Die Geschlechterrollen verändern sich, sagt Männerforscher Michael Meuser. Das sei auch eine Chance für die Männer, die sich für Familienarbeit einsetzen: «Sie müssen nun zeigen, dass sie das genauso gut können wie die Frauen.»
Michael Meuser zählt zu den führenden Männerforschern im deutschsprachigen Raum. Der 61-Jährige ist Professor für Soziologie der Geschlechterverhältnisse an der Technischen Universität Dortmund.
Die Männerforschung entstand als Pendant zur feministischen Frauenforschung und setzt sich mit unterschiedlichen Themen rund um das «Mannsein» und «Männlichkeit» auseinander. Wie bei der Frauenforschung werden auch hier bestehende Rollenbilder kritisch hinterfragt. Dieses Wochenende trat Meuser als Redner an einem Symposium des Zentrums Gender Studies der Uni Basel auf.
Herr Meuser, können Sie uns erklären, was «männlich» ist?
(lacht) Das ist nicht ganz so einfach. Dafür gibt es viele Erklärungen. Ich habe diese Frage wissenschaftlich in verschiedenen Milieus und Altersgruppen untersucht. Als Kernpunkt der Untersuchung lässt sich herauskristallisieren, dass «Männlichkeit» auch heute noch massgeblich mit Beruf, Erwerbsarbeit und Karriere verbunden wird. Und: Trotz aller Veränderungen in der Gesellschaft fusst nach wie vor ein wichtiger Teil des Männlichkeitsverständnisses auf der Fähigkeit, eine Familie ernähren zu können. Dieses Verständnis ist interessanterweise auch immer noch stark unter ganz jungen Männern verbreitet.
Und unter Frauen?
Auch auf der Seite der jungen Frauen ist diese Erwartungshaltung zu einem grossen Teil noch immer feststellbar. Allerdings hat sich das Bild des Alleinernährers gewandelt. Für viele junge Frauen ist es heute ganz klar, dass sie berufstätig sein wollen – und das auch bleiben wollen, wenn sie Mütter geworden sind.
Seit gut einem Jahrzehnt wird von der «Krise des Männlichkeit gesprochen …
Nun gut, diese griffige Zuschreibung lässt sich medial natürlich sehr gut vermarkten …
Ist der Mann denn in einer Krise?
Nein, das wäre eine überzeichnete Diagnose. Aber es gibt sicher Männer, die durch die gesellschaftliche Entwicklung überfordert und verunsichert sind. Das hat damit zu tun, dass die herkömmliche männliche Vorreiterrolle in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen herausgefordert wird.
«Vielen Männern ist es heute nicht mehr möglich, mit ihrem Lohn allein die Familie zu ernähren.»
Wo denn zum Beispiel?
Wir haben es vorhin schon erwähnt – zum Beispiel bei der Vorstellung, dass der Mann der Ernährer der Familie sein soll. Diese Erwartungshaltung deckt sich nicht mehr mit der alltäglichen Realität und den wirtschaftlichen Gegebenheiten. Einer wachsenden Zahl von Männern ist es heute gar nicht mehr möglich, mit ihrem Lohn allein die Familie zu ernähren. Zum anderen erwarten immer mehr junge Frauen von ihren Partnern, dass sie sich an der Familienarbeit beteiligen. Und schliesslich wollen auch immer mehr junge Männer einen Teil der Kindererziehung übernehmen und keine «abwesenden Väter» sein.
«Frauen investieren doppelt so viel Zeit in die häuslichen Arbeiten als Männer.»
Frauen kennen diesen Stress ja bereits, da sich der Beruf und die Familie nicht immer so gut verbinden lassen. Sind am Ende dann alle gestresst – Frauen und Männer?
Das Leben wird anstrengender, das kann man sagen (lacht). Die Vereinbarkeitsproblematik, die für Frauen ja bereits sehr klar beschrieben worden ist, könnte auch Männer in Zukunft stärker betreffen – vorausgesetzt, sie haben das Interesse, die berufliche Karriere und die Beteiligung an der Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren. Bisher zeigen Studien allerdings paradoxerweise, dass die Beteiligung der Männer an der Hausarbeit mit der Geburt des ersten Kindes in den meisten jungen Familien zurückgeht – Männer investieren dann mehr Zeit in Berufsarbeit. Das betrifft aber vor allem die Phase der ersten zwei drei Jahre der Kinder, danach wird die Beteiligung der Männer wieder etwas höher. Immer noch investieren die Frauen, auch die Berufstätigen, doppelt so viel Zeit in die häuslichen Tätigkeiten als Männer. Diese Tendenz lässt sich in vielen verschiedenen Ländern feststellen.
