Mit 66 ist noch lange nicht Schluss

Immer mehr Pensionierte stellen ihre berufliche Erfahrung in den Dienst von Firmen, Institutionen und Organisationen.

(Bild: iStock/Nils Fisch)

Immer mehr Pensionierte stellen ihre berufliche Erfahrung in den Dienst von Firmen, Institutionen und Organisationen.

Die Wertschätzung der älteren Menschen in unserer Gesellschaft lässt zu wünschen übrig. Zwar liebäugeln immer häufiger Politiker und Arbeitgebervertreter mit der Idee, das Rentenalter zu erhöhen. Sie betonen dann gerne, wie wertvoll die älteren Menschen dank ihrer Erfahrung als Arbeitskräfte seien. Doch sie denken dabei in erster Linie an die Rentenkassen. Die Realität auf dem Arbeitsmarkt ist eine andere. Stellensuchende, die die 50 überschritten haben, können ein Lied davon singen. Ihre Chancen, einen Job zu kriegen, sind etwa so hoch wie die auf einen Lottogewinn.

Dabei ist es tatsächlich so: Ein gros­ser Teil der älteren Menschen ist geistig und körperlich absolut fit und viele Rentner haben keine Lust darauf, ihren letzten Lebensabschnitt mit Nichtstun zu verbringen. Aktiv im Alter heisst die Devise, und damit sind nicht nur Hobbys gemeint. Die einen suchen sich eine Betätigung in ihrem persönlichen Umfeld, andere bieten ihre Dienste über eine der Plattformen an, die in den letzten Jahren von Sen­i­oren gegründet wurden.

«Alte Säcke und Schachteln»

Bei rentarentner.ch beispielsweise kann man «alte Säcke» und «alte Schachteln» (Eigendeklaration) für alles Mögliche buchen – fürs Rasenmähen ebenso wie fürs Ausfüllen der Steuererklärung. Auf adlatus.ch