Mehr Ausländer = mehr Gewalt, wirklich?

Remo Leupin Geht es um Gewalt und Verbrechen, ziehen besonnene Zeitgenossen den Kopf ein und ar­­gu­mentieren vorsichtig. Rasch ist von ­«medialer Aufbauschung» die Rede. Oder von der «gefühlten Gewalt» – einem diffusen kollektiven Un­sicherheits­empfinden, das sich nicht mit der statistischen Realität deckt. Beides ist richtig. Medien berichten heute tatsächlich mehr und anders über Kriminalität als […]

Remo Leupin

Remo Leupin

Geht es um Gewalt und Verbrechen, ziehen besonnene Zeitgenossen den Kopf ein und ar­­gu­mentieren vorsichtig. Rasch ist von ­«medialer Aufbauschung» die Rede. Oder von der «gefühlten Gewalt» – einem diffusen kollektiven Un­sicherheits­empfinden, das sich nicht mit der statistischen Realität deckt.

Beides ist richtig. Medien berichten heute tatsächlich mehr und anders über Kriminalität als einst. Das verunsichert die Menschen – doch daraus lässt sich nicht ableiten, dass sich auch mehr Straftaten ereignen. Es existieren auch viel mehr Zahlen zu Gewalt und Verbrechen als früher. Diese Daten sind aber oft schwer zu inter­pretieren, da zuverlässige Vergleichs­werte fehlen. Bei Aussagen zur Entwicklung der Kriminalität ist also Vorsicht geboten.

Falsch ist es aber, das Thema wegen sta­tis­tischer Unschärfen oder aus Gründen der poli­tical correctness zu tabuisieren – nach dem Motto «Es kann nicht sein, was nicht sein darf». Seit über 20 Jahren profitieren aus­länder­­feindliche Kreise von dieser defen­siven Haltung vieler Linker: Rechtsparteien haben die Kriminalitätsdebatte monopolisiert und für Kampagnen gegen die Einwanderung missbraucht.

Sicher ist: Die Formel «mehr Ausländer = mehr Kriminalität» ist zu pauschal. So zählt etwa Basel-Stadt zu den Kantonen mit dem grössten Ausländeranteil (33,5 Prozent). Was die Anzahl der Straftaten pro Einwohner be­trifft, rangiert die Rheinstadt jedoch hinter Zürich oder Bern, die mit 30,5 respektive 22 Prozent einen klei­neren Ausländeranteil aufweisen. Trotzdem füh­len sich die Baslerinnen und Basler laut der neusten Städte­umfrage weniger sicher als die Zürcher und Berner. In den letzten vier Jahren hat sich das Unsicherheitsempfinden sogar verschärft – obwohl sich nicht mehr schwere Verbrechen ereignet haben.

Was ist passiert? Ist es die Zunahme von Van­dalen­akten und Prügeleien an den Wochenenden, die das Sicherheitsgefühl negativ be­ein­flus­sen? Ist es mangelnde Polizeipräsenz an den Treffpunkten der Party-Generation? In unserer Titel­geschichte sind wir diesen Fragen nach­gegangen. So viel sei schon jetzt verraten: Einfache Antworten gibt ­es nicht. Und auch keine ein­fachen Rezepte.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13/01/12

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