Immer mehr Menschen verlieren das Vertrauen in die Medien. Die sich daraus entwickelnde Medienverdrossenheit thematisiert nicht nur die TagesWoche. Wir haben für Sie eine Auswahl der lesens- und sehenswertesten Beiträge zum Thema zusammengestellt.
When the press writes about a topic you know well, you realize every news article you’ve read could have been equally mistaken.
— Paul Graham (@paulg) 18. November 2014
Mit seinem Tweet bringt der US-amerikanische Autor und Investor Paul Graham ein Gefühl auf den Punkt, das eine wachsende Anzahl Menschen teilen: Den Eindruck, dass den Medien nicht mehr zu trauen ist.
Wir beschäftigen uns in einem thematischen Schwerpunkt mit dieser Stimmung, die manchmal Medienverdrossenheit oder Medienmisstrauen genannt wird. Ein erster Beitrag, in dem wir fünf erklärende Thesen aufgestellt haben, löste ein grosses Echo aus. Wir sind daran, die Rückmeldungen zu sichten und zu sortieren. Eine Rückführung in einen Artikel folgt am Wochenende.
Das Thema wurde und wird aber auch von anderen Medien breit diskutiert. Deshalb haben wir eine Auswahl der interessantesten, informativsten und durchdachtesten Beiträge zusammengetragen, auf die wir bei der Recherche gestossen sind.
«Mainstream-Kritik ist der neue Mainstream»
> Robert Misik in der «Neue Zürcher Zeitung», Publizist
Der Wiener Publizist Misik nimmt sich in der NZZ den Begriff «Mainstream» pointiert vor. Dieser Kampfbegriff wird von vielen Medienkritikern und -skeptikern genutzt, um eine «mediale Gleichschaltung» zu insinuieren. Es sei ein eigentliches «Totschlagargument», mit dem sich das eigene Weltbild bis ins Letzte verteidigen lässt, schreibt Misik. Wahrscheinlicher als eine Gleichschaltung sei, dass es einen sogenannten «Korridor der erlaubten Meinungen» gebe. Nur wer innerhalb dieses Korridors argumentiert, wird im etablierten Diskurs ernstgenommen.
«Volle Ladung Hass»
> Bernhard Pörksen in der «Zeit», Professor für Medienwissenschaft, Universität Tübingen
Bernhard Pörksen stellt zu Beginn seines Gastbeitrages für die «Zeit» fest, dass die zunehmende Medienverdrossenheit vieler Menschen kaum öffentlich thematisiert wird. Im Gegensatz etwa zur Politikverdrossenheit, die eine breite mediale und wissenschaftliche Diskussion erfuhr. Der Medienwissenschaftler glaubt, dies liege nicht zuletzt daran, dass es sich dabei um keine wirkliche Bewegung handelt. Die Kritik an den Medien kommt weder eindeutig aus der linken noch aus der rechten Ecke, einig sind sich die Medienverdrossenen lediglich in ihrem Misstrauen gegenüber Journalisten und Medienhäusern. Es ist eine im Ursprung diffuse Kritik, die dennoch vehement geäussert wird. Und genau darin sieht Pörksen den Grund für deren Erstarken: Heute kann jeder seinem Unmut Luft verschaffen. Sein Text endet mit einem Aufruf, den Medien mit «Vertrauen durch Misstrauen» zu begegnen.
«Journalismus unter Verdacht»
> Stefan Niggemeier in der «Frankfurter Allgemeine Zeitung», Medienjournalist
Am Beispiel der Berichterstattung über die Ukrainekrise zeigt Stefan Niggemeier auf, wie aus einem gesunden Misstrauen gegenüber den Medien eine regelrechte Journalismusverachtung geworden ist. Tatsächliche Fehlleistungen und die fehlende Einsicht namentlich der sogenannten Leitmedien hätten das Ansehen eines ganzen Berufsstandes in Mitleidenschaft gezogen. Der Erfolg einschlägiger Buchpublikationen sowie die Vielzahl von Medienwatchblogs zeige, wie gross das Interesse an diesem Thema sei. Und dennoch findet es kaum Niederschlag in der Berichterstattung, kaum ein Medienhaus übt Selbstkritik. Weiter zeigt Niggemeier auf, wie dieses Misstrauensklima einen Nährboden für krude Erklärungen aller Art bis hin zu Verschwörungstheorien darstellt.
Wer lieber zuhört statt liest: Bei SWR kann man einem Gespräch zwischen diesen beiden Autoren lauschen. Es geht um die Frage «Wächst die Medienverdrossenheit?».
Einen interessanten Ansatz diskutieren im folgenden Video CNN-Medienjournalist Brian Stelter und der ehemalige Kongressabgeordnete Anthony Wiener. Sie sprechen über die jüngste Bevölkerungsbefragung durch Gallup. Diese hat ergeben, dass das Vertrauen der Amerikaner in ihre Medien auf ein rekordmässiges Tief gesunken ist. Wiener stellt die These auf, dass ganz generell die Eliten und die Institutionen unter einem Vertrauensschwund leiden. Die Medien stünden aufgrund der empfundenen Nähe zu den Eliten auch im Fokus dieser Kritik.
Vom Misstrauen in die etablierten Nachrichtenmedien profitieren in den USA alternative Medien. Namentlich schneiden satirische Formate wie «The Daily Show», «Last Week Tonight» oder der «Colbert Report» in den erwähnten Umfragen durch Gallup regelmässig besser ab als die herkömmlichen Sendungen. Satire wird in ihrer Überzeichnung als wahrhaftiger wahrgenommen. Stephen Colbert greift in diesem Video das Thema stilgerecht auf:
Als Beleg dafür, wie weit verbreitet eine tiefgreifende Medienverdrossenheit ist, könnte diese Rede von Bundesrat Ueli Maurer gelten. Am Kongress der Schweizer Verleger hat er die hiesigen Medien in scharfem Ton kritisiert und pauschal als gleichgeschaltet bezeichnet. Bezeichnend war auch die Reaktion der Zuhörer, die Maurers Worte mit Pfiffen und Buhrufen quittierten.
Wir widmen uns in einem Schwerpunkt dem zunehmenden Misstrauen gegenüber dem traditionellen Mediensystem. Dazu sind folgende Artikel erschienen:
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Weiterer Lesetipp: Die Kollegen bei «Zapp – Das Medienmagazin» (NDR) haben sich zeitgleich mit dem Thema auseinandergesetzt und unter anderem eine repräsentative Studie in Auftrag gegeben. Das Ergebnis ist alarmierend: Nur 29 Prozent der Deutschen haben grosses oder sehr grosses Vertrauen in die Medien.