Gewalttäter würden zu selten aus der Wohnung gewiesen oder in Anti-Aggressions-Kurse geschickt, kritisieren Fachleute. Das zuständige Departement verweist auf die getroffenen Massnahmen und die Komplexität der Fälle.
Wenn es um Gewalt zwischen Ehepartnern oder Liebhabern geht, wird immer wieder der Vorwurf laut, die Behörden gingen zu lasch vor und würden die Opfer zu wenig schützen. Etwa bei der Wegweisung: Wenn ein Mann seine Frau schlägt, bis die Polizei kommt, kann ein Dienstoffizier ihn aus dem Haus verbannen, für höchstens zwölf Tage. So steht es im Basler Polizeigesetz.
Doch mehrere Fachleute, die im Bereich häusliche Gewalt arbeiten, kritisieren gegenüber der TagesWoche, die Basler Polizisten würden die Täter viel zu oft in der Familie lassen. «Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit massiv, dass der Mann – oder in wenigen Fällen auch die Frau – noch einmal zuschlägt.»
Wenn der Täter dagegen weggewiesen wird, hat er Zeit, sich zu beruhigen und die Wut verfliegen zu lassen. Die Frau muss nicht Angst haben, dass sie und die Kinder weiter bedroht werden.
Vorstösse im Grossen Rat
Die Zahl der Wegweisungen wird nicht zum ersten Mal diskutiert. Bereits der Monitoringbericht Häusliche Gewalt 2012 zeigte: Bei 306 Polizeieinsätzen wegen häuslicher Gewalt innerhalb von zwölf Monaten wurde der Täter nur in 41 Fällen weggewiesen. Das sind 13 Prozent.
Ziel des Berichts war es, die Daten zu häuslicher Gewalt auszuwerten und die beteiligten Organe wie Polizei, Opferhilfe, Männerbüro oder Staatsanwaltschaft besser zu vernetzen. Seither werden die Zahlen zur häuslichen Gewalt in der allgemeinen Kriminalstatistik abgehandelt. Im Jahr 2014 erfasste diese 772 nach Polizeieinsätzen protokollierte Tatbestände, von Drohung über Körperverletzung bis zu Vergewaltigung.
Zur Einordnung: Schweizweit erlebt jede fünfte Frau Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Jedes zweite Tötungsdelikt findet in der Familie statt, wie das Justiz- und Sicherheitsdepartement schreibt.
Fachpersonen kritisieren, dass die Täter zu selten zur Rechenschaft gezogen und die Opfer häuslicher Gewalt zu wenig geschützt würden.
Fachpersonen kritisieren, wenn auch anonym, dass die Täter zu selten zur Rechenschaft gezogen und die Opfer häuslicher Gewalt zu wenig geschützt würden. Auch im Grossen Rat ist das ein Thema: Rot-grüne Grossrätinnen kritisieren, die häusliche Gewalt fände bei den Behörden zu wenig Beachtung und haben mehrere Vorstösse dazu eingereicht.
Verantwortliche halten selber wenig von den möglichen Massnahmen
Ein weiterer Streitpunkt sind die Anti-Aggressions-Programme. Dort lernen Männer bei Psychologinnen und Psychologen, wie sie Wut abbauen können, statt sie an ihrer Partnerin auszulassen. Die Täter können diese Kurse aus eigenem Antrieb besuchen oder nach einer Zuweisung durch Bewährungshilfe, Polizei oder andere Institutionen. Gezwungen werden können sie allerdings nicht.
Offenbar schicken die verantwortlichen Fachleute die Täter ungern in diese Trainings. Mehrere voneinander unabhängige Quellen sagten gegenüber der TagesWoche, das liege an der «Haltung» innerhalb der Justiz. Die Verantwortlichen gäben sich keine Mühe, die Täter vom Sinn eines solchen Kurses zu überzeugen, oder würden die Kurse sogar abwerten.
Im benachbarten Landkanton funktioniert das offenbar besser. 2015 schickten die Baselbieter Behörden 35 Männer in ein Training, die Basel-Städter dagegen nur sieben. In früheren Jahren war das Verhältnis ähnlich, wie der Jahresbericht des Kantons Baselland zur Häuslichen Gewalt zeigt.
Gerichtsverfahren dauern zu lange
Auch ein anderer Punkt sorgt immer wieder für Unmut: In vielen Fällen, die vor Gericht kommen, erfolgt nie ein Urteil. Acht von zehn Verfahren werden eingestellt. Kritiker wünschen sich von der Staatsanwaltschaft schnellere Verfahren. «Die Opfer haben doch keine Nerven, sich ewig lange mit der erlebten Gewalt auseinanderzusetzen.»
Allerdings liegt es nicht nur an der Dauer der Verfahren, dass fast alle Opfer zurückkrebsen, sondern auch an der Beziehung zum mutmasslichen Täter. Es braucht einiges, um den eigenen Partner vor Gericht zu zerren. Und häufig werden die Opfer vom Partner oder der ganzen Familie unter Druck gesetzt.
Dieses Problem ist bekannt, auch auf nationaler Ebene. Der Bundesrat will deshalb das Gesetz anpassen, wie er in einem Bericht Anfang 2015 schrieb. In Zukunft sollen die Strafverfolgungsbehörden entscheiden können, ob ein Strafverfahren gegen einen Gewalttäter eingestellt wird und nicht mehr die Opfer.
Departement kontert Kritik
Die fachliche Koordination des Themas Häusliche Gewalt liegt innerhalb der Kantonsverwaltung beim Fachreferat des Justiz- und Sicherheitsdepartements, ihr gehört auch die Fachstelle Häusliche Gewalt an. Das Departement trägt laut Mediensprecher Andreas Knuchel dem Thema angemessen Rechnung. Die Kritik sei nicht gerechtfertigt. Auch das Fachreferat würde es begrüssen, wenn mehr Straftaten bekannt würden und mehr gewalttätige Personen Beratung erhielten.
Die Behörden hätten bereits mehrere entsprechende Massnahmen ergriffen. So ist Anfang Jahr eine neue Verordnung in Kraft getreten: Im Rahmen eines Pilotprojekts erlaubt sie Polizisten, die Personalien gewalttätiger Personen auch dann an die Bewährungshilfe weiterzugeben, wenn diese nicht weggewiesen wurden. So wollen die Behörden erreichen, dass mehr Gewalttäter eine Gewaltberatung in Anspruch nehmen als bisher.
Ausserdem vergleiche die Fachstelle das eigene Vorgehen mit demjenigen in Zürich, um neue Erkenntnisse für «den operativen Bereich Basel-Stadt» zu gewinnen, sagt Knuchel. Auch das Monitoringprogramm werde überarbeitet.
Auf die Kritik der langen Verfahrensdauer angesprochen, räumt er ein, dass solche Verfahren einige Zeit in Anspruch nehmen, da Fälle häuslicher Gewalt schwierig zu beurteilen seien. Oft fehlten Zeugen, und es stehe Aussage gegen Aussage.