Leb‘ wohl in Deiner neuen Welt, René!

René Schweizer wollte die Welt entkrampfen, sie zum Lachen bringen, ihr den Hintern zeigen. Nun ist er im Alter von 72 Jahren gestorben. Erinnerungen an den Meister des Blödsinns.

René Schweizer wollte die Welt entkrampfen, sie zum Lachen bringen, ihr den Hintern zeigen. Nun ist er im Alter von 72 Jahren gestorben. Erinnerungen an den Meister des Blödsinns.

Am 27. Juli 1943 um 21.15 Uhr wurde im Kleinbasel René Schweizer geboren. Das war der Startschuss für sein lebenslanges Ringen, aus unserem «pflichtsüchtigen Planeten» einen freudetriefenden Himmelsball zu machen.

Schon als Kind vermochte René das Leben nicht ernst zu nehmen. Der normale Alltag mit seinen Leistungszwängen und Benimmvorschriften erschien ihm wie ein surrealistisches Schauspiel. Folgerichtig dachte er sich die Schule als eine Art «Magisches Theater», ganz von der Art, wie sie der (von ihm später hoch verehrte) Hermann Hesse in seinem «Steppenwolf» beschreibt: als ein Panoptikum von absurden, unwirklichen Bildern.

Die Wirklichkeit wurde von René Schweizer nämlich nie aus konventionellen Normvorgaben hergeleitet. Sie erschien ihm vielmehr als ein genuin affektives Erlebnis, das unentwegt neu zu schaffen ist. So ist es kein Wunder, dass dieser hoch kommunikative Mann kaum an «normalen» Gemeinschaftsaktivitäten interessiert war. Stets war ihm nur seine eigene Erlebniswelt wichtig. Nur so zum Spass konnte er keine Leute treffen. Das Normale langweilte ihn und verursachte körperliches Unbehagen. Seine Fantasie bot ihm genügend Unterhaltung, Nervenkitzel und Beschäftigung. Er liebte es, sie zu erforschen und zu entdecken.

Aus dieser Grundhaltung heraus wuchs René Schweizer sehr konsequent in eine Identität hinein, wie sie der Ethnopsychologe Paul Radin einem «Schelm» zusprach:

«Der Schelm kennt weder Gut noch Böse, ist jedoch für beide verantwortlich. Er kennt weder soziale noch moralische Werte, ist seinen Lüsten und Leidenschaften ausgeliefert, und doch werden alle seine Werte durch seine Taten ins Leben gerufen. Gelächter, Humor und Ironie durchpulsen alles, was der Schelm tut. Die Zuhörerschaft reagiert sowohl auf ihn wie auf seine Abenteuer hauptsächlich mit einem Gemisch von Gelächter und ehrfürchtiger Scheu.»

Alles dies spiegelte sich in Schweizers Vita, die eine Verkettung von bewundernswerten Leistungen, völlig unkonventionellen Aktionen und einem ausgesprochen impulsiven Agieren war. Es war ein Leben zwischen Extremen, bestimmt von hedonistischen Triebdurchbrüchen, die mit tagelangen alkoholgeschwängerten Ausschweifungen einhergingen. Dem schlossen sich asketische Intervalle an, in denen sich René Schweizer auf einsamen Wanderungen durch die Alpen selbst kasteite.

Symbolisch wollte er den Sturen, Verklemmten und Gestörten sowie den Anmassenden den Hintern zeigen.

1971 gründete Schweizer in Basel «ASS», eine Organisation zur «Veränderung der Welt und zur Verblüffung des Erdballs». Er wollte die Herausragenden aus der Welt des Humors zu einer schlagkräftigen globalen Truppe gegen die Übermacht des Ernstes vereinen. «ASS» ist nicht nur die höchste Spielkarte, sondern heisst gleichzeitig Popo auf Englisch. Symbolisch sollte dieser Körperteil den Sturen, Verklemmten und Gestörten sowie den Anmassenden, Megalomanen und Selbstverkennern entgegengestreckt werden, um sie zu «verblüffen» und vielleicht wach zu machen.

In der Folge hatte Schweizer (unter dem Pseudonym Joe Francobollo) mit der Gauklertruppe «Los Gorgonzolas» erfolgreiche Auftritte. Diese Truppe bestand aus Leuten, welche aus der Gästeschar des Restaurants «Hasenburg» rekrutiert wurden. Schweizer selbst sang in einem umwerfenden Outfit den damaligen Schlagerhit «Der Stern von Mykonos» von Katja Ebstein. Dazu trug er Hotschi, einen kleinen Pekinesen, im Arm und machte zwischendurch ein paar komische Balletthüpfer.

