Kultwerk #75: LSD – Mein Sorgenkind

Vor 70 Jahren hat der Sandoz-Mitarbeiter Dr. Albert Hofmann die Welt mit anderen Augen gesehen.

Trip für die Ewigkeit: Albert Hofmann erweiterte mit LSD die Pforten der Wahrnehmung.

Es ist die berühmteste Velofahrt in der Geschichte der wissenschaftlichen Forschung: Am 19. April 1943, vor 70 Jahren also, verliess Dr. Albert Hofmann sein Labor in der Basler Sandoz vorzeitig. Er hatte aus dem Mutterkornpilz eine Sub­stanz synthetisiert und im Selbstversuch eingenommen. «Ich konnte nur noch mit grösster Anstrengung verständlich sprechen und bat meine Laborantin, mich nach Hause zu begleiten. Schon auf dem Heimweg mit dem Fahrrad nahm mein Zustand bedrohliche Formen an. Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie ein gekrümmter Spiegel.»

Albert Hofmann
Seine Entdeckungen haben ihn überlebt: Methergin wird in der Gynäkologie eingesetzt, um Nachgeburtsblutungen zu verhindern. Aus Hofmanns Labor stammt auch das Geriatricum Hydergin oder das Kreislaufpräparat Dehydergot.
In die Geschichtsbücher schrieb sich Albert Hofmann aber mit seiner Entdeckung von LSD und seinen Publikationen über psychoaktive Substanzen. Hofmann starb 2008 in seinem Haus in Burg im Leimental. Er wurde 102 Jahre alt.

Was der gottgläubige Hofmann entdeckt und eingenommen hatte, wirkte zunehmend furchteinflössend: «Alle Anstrengungen meines Willens, den Zerfall der äusseren Welt und die Auflösung meines Ich aufzuhalten, schienen vergeblich. Ein Dämon war in mich eingedrungen und hatte von meinem Körper, von meinen Sinnen und von meiner Seele Besitz ergriffen.»

Der Rauschzustand hielt Stunden an, Hofmann geriet in eine andere Welt, in andere Räume mit anderer Zeit, wie er protokollierte. Der Chemiker sprach von Lysergsäurediäthyl-amidtartrat, die Welt bald nur noch von LSD – dem potentesten Halluzinogen.

Der neugierige Forscher war weder Hippie noch Hallodri

Albert Hofmann erforschte weitere psychoaktive Substanzen, musste zugleich miterleben, wie «diese sakralen Drogen» in den 1960er-Jahren von Hunderttausenden entdeckt wurden. Dem Massenkonsum stand er kritisch gegenüber, «leichtsinnig und oberflächlich» schien ihm der Umgang. Bekümmert haben ihn im Zuge dessen auch die Verurteilung und Verbote durch Politik. «LSD – mein Sorgenkind», lautete denn auch der treffende Titel seines bekanntesten Buchs.

Dieses fasziniert noch heute, weil hier kein Hippie oder Hallodri eine Droge abfeiert, sondern ein Chemiker mit stupender Präzision aufzeigt, wie sich wissenschaftliche Forschung und mythische Erlebnisse nahestehen können. Hofmann beschreibt, wie sich ihm neue Pforten der Wahrnehmung geöffnet haben, ortet Probleme, aber auch Potenziale – etwa in der Psychiatrie und Medizin. Zudem zieht er philosophische Erkenntnisse: «Man darf annehmen, dass im gleichen Masse, wie unser geistiges Wesen durch unseren Chemismus, unser stofflicher Organismus durch unseren Geist beeinflusst ist und geformt wird.»

Hofmanns Entdeckung beeinflusste Kultur (von der Literatur über die Kunst bis zur Musik), Gesellschaft, ja, sogar die Wirtschaft nachhaltig: Apple-Gründer Steve Jobs zählte LSD-Trips zu den wichtigsten Erfahrungen seines Lebens. LSD habe ihm neue Denkmuster aufgezeigt.

Und die britische Zeitung «Guardian» kürte Albert Hofmann noch 2007, ein Jahr vor seinem Tod, nach einer Umfrage zum grössten Genie der Gegenwart.

  • Die Geschichte von Albert Hofmanns Entdeckung LSD wurde im Schweizer Dokumentarfilm «The Substance» aufgearbeitet.

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