Mehrheitsrock mit Anlaufschwierigkeiten

Die Britrocker von Muse brauchten in Basel lange, um in die Gänge zu kommen. Das Konzert in der ausverkauften St. Jakobshalle fing erst richtig an, als es fast schon vorbei war.

Typähnlicher Auftritt: Muse an den MTV European Music Awards Mitte November in Frankfurt. In Basel waren keine Agenturfotografen zugelassen. (Bild: Reuters)

Die Britrocker von Muse brauchten in Basel lange, um in die Gänge zu kommen. Das Konzert in der ausverkauften St. Jakobshalle fing erst richtig an, als es fast schon vorbei war.

Muse zog viel Volk nach Basel. Die St. Jakobshalle war ausverkauft beim Zwischenstopp der Engländer auf ihrer Europa-Tournee zum neuen Album «The 2nd Law». Es kam auch: ein Journalist, aus Zürich (mutmasslich), auf alle Fälle von weit her, wo er sich anderes gewohnt war. Der Musikkritiker war schon vor dem Konzert sichtlich bewegt, um nicht zu sagen erregt. Wetterte über die miese Behandlung, dass man ihm keinen Presseplatz eingerichtet hatte und drohte mit Liebesentzug: «Nächstes Jahr müsst ihr es gar nicht mehr bei mir versuchen.» Eine grosse Nummer offenbar der Mann.

Er war nicht der einzige, dessen Erwartungen nicht ganz erfüllt wurden. Muse, von der Fachwelt allenthalben als beste Live-Band von Stadionformat bewertet – allenfalls bis auf U2 – gingen am Mittwochabend seltsam unbeteiligt zu Werke. Erst als die Arbeit getan ist, das neue Album grösstenteils durchgespielt, Song, Pause, Song, Pause, als das Licht eine ganze Weile ausgeht und man auf eine Durchsage wartet, dass man sich im Foyer mit Popcorn und Glace eindecken kann und doch vielleicht nochmals auf die Toilette sollte, bevor es weitergeht – erst dann erwacht die Band und weckt die Halle.

Moralisch unterfüttert

Die erste Konzerthälfte hätte gut als Soundtrack, etwa zu einem James Bond Film, einem der actionlastigen, gepasst. Bombastisches Spektakel, moralisch unterfüttert: Schon im Intro auf den Schirmen eine Nachrichtensprecherin, die über den liederlichen Umgang der Welt mit ihren Energiereserven berichtet, dann ein Aufdröhnen des Stücks «Unsustainable» («nicht nachhaltig»), festgehalten von einem Amateurfilmer am Konzert.

Die Brachialrocker sind nachdenklich geworden und in ihren Texten politischer. Musikalisch haben sie die Experimentierphase hinter sich gelassen, sie haben ihre Ausflüge etwa in die Opernkunst professionalisiert, dosiert und damit mehrheitsfähig gemacht. Sie sind auch milder als früher. Sänger Matt Bellamy ist unlängst Vater geworden, er war mal in der Auswahl zum heissesten Vegetarier des Jahres der Tierschutzgruppe Peta. Auf «The 2nd Law» hat der Herzschlag seines Sohnes Aufnahme gefunden («Follow Me»). Neu darf auch Bassist Christopher Wolstenholme eine Nummer singen, in Basel erhält er dafür anerkennenden Applaus. Wolstenholme bringt das sauber durch, wie überhaupt der ganze Abend makellos verläuft und Studioqualität hat – auch wenn die Akkustik in der Halle gewohnt bedenklich ist.

Allein: Das reisst nicht mit. Was auch an der Distanziertheit Bellamys liegt, der einmal «Hello Switzerland» über die Lippen bringt und maximal zweimal «Thank You». Muse taugen nicht zu Identifikationsfiguren wie die Vorgeneration der Britrocker von Oasis zu Blur. Sie sind keine Milieumusiker, also suchen sie die Bindung des Publikums erst gar nicht. Muse 2012 sind ethisch gehaltvoll wie U2, wenn sie in ihren jüngeren Alben die Ressourcenverschwendung und zuvor die Gier anprangern. Glücklicherweise werden die Botschaften vom Spektakel übertönt, so bleibt Bellamy frei von der Impertinenz eines Bono. Muse 2012 erinnern in ihrem Showtalent auch an Queen, nur deren Ironie geht ihnen völlig ab.

Grandiose Show

Aber wer braucht schon Witz, wenn er eine Gitarre hat, die wie zwei klingt. Nach der Pause sind Muse plötzlich da. Sie hauen die alten Hits raus. «Plug In Baby», «Stockholm Syndrome», «Starlight». Die kolossale Videopyramide über der Bühne fährt aus und zusammen, entfaltet sich, will die Band wegdrücken. Bellamy verzieht sich auf den Aussenposten der Bühne, scherbelt über die Gitarre, kreischt seine Rockarien. Er geht die erste Reihe ab. Auf der Videowand sein Gesicht und das Mikrofon. Bellamy scheint mehr daran zu saugen als reinzusingen, er holt sich die Energie durchs Kabel rauf, bellt sie raus.

Muse stehen endlich unter Strom und der Kurzschluss zum Publikum gelingt. Doch da ist schon fast Schluss. Und als dann ganz fertig ist, denkt man sich: Ach schade, hat doch gerade erst angefangen.

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