Das ganze Erscheinungsbild der Truppe auf dem heruntergekommenen hinteren Andreasplatz, wo die elsässischen Marktfrauen ihre Leiterwagen in speziellen Speichern untergestellt hatten, war eine Mischung aus normaler Lebenstragik, Gleichmut und Verzweiflung über die Hungerkatastrophe in Äthiopien, wo täglich Tausende von Kindern erbärmlich verendeten. Und das Publikum war hingerissen von den Darbietungen und spendete wie verrückt. «Los Gorgonzolas» wurden zum Basler Stadtgespräch.

Auch die Art kam nicht an Schweizer vorbei

1978 flog René Schweizer nach Südamerika. Sein erstes Ziel ist Rio. Dort bleibt er nur ein paar Tage und reist dann weiter nach Belo Horizonte im Landesinnern Brasiliens. Das Resultat dieses Abstechers in die Ferne war das Buch «Ein Schweizerkäse», welches äusserlich wie eine Käsescheibe mit eingestanztem Loch daherkommt. Dafür bekam er von seinen Künstlerkollegen aus der ganzen Schweiz grossartige Komplimente, die ihm vor allem deshalb sehr gut taten, weil er bei der Arbeit daran auf keinerlei Vorgaben einging oder Regeln einhielt, sei es stilistischer, sprachlicher, geschmacklicher oder ethisch-moralischer Natur.

1979 veröffentlichte Schweizer das GAGAistische Manifest. In diesem hochseriösen Buch entwickelt er seine neodadaistische Sicht der Dinge. In der Folge wurde er eingeladen, im Rahmen der ART 12’81 seine eigene UNART-Ausstellung auszurichten: auf einer Fläche von 200 Quadratmetern. Dort präsentierte er unter anderem Nonsens-Videos, die Performance GAGAMEMNONS ZAHNTECHNIKERPARTY sowie sein berühmtes «FaceBuilding», das später auch für den therapeutischen Humor genutzt wurde. Mit einem riesengrossen und einigen kleineren KUNST-Stempeln stand er an einem Pult am Rand der Rundhofhalle und stempelte alles zum Kunstwerk, was die Besucher ihm hinhielten.

Ernst und Unernst waren für René Schweizer überhaupt die Pole, zwischen denen jene kreative Energie fliesst, die die geistigen Verkrustungen auf unserem Erdball weichspült. Und so fing er vor 40 Jahren an, Amtsstuben, Pfarrämter, Ordinationen und andere Schaltstellen verwalteter Alltagsnormalität mit «taktischem Wahnsinn» zu überziehen. Diese Briefe und die entsprechenden Antworten darauf erschienen als mehrbändige SCHWEIZERBÜCHER, die gleich zu Bestsellern avancierten. In der Folge gab es unzählige Radio- und Fernsehsendungen. Es ist naheliegend, dass diese «Gagaismen» dazu beitrugen, dass die behördliche Routine (nicht nur in der Schweiz) allmählich an humorvoller Inspiration gewann. Denn wer wollte schon vor der Öffentlichkeit als unfreiwilliger Komiker dastehen, nur weil er in seiner Korrespondenz mit René Schweizer von seinem trägen Amtsschimmel nicht absitzen konnte oder wollte?

1991 bekam auch ich einen Brief von René Schweizer. Klar, dachte ich an Jux.

1991 bekam auch ich einen Brief von René Schweizer. Er wollte mich als Psychologen bei einem Projekt dabei haben, das unter dem Namen «Grinsatorium» lief. Es sollte daraus eine Art Hochschule des Humors werden, mit einem wissenschaftlichen Zentrum in den Tessiner Alpen und weiteren Trainingszentren weltweit.

Klar, dass ich an Jux dachte, da René mir gleich sein 1. und 2. Schweizerbuch beigelegt hatte. Als bekennender Humorist wollte ich aber nicht passen und lud ihn zu einem Gespräch ein. Er erschien pünktlich mit einer Entourage von Sponsoren, Marketingfachleuten und PR-Kundigen. So wurde aus dem Jux schnell Ernst: Das Projekt wurde zum «Humoratorium» umgetauft und 1992 bei der Infrastructa in Basel vorgestellt. Durch dieses Projekt wurde der therapeutische Humor ganz entscheidend auf den Weg gebracht: zunächst in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein und ein wenig später auch in Deutschland.

