«Marketing muss ehrlich sein»

Der Brand-Coach Walter Ramstein verleiht Marken Namen und damit ein Gesicht – etwa der Krankenkasse Sympany. Im Interview spricht er über die Ehrlichkeit von Marketing und darüber, wie ein guter Name entsteht.

«Was nicht benannt ist, existiert nicht.» Der Brandcoach Walter Ramstein. (Bild: Livio Marc Stoeckli)

Der Brand-Coach Walter Ramstein verleiht Marken Namen und damit ein Gesicht – etwa der Krankenkasse Sympany. Im Interview spricht er über die Ehrlichkeit von Marketing und darüber, wie ein guter Name entsteht.

Ob man ihn mag oder nicht: Den Namen der Krankenversicherung Sympany hat jeder im Ohr. Walter Ramstein, 55-­jähriger Brand-Coach aus Basel, hat ihn erfunden und viel Arbeit hineingesteckt. Denn im Namen müssen sich alle Assoziationen verdichten, für die eine Marke stehen will. Und vor allem darf er keine Gedanken hervorrufen, die der Marke schaden. Da drängt sich die Frage an den Markenentwickler auf, wie sehr der Markt seine Kunden mit Illusionen verführt. Darauf Ramstein: «Wer nicht ehrlich arbeitet, hat keinen Erfolg.»

Herr Ramstein, wie wichtig ist der Name eines Produkts?

Er ist zentral. Im Anfang war das Wort. Etwas, was nicht benannt ist, existiert nicht. Wenn man einen Namen ausspricht oder die Presse über eine Marke schreibt, fällt der ganze Auftritt der Marke weg. Was bleibt, sind Buchstaben, ein Klang, eben der Name.

Wann funktioniert ein Name?

Man muss schauen, was mit dem Namen assoziiert werden soll. Er muss das Selbstverständnis des Unternehmens ausdrücken und seine Werte bündeln können. Sympany  zum Beispiel will die sympathische Krankenkasse sein. Company steckt auch im Wort, also die Begleitung. Symfonie kann man auch mithören, die Harmonie zwischen Unternehmen und Kunden.

Sind Sie sicher, dass das so beim Kunden ankommt?

Es ist interessant, was die Leute sagen, wenn man sie spontan nach der Wirkung eines Namens fragt. Obwohl Sympany vielen am Anfang nicht so gefallen hat, weil sie emotional am alten Namen ÖKK hingen, äusserten die meisten die beabsichtigten Assoziationen.

Ein Name muss also möglichst viele Assoziationen auslösen, die möglichst nah am Produkt sind?

Ja. Eine Möglichkeit besteht darin, die Eigenschaften des Produkts zu vermitteln. Eine andere ist es, eine Haltung, Werte oder eine Emotion zu kommunizieren. Yahoo zum Beispiel ist nicht primär ein produktorientierter Name, er ruft mehr die Assoziation von Jubel hervor.

Ist das ein Trend?

Man ist weggekommen von rein beschreibenden Namen wie Bayerische Motorenwerke, genauso wie von Abkürzungen wie BMW. Gerade durch die Entwicklung des Internets, in der Milionen von neuen Marken entstanden sind, sind Namen gefragt, die schützbar sind und zugleich eine Botschaft vermitteln. Namen sind heute mehr Botschaft als reine Beschreibung.

Bei vielen grossen Namen geht die Beudeutung mit der Zeit verloren. Überschätzen Sie nicht das ursprüngliche Konzept? Zum Beispiel beim Autohersteller Volvo, hinter dem das lateinische Wort für «rollen» steckt…

Das stimmt, Volvo hat es geschafft, sich als Marke für supersichere Autos zu etablieren, obwohl der Name bei vielen Menschen bestimmt nicht unbedingt die mit dem Namen gewollte Bedeutung im Kopf auslöst. Optimal ist, wenn ein Name positive Assoziationen weckt. Sie müssen mindestens neutral sein, was aber nicht sein darf, ist ein Schatten. Wir haben einen Stromanbieter in Süddeutschland neu gebranded, der jetzt Badenova heisst. Der Vorschlag der Firma war ursprünglich Lohengrin. Der Name ist mit Wagner verknüpft und kriegt die Naziassoziation nicht weg. Da kann man kämpfen, wie man will. Der Name kann auch ein leeres Gefäss sein, das ich dann mit Inhalt, Botschaften und Werten auflade.

«Ein guter Name darf keinen Schatten haben»

Inwieweit arbeitet Marketing mit Illusion und Suggestion?

