eine längere Zeit. Vielleicht ein Grund, warum die Konzile bei ihrem Versuch scheiterten, die zunehmend stärker befleckte Autorität der Kirche von innen heraus zu reinigen. Wirkliche Reform war nur noch auf Kosten einer Spaltung möglich.
Im Februar 1529 war es in Basel so weit, wobei die Reformierten selber auch nicht unbedingt einen besinnlichen Einstand im Münster gaben. Sie stürmten ins Gotteshaus, zerstörten Bilder und Altäre und vertrieben den Bischof und seinen Hofstaat aus der Stadt. Die Reformierten hatten sich durchgesetzt.
Neue Ordnung
So konnten sich die Reformierten nach dem Bildersturm schon bald daran machen, eine neue Ordnung zu etablieren. Eine strenge Ordnung. Ehebrechern wurden harte Strafen angedroht, das Tragen aufreizender Kleider («zerhauene Hosen») wurde verboten ebenso wie übemässiges Trinken. Auch Nachtlärm und das Überziehen der Polizeistunde sollten nicht länger geduldet werden. Allmählich wurde es wieder ruhig in Basel, vor allem vor der ehemaligen Bischofskirche.
Der Münsterplatz entwickelte sich zum möglicherweise protestantischsten Ort in der allgemein ziemlich protestantischen Stadt, zum Ort der Stille und der Besinnung. Aus dieser Geschichte ziehen die verschiedenen Menschen nun die unterschiedlichsten Schlüsse. Diese Besinnlichkeit mache den Charakter dieses Platzes aus und müsse unbedingt bewahrt werden, sagen Kirchenpräsident Kundert und Stadtforscher Dinten. «Das ist die Voraussetzung dafür, dass das Münster seine Kraft entfalten kann und seine uralten Botschaften auch von den heutigen Menschen noch wahrgenommen werden können», sagt Dinten. Und Kundert ist entschlossen, seine Kirche gegen den zunehmenden Kommerz zu verteidigen. Gegen Bars und Buvetten mit WC-Kabinen zum Beispiel. Oder gegen einen Weihnachtsmarkt, der – künftig möglicherweise anders als in diesem Jahr – schon vor dem Totensonntag beginnen soll.
Nur bedingt Verständnis für solche Aussagen hat der Basler Historiker Werner Meyer. «Die Nutzung des Münsterplatzes sollte sich nach der Nachfrage richten», sagt er. Historisch lasse sich die Forderung nach einem möglichst stillen Platz nur sehr bedingt rechtfertigen: «Dieses Ideal ist sehr viel jünger als das Münster. Seine Wurzeln sehe ich im 16. und 17. Jahrhundert, im Protestantismus und Pietismus.» Spätestens seit die Stadt den Platz jahrelang als Parking nutzen liess, hält Meyer dieses Ideal nun ohnehin für «etwas verlogen».
Behörden warten auf eine Eingebung
So kündigt sich eine neue Debatte um die Nutzung des Münsterplatzes an. Und ein neuer Kulturkampf, Protestantismus gegen Katholizismus, gegen die nicht tot zu kriegende Frivolität aus den grossen Zeiten der alten Kirche.
Und wieder einmal versuchen die Behörden, sich aus dieser Auseinandersetzung möglichst herauszuhalten. «Ein Konzept für die Nutzung des Münsterplatzes haben wir noch nicht», sagt Departementssprecher Marc Keller jedenfalls. Dafür müsse man zuerst einmal schauen, wie der neue Platz wirke.
Ob viel herauskommen wird, wenn sich die höchsten Vertreter des Baudepartements im nächsten Jahr vor dem Münster aufbauen werden, um den Platz zu spüren, um zu erfahren, wie er lebt?
Kaum, wenn stimmt, dass aus nichts nichts wird. Für die Behörden könnte es dennoch eine gute Erfahrung geben – in meditativer Hinsicht.
Quellen
Lithografie „Bildersturm“ aus dem Staatsarchiv: Link zur Quelle
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23/12/11