Aus dem Humoratorium-Projekt ging bald der Basler Kongress «Humor in der Therapie» hervor. Für René Schweizer war dies ein gewaltiger Kraftakt, denn es galt zum einen, die Verantwortlichen einer «seriösen Institution» (der Messe Basel nämlich) davon zu überzeugen, dass der therapeutische Humor ein ernst zu nehmender Faktor in der Krankenbehandlung ist. Zum anderen musste auch die Öffentlichkeit informiert bzw. «mobilisiert» werden. Und das verlangte eine permanente Medienpräsenz.

Tatsächlich war René Schweizer in dieser Zeit auf allen Kanälen zu sehen. In einer Sendung von SPIEGEL-TV vom 12. April 1996 wurde er von der Moderatorin Sandra Maischberger gefragt:

«Was Sie jetzt vorhaben ist, zum ersten Mal einen Kongress zu veranstalten, das heisst, die Fachkräfte zusammenzubringen. Ist das quasi so, dass man am Anfang steht und sagt, die Lachforschung etabliert sich gerade und da ist noch sehr, sehr viel zu tun?»

Worauf René Schweizer zur Antwort gab:

«Ja, wissen Sie, es ist eigentlich ein Problem mit der Information der Öffentlichkeit. Ich habe vor Jahren ein Zentrum des Humors konzipiert, ein sogenanntes Humoratorium, wie wir es nannten. Das wollte ich durchboxen, aber es ist einfach nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Dann habe ich mir überlegt, weshalb? Es war eben so, dass der Boden noch nicht vorbereitet war. Deshalb initiiere ich diesen ersten Kongress, dem dann weitere folgen werden. Das geschieht, um ganz klar herauszuarbeiten und die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass es den therapeutischen Humor gibt. Man muss auf breiter Basis die Öffentlichkeit über die Medien informieren, dass es das gibt, damit das zunehmend begriffen wird.»

Am 5. Oktober 1996 wurde im Kleinbasler Kongresszentrum der erste Kongress «Humor in der Therapie» veranstaltet. Dieses eintägige Ereignis wurde zu einem grossen Erfolg, was nicht zuletzt in der medialen Berichterstattung zum Ausdruck kam. Das führte in der Folge zu einer Serie von vier Folgekongressen, die jedes Jahr im Oktober abgehalten wurden und die sich zu einem Besuchermagneten entwickelten.

Man kann mit Fug und Recht sagen, dass diese Kongresse den therapeutischen Humor in ganz Europa ungemein befördert haben. Nicht zuletzt nahm die Bewegung des «Yoga-Lachens» hier ihren Ausgang. Daneben wurde die Idee, Clowns in Krankenhäusern einzusetzen, im Kleinbasler Kongresszentrum einem interessierten Fachpublikum vermittelt und durch die Medien an die Öffentlichkeit gebracht. Und wir dürfen nicht den Personenkreis der professionellen Helfer vergessen, also die Berufsgruppen der Psychologen, Ärzte und Krankenschwestern.

Vielleicht hat er sich jetzt auf seinen Heimat-Planeten zurückgezogen

Kleinbasel war in jedem Fall eine Art Kraftzentrum, das Wissen generierte und kreative Energien freisetzte. René Schweizer tangierte das freilich immer weniger: Nachdem sich die Kleinbasler Kongresse zu einer Art Selbstläufer entwickelt hatten, verlor er sein Interesse daran und suchte nach anderen Möglichkeiten, um den «taktischen Wahnsinn» unter die Leute zu bringen.

Nun ist er nicht mehr unter uns. Vielleicht hat er sich in seine wahre Heimat, einen Planeten im Sternbild der Plejaden zurückgezogen, wo er die Strategie des globalen Einsatzes subversiver Taktiken zur Auflösung der Strukturen des Ernstes endgültig perfektionieren kann. Und da es in dieser neuen Welt keinerlei Einschränkungen gibt, bin ich mir sicher, dass uns seine Inspiration weiterhin erreichen wird.

Leb‘ wohl in Deiner neuen Welt, René!

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Michael Titze verwendete für diesen Nachruf Texte aus seinem Buch: Kleinbasel und der «Humor in der Therapie». Hommage an René Schweizer. HCD-Verlag, 2013.

Die TagesWoche sprach mit René Schweizer anlässlich seines 70. Geburtstages, die Bilder und Zitate stammen aus dem Interview von damals mit dem «Meister des Blödsinns».

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