Marketing ohne etwas dahinter funktioniert nicht. Kommunikation kann ein Stück weit vorauseilen. Aber wenn ich das, was ich verspreche, nicht einlöse, laufen früher oder später die Kunden davon. Viele täuschen sich, wenn sie glauben, dass Marketing langfristig manipulieren kann. Es geht um Beziehungspflege und Dialog. Im Business-to-Consumer-Geschäft ist die Vermittlung von Wunschvorstellungen allerdings wichtiger als im Busines-to-Business-Geschäft.

Wie ist es mit Hautcreme-Herstellern, die 50-jährigen Frauen einreden, sie könnten wieder aussehen wie 35?

Wenn die Creme null Wirkung auf der Haut zeigt, dann läuft das Produkt keine sechs Monate. Doch die Welt, die vom Anbieter geschaffen wird, kreist ums Wohlfühlen. Und dieses Wohlgefühl müssen die Kunden auch erleben, sonst funktionierts nicht.

Warum heissen Zahncremes immer etwas mit «-dent»? Warum nicht ein ganz neuer Name, wenn man die «ganz neue» Zahncreme auf den Markt werfen will?

Man bewegt sich immer in einem Umfeld und schaut auf die Konkurrenz. Die Zahncreme-Namen mit «-dent» sind etabliert, weil sie auf den Anwendungsbereich hinweisen. Wenn man jetzt mit etwas völlig anderem kommt, erfordert das kommunikative Anstrengungen, um klarzumachen, dass es sich um Zahncreme handelt.

Werden Bedürfnisse vom Markt bedient, oder werden sie geschaffen?

Kundenbedürfnisse sind heute mächtig. Früher konnte man Produkte einfacher auf den Markt werfen und mit Marketing pushen, bis die Leute Namen und Produkt akzeptierten. Heute geht das nicht mehr so einfach, gerade auch durch die vielen Möglichkeiten zu Rückmeldung und Interaktion. Wenn man etwas aus der Luft greift, zu viel oder Falsches verspricht, kann das ungenehme Folgen haben bis hin zu einem Shitstorm. Wenn man auf vorhandene Bedürfnisse kongruente Antworten hat, dann wird man erfolgreich sein.

Wollen Sie sagen, dass Produktmarketing in der digitalen Zeit ehrlicher wird?

Das würde heissen, dass es mal unehrlich war. Ehrlichkeit hat immer eine Rolle gespielt, aber heute ist der Druck auf die Unternehmen grösser. Wenn man beim Cablecomservice anruft, schicken sie einem zehn Minuten später eine Mail und fragen, wie der Service wahrgenommen wurde. Auch Communities sind sehr wichtig geworden. Leute, die eine gute Erfahrung rumerzählen, wiegen zehnmal mehr als ein Inserat.

«Ehrlichkeit im Marketing hat immer eine Rolle gespielt. Im digitalen Zeitalter ist sie noch wichtiger geworden.»

Sie fühlen sich also nicht vom Markt manipuliert?

Nein. Man hat heute mehr denn je die Möglichkeit, sich zu informieren. Wir sind aufgeklärte Menschen, die verstehen können, wie Marketing, Kommunikation und Werbung funktionieren und nach welchen Regeln der Markt spielt. An die reine Manipulation glaube ich nicht, auch wenn Suggestivwirkungen natürlich ihren Anteil haben.

Was macht einen guten Namen aus: Sind Wortspiele wie Sympany nicht langsam over?

Die Frage ist, was überhaupt noch möglich ist. Ein rein beschreibender Begriff wie «Die Krankenversicherung» ist weder schütz- noch unverwechselbar, weil er Allgemeingut ist. Ein Name muss in gewisser Weise artifiziell sein, damit er als Marke registriert werden kann. Zugleich muss er auch Umgangssprache werden können. Den Namen Sympany finde ich gut, da er nicht so sehr nach Wortspiel klingt, sondern sich wie ein normales Wort aus dem Duden anhört.

Und Apple?

Das funktioniert, weil ein Computer normalerweise nicht Apfel heisst. Hier wird ein bestehendes Wort mit einem völlig anderen Gegenstand zusammengeführt und für diesen als Namen verwendet. Das ist markenrechtlich machbar, bedingt aber einen hohen Kommunikationseinsatz, um die Verbindung von Namen und Produkt zu sichern.

Wo sammeln Sie das Wortmaterial für Ihre Namen?