Wäre es also ein Ziel, dass diese Verhältnisse einmal ausgeglichen sind?
Als Forscher formuliere ich keine Ziele, ich beobachte, was passiert. Sicher ist: Viele jungen Paare streben es an, die Familienarbeit gleichberechtigt aufzuteilen. Die Praxis im Familienalltag weist aber immer noch Ungleichheiten auf.
Warum ist das so?
Es gibt ein Bündel von Faktoren. Zum einen ist noch immer die Vorstellung vorherrschend, dass es die natürliche Aufgabe der Mutter sei, zunächst einmal die Kinder zu betreuen. Zum anderen wirken sich auch strukturelle Faktoren auf die Familienorganisation aus. Viele Frauen arbeiten teilzeit und übernehmen, wenn Kinder kommen, die Verantwortung für die Familienarbeit. Viele Mütter scheiden für eine gewisse Zeit ganz aus der Erwerbsarbeit aus, während ihre männlichen Partner den Karriereweg kontinuierlich weitergehen. Die Verdienstsituation der Frauen ist auch schlechter als jene der Männer. Zudem spielen Traditionen eine wichtige Rolle. Männer, die sich an der Kinderbetreuungsarbeit beteiligen, werden oft mit der Frage konfrontiert, wer bei der Kinderbetreuung denn eigentlich die Entscheidungskompetenz habe. Männer müssen sich das Feld der Familienarbeit erobern – und zeigen, dass sie das genauso gut können wie die Frauen. Diese Erwartungshaltung, dass Frauen im Famlienbereich mehr Kompetenz haben als Männer, ist vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung nachvollziehbar.
«Man kann nicht sagen, dass Frauen Stellen bekämen, die sie nicht verdienten.»
Frauenquoten in der Politik und auch in Unternehmen sollen der Regulierung der Geschlechterverhältnisse auf die Sprünge helfen. Wie beurteilen Sie solche Quoten?
Offensichtlich ist es mit der Selbstverpflichtung der Betriebe nicht so weit her. Wenn man mittelfristig den Anteil von Frauen in Berufsgruppen steigern will, in denen sie unterrepräsentiert sind, ist eine Quote sicherlich ein erfolgsversprechendes Mittel. Dies zeigt zum Beispiel die Erfahrung in Norwegen, wo eine 40-Prozent-Frauenquote in den Aufsichtsräten gesetzlich vorgeschrieben ist. In Norwegen wurde auch festgestellt, dass sich die Quotenregelung positiv auf den Erfolg der Unternehmen auswirkt.
In Basel wehren sich bürgerliche Jungpolitikerinnen gegen eine Quotenregelung in Verwaltungsräten von öffentlich-rechtlichen Unternehmen.
Auch bei uns gibt es kritische Stimmen von Frauen, die sich durch eine Quote herabgesetzt fühlen. Ich kann das nicht so recht nachvollziehen. In Deutschland zum Beispiel ist die Quotenregelung ganz klar so formuliert, dass eine weibliche Bewerberin nur dann bevorzugt werden muss, wenn sie die gleichen Qualifikationen ausweist wie ein männlicher Bewerber. Man kann also nicht sagen, dass Frauen Stellen bekämen, die sie nicht verdienten.
«Die so genannten Old Boys Networks funktionieren nicht mehr, wenn Frauen ins Spiel kommen.»
Eine Frauenquote hat zur Folge, dass alte Männerdomänen zerfallen. Was bedeutet das für die Männer?
Das ist durchaus ein Punkt, wo es Herausforderungen für die Männer gibt. Die Welt der Führungspositionen ist künftig keine Welt mehr, wo Männer alleine unter sich sind. Auch die so genannten «Old Boys Networks» funktionieren dann nicht mehr. Wenn allerdings unter zehn Führungspersonen eine Frau weilt, wird der «männerbündlerische» Charakter solcher Gremien nicht unbedingt aufgelöst. Wenn der Anteil der Frauen grösser ist, dann könnte sich vielleicht auch eine andere Führungskultur entwickeln. Das ist jetzt aber spekulativ. Es gibt ja auch andere Thesen, die behaupten, dass Frauen in Führungspositionen sich den männlichen Stil aneignen würden.
Sie sprechen von Herausforderungen. Hat es nicht auch positive Aspekte für Männer, dass sie in gewissen Bereichen Verantwortung abgeben können?
Natürlich. Es gibt ja nicht «die» Männer. Das ist sehr individuell verschieden. Manche Männer mögen es als Erleichterung wahrnehmen, dass ein bisschen Druck von ihnen wegfällt. Andere fühlen sich aber in ihrer vorherrschenden Position bedroht.