Im Spiel zeigt sich, wer das Zeug zum Manager hat. Das glauben immer mehr Unternehmen. Zählt ein Highscore bald mehr als ein lupenreiner Lebenslauf?
Der Erfolg des Smartphone-Spiels Pokémon Go hat vor Augen geführt, wie Menschen mit Spiele-Apps und Augmented-Reality-Anwendungen zu Höchstleistungen angestachelt werden können. Millionen Menschen jagten an entlegensten Orten virtuellen Monstern nach. Mittlerweile ist diese Erkenntnis auch in Personalabteilungen durchgedrungen: Immer mehr Unternehmen setzen bei der Auswahl von Bewerbern auf Gamifizierungselemente.
So greift der Konsumgüterkonzern Unilever beim Einstellungsprozess neuerdings auf Online-Spiele zurück, die speziell für Millennials entwickelt wurden. In dem vierstufigen Bewerbungsprozess füllen Bewerber zunächst ein Online-Formular aus, das sie mit ihrem LinkedIn-Profil synchronisieren können. Erfolgreiche Kandidaten werden dann zu einem Spiele-Assessment eingeladen, bei dem 20 Minuten lang verschiedene Spielsimulationen getestet werden.
Filter in der Bewerbungsflut
Mit Daddelei à la Mario Kart oder Donkey Kong hat das wenig zu tun: Eine Software analysiert jede Mausbewegung und jeden Klick und leitet daraus ein detailliertes Psychogramm ab. Diese Datenpunkte sollen ein Gesamtbild ergeben, das mehr verrät als ein Bewerbungsgespräch. «Einen Lebenslauf zu schreiben ist nicht mehr notwendig», verkündet Unilever auf seiner Website. Stattdessen setzt das Unternehmen auf Datenanalyse.
«Die Spiele wurden entwickelt, nicht um ein digitalaffines Zielpublikum anzusprechen und zu unterhalten, sondern um die Fähigkeiten zu prüfen, die notwendig sind, um eine Führungskraft in verschiedenen Abteilungen des Unternehmens zu werden.»
Zeig mir, wie du spielst, und ich sage dir, ob du managen kannst.
In einem dritten Schritt führen die Kandidaten Interviews auf ihrem Tablet, ehe die letzten verbliebenen Bewerber in einem Discovery Center virtuell mit Konkurrenten kooperieren. 250’000 Bewerbungen erhielt Unilever im vergangenen Jahr. Da versteht es sich von selbst, dass man in der Flut der Bewerbungen aussieben muss. In den Augen der Personaler sind Games ein geeigneter Filter.
«Ein Spiel ist schwieriger zu faken als einen Lebenslauf, wo man nur die Highlights reinschreiben kann», sagt ein Big-Data-Experte.
Auch der Kosmetikhersteller L’Oréal setzt auf Spiele und bevorzugt die erfolgreichsten Gamer einer Spiele-App beim Bewerbungsprozess. Nutzer mit dem höchsten Score des Spiels Temple Run, einem kostenlosen Geschicklichkeitsspiel, bei dem man als Abenteurer durch versunkene Städte rennt, durften Bewerbungsschritte überspringen. Der Gewinner bekam am Ende ein bezahltes Praktikum.
Die Idee dahinter ist, neue Talentpools zu erschliessen. Alex Bennett, Talent-Manager bei der Irland-Filiale von L’Oréal, sagte dem Branchendienst T3: «Mobile Gamifizierung macht den Arbeitgeber relevanter für seine Zielgruppe und so zum idealen Weg, Talente zu identifizieren, anzusprechen, einzuladen und anzuheuern.»
Auch Unternehmensberatungen wie Deloitte rekrutieren Nachwuchskräfte per Spiele-App. Das US-Start-up Knack lässt seine Bewerber Videospiele spielen, um ihre Kreativität und Multi-Tasking-Fähigkeit zu testen. In dem Spiel «Wasabi Waiter» schlüpfen die Kandidaten in die Rolle eines Kellners in einem Sushi-Restaurant. Wie im echten Leben muss der Kellner Kundenwünsche erkennen und mehrere Bestellungen gleichzeitig entgegennehmen.
Jede Entscheidung wird in ein Datenpaket umgewandelt, das von Algorithmen ausgewertet wird. Wasabi Waiter ist nach der ökonomischen Spieltheorie modelliert und soll Entscheidungen in Echtzeit analysieren. Die Software destilliert aus diesen Daten dann Charakterzüge. Wer sich beim virtuellen Sushi-Tellerverteilen gut schlägt, hat am Ende gute Chancen auf den Job. Das Start-up ist überzeugt, mit diesem Verfahren die besten Bewerber herauszufiltern.
Bloss ein Spielzeug?
Doch sind Spiele ein geeigneter Selektionsmechanismus? David Stillwell, Experte in Big-Data-Analytics und Direktor des Psychometrics Centre an der Universität Cambridge, sagt im Gespräch: «Wenn das Spiel entsprechend modelliert ist, kann man damit Rechenfähigkeit und Rechtschreibung testen. Ein Spiel ist schwieriger zu faken als ein Lebenslauf, wo man nur die Highlights reinschreiben kann.» Und: Spiele lassen das Unternehmen «cool» für Absolventen erscheinen – es ist gleichsam ein Marketinginstrument. Wenn das Spiel aber nicht psychometrisch getestet wurde, sei es nicht mehr als ein Spielzeug.
Das sieht Frederick Morgeson, Management-Professor an der Michigan State University, ähnlich. Auf Anfrage sagt er: «Im Prinzip ist der Einsatz von Spielen bei Auswahlprozessen ähnlich methodengeleitet wie ein Interview, nur gibt es keine wissenschaftlichen Ergebnisse, wie zuverlässig und valide die Methode ist.»
Womöglich diskriminierend
Die Frage sei, ob das Spiel jobrelevante Erfahrungen und Kompetenzen messen kann. Das Verfahren führe nicht zu einer effektiveren Auswahl, wenn bestimmte Gruppen benachteiligt werden. Da Männer eine grössere Affinität zu Computerspielen hätten als Frauen, könnten sie bei den Tests womöglich besser abschneiden.
Das wäre Geschlechterdiskriminierung, so Morgeson. Der Management-Professor fordert daher mehr Studien zu dem Thema. Trotzdem könnte Gamifizierung im Personalwesen an Bedeutung gewinnen – und so manchem Bewerber zum Traumjob verhelfen.