Wir leben in multikulturellen Gesellschaften, verschiedene Sprachen sind wichtig. Nicht nur Englisch, auch Latein ist eine gute Quelle. Sehr schön ist beispielweise auch Sanskrit, da gibt es starke Worte mit schönen Silbenfolgen. Atman (das höhere Selbst) zum Beispiel, oder Brahman (unveränderliche Realität, Urgrund von allem). Prinzipiell ist bei der Namenskreation sprachlich alles möglich. Populär sind natürlich griechische Helden oder eine Göttin. Aber diese Felder sind abgegrast, man muss neue entdecken.

Zum Beispiel?

Neue Felder zu finden ist genau die Schwierigkeit. Noch nicht so ausgeschöpft ist beispielweise Portugiesisch. Die Endungen mit «ao» ergeben sehr schöne Namen. Irgendeine Quelle braucht man immer. Versuchen Sie mal, aus reiner Fantasie einen guten Namen zu erfinden! Ich sage mal irgendwas: Omaré. Das klingt vielleicht gut, aber es fehlt die Bedeutung. Und dann assoziiert jemand seine Oma und schon landet die Idee im Papierkorb.

Für welches Unternehmen würden Sie gern einen Namen erfinden?

Ein weltweites Netzwerk für Fairtrade, das wirklich Fairtrade macht, das würde mich interessieren. Der Name könnte einem Netzwerk helfen, von dem Menschen profitieren, die normalerweise nicht die Profiteure sind. Das ist ein Traum. Grundsätzlich bin ich an Partnern interessiert, mit denen man offen und substanziell zusammenarbeiten kann, ohne zu viel Politik machen zu müssen. Ob das ein Fussballclub oder eine Baufirma ist, ist letztlich sekundär. 

Sie haben Ethnologie studiert. War Brand-Coaching damals schon der Plan?

Nein, ich habe klassisch studiert, aus Interesse an der Beobachtung und der Begegnung mit anderen Menschen und Kulturen. Ich kam später aus privaten Gründen ins Markengeschäft. Ich hatte ein kleines Kind und musste die Beine auf den Boden kriegen. In den 1980ern traf ich einen Unternehmer. Der hatte verstanden, dass Ökonomen bei Ethnologen Antworten dafür finden können, wie soziale Organisation, Identität und Kultur funktionieren. Man hat lange probiert, individualpsychologische Metaphern auf Marken zu übertragen. Aber das funktioniert nicht, das Kollektiv zählt. Das hat zwar auch eine Persönlichkeit, funktioniert aber anders als ein Individuum. Rituale und Symbole zählen mehr.

«Als Ethnologe habe ich Antworten darauf, wie soziale Organisation, Identität und Kultur funktionieren.»

Zwischenzeitlich haben Sie eine Modelagentur in Brasilien geführt. Warum hat das nicht geklappt?

Ich habe kurzfristig ein interessantes Jobangebot erhalten und bin deshalb mit meiner brasilianischen Frau nach São Paulo übergesiedelt. Das Projekt wäre ein Weg mitten in die brasilianische Gesellschaft gewesen. Viele wollen dort Model werden, weil es eine gute Aufstiegschance ist. Doch vieles läuft schief in diesem Geschäft. Die meist sehr jungen Mädchen, die oft aus sozial schwächeren Schichten und irgendwo vom Land kommen, träumen von der grossen Karriere und dem schnellen Geld. Dann landen sie plötzlich in der Grossstadt. Häufig werden sie auf Magersucht getrimmt oder rutschen in die Prostitution oder Drogen ab. Dort auf verantwortungsvolle Weise mitzugestalten und entsprechende Stukturen aufzubauen, das hat mich gereizt. Leider hat sich das Engagement aber nicht vorstellungsgemäss entwickelt, was zu einem Übungsabbruch geführt hat. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Dann kamen Sie zurück in die Schweiz und nahmen Ihre bisherige Tätigkeit als Brand-Coach wieder auf. Klingt etwas tragisch?

Nein, das ist es nicht. So ist das Leben. Als Unternehmer muss man Sachen ausprobieren. Manche bringt man zum Fliegen, andere nicht.

In all Ihren Arbeiten geht es um Vermittlung.

Stimmt. Doch besonders interessieren mich gute Ideen. Wenn jemand mit einem interessanten Start-up kommt und ich kann drei Sachen beitragen, die ihm fehlen, dann bin ich dabei. Ein Unternehmen muss ganzheitlich überzeugen, ein guter Name ist zwar ausschlaggebend, reicht aber allein nicht aus.

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