Zugegeben, so ein richtiges Traveller-Paradies ist Lwiw dann doch nicht, dafür ist die Gruppe Nicht-Einheimischer zu übersichtlich. Es sind:
– Polnische Trübsalbläser, die den Verlust der «kleinen Schwester Krakaus» noch immer nicht verdaut haben. Ausserdem ist es hier selbst für Polen billig.
– Slawophile Osteuropastudenten, die sich – «Ist das alles geil und authentisch hier» – ob der Omnipräsenz des Militärs in den Strassen ereifern («Dasch jetzt ebbe Gschicht»).
– Hängengebliebene Hippies, denn Lwiw war zu Zeiten der Sowjetunion eine Art Hochburg der Aussteiger und Ganja-Jünger.
– Ukrainer aus Kiew, die ihre Sommerferien früher mal auf der Krim verbrachten. Jetzt halt Lwiw. Auch gut.
Lwiw liegt im westlichsten Zipfel der Ukraine, so westlich, dass manche meinen, es noch Lemberg nennen zu dürfen. Doch aufgepasst, dafür gibts von den Einheimischen gerne eins auf die Nase, denn heute ist dieser Name nur noch eine von vielen Erinnerungen an einen von vielen Besatzern. In diesem Fall die Habsburgerdynastie, die später in der österreichisch-ungarischen Herrschaft aufging. Dann waren da noch Polen (Lwów), Russen (Lwow), Deutsche, Armenier, Juden, Italiener – manche kamen aus kriegstaktischen Gründen, andere hatten Handelspläne, dritte wollten einfach ihre Ruhe haben, was am seltensten gelang.
Was sicher ist: Sie alle hinterliessen ihre Spuren.
Lwiw ist ein zauberhafter Flickenteppich, der hier noch fadenscheinig den Blick auf die Armen freigibt und dort schon frisch nach Armani riecht. Am Platz vor der Oper zum Beispiel, der gemeinhin als prunkvollster Ort der Stadt gilt und sich dank seiner zentralen Lage für Entdeckungstouren am besten eignet. Entlang des Svobody Prospekts spielen die einen schneller Schach als die anderen Tindern – beides geht unter den Kastanien aber prima: Die Stadt hat unlängst mächtig in freies WLAN investiert. Schachbretter gabs schon vorher.
Fäkalhumor mit Putin
Auf dem «Rynok», dem Marktplatz, gibts Klopapier mit Putins Gesichtsaufdruck zu kaufen. Weltpolitik, Fäkalhumor und Touristenbespassung in einem: muss man können. Viel weiter lässt sich der Konflikt allerdings nicht vertiefen, vor allem die jungen Ukrainer scheinen resigniert ob der politischen Pattsituation im Osten und begegnen sensationsgeilen Westlern mit spöttischem Argwohn. Ob auf dem Markt oder abends in der Bar: Das Thema entpuppt sich rasch als Griff ins Klo.
Besänftigend wirkt da ein Lob auf die Altstadt, die seit 1998 als Unesco-Weltkulturerbe geführt wird und in der Vergangenheit immer wieder mal als Kulisse herhalten musste, wenn ein russischer Film in Rom oder Venedig spielen sollte. Mediterranes Flair à la Ukraine, auch das eine Besonderheit. In der Virmens‘ka Strasse wird die Szenerie ausserdem mit den artisanalen Überbleibseln der Hippie-Szene verflochten, die sich hier unter den Sowjets einen Freiraum schuf. Fotos im Café Virmenka zeugen davon. Hier auch unbedingt der Kaffeezubereitung zusehen, die nach armenischer Tradition im heissen Sand vonstatten geht.
Friedhof der Kuscheltiere in der Hintergasse
Etwas abseits der Gassen dann dies: Ein grusliger Friedhof für Stofftiere im Hinterhof eines alten Hauses. Keine Erklärung, kein mir bekannter historischer Hintergrund. Am besten in der Abenddämmerung vorbeikommen. Zum Niederknien.
In einer alten Radiofabrik etwas ausserhalb des Zentrums kocht sich die alternative Szene ihr Süppchen. Noch wird in den alten Hallen gebohrt und gehämmert, aber Insider sind überzeugt: hier entsteht das Kreuzberg Lwiws. Ein abgelutschter Vergleich, der sich nur durch die verstörende Dichte an lokalen Klamottenläden, veganen Bäckereien und fancy Ateliers rechtfertigt. Hier werden gerade mehrere Jahrzehnte Zeitgeschichte übersprungen und wer rasch genug da ist, kann dabei zuschauen. Den Studenten freuts: «Dasch jetzt ebbe Gschicht.»
Zurück in die Stadt bitte das Tram nehmen, das Tram der Tramführerin. (Trams werden ausschliesslich von Frauen gefahren, Männer steuern Busse. Warum auch immer) 2 Hrywna (0,07 Rappen) durch eine Schublade in die Kabine stecken, das Ticket entnehmen und durch eine Pressklemme an der Wagenwand entwerten. Das ist alles so unfassbar analog und altmodisch, dass dem Student vor lauter Authentizität die Gänsehaut den Rücken runterläuft.
Peitschende Barkultur
Im Masoch Café läuft einem was ganz anderes den Rücken runter: Hier werden arglose Biertrinkende mit Handschellen an die Bar gekettet und vom genervten Personal mit der Lederpeitsche verdroschen, wenn sie im Weg stehen. Dazu gibts heisses Kerzenwachs und Eiswürfel in den Ausschnitt oder sonst wohin. Soll aufregend sein, erhält vom versierten Tester allerdings nur einen Punkt auf der Verruchtheits-Skala und liegt damit gleichauf mit 50 Shades of Sie-wissen-schon. Leopold Ritter von Sacher-Masoch wurde 1836 in Lwiw geboren. Hätte man mehr draus machen müssen.
Essen: Im Open Cafe an der Teatralna Strasse. Riesiges Büffet für umgerechnet 80 Rappen pro 100 Gramm.
Schlafen: Eine günstige, aber solide Option ist das Hollywood Home Hostel im Zentrum (ca. 6 Franken/Nacht). Auch gehobenere Bleiben gibts seit der Fussball-Europameisterschaft 2012 genug.
Hinkommen: Zugegeben nicht ganz einfach. Am besten nach Krakau oder Warschau fliegen und von da mit dem Bus hintuckern. Geht etwas länger, gibt aber mehr Punkte auf der Authentizitäts-Skala als vier Besuche im Masoch Café.
Sehen: Die Altherren-Jazz-Band im Café Dzyga. Soviel Drive gibts in Wien nirgends.
Lesen: «Mordor kommt und frisst uns auf». Wilder Gonzo-Text eines jungen Polen, der zwischen Krakau und Lwiw die unwahrscheinlichsten Abenteuer erlebt hat. Ein grossartiges Buch.
Kennenlernen: Peter Althaus. Der Mann verdient sich hier seinen Unterhalt mit Stadtführungen, die nicht aus heimlicher Promo bestehen. Die Touren sind gratis, bezahlt wird per Trinkgeld.
Bleiben lassen: Den Satz «Eigentlich ist Lwiw ja eine polnische Stadt» laut aussprechen. Einfach bleiben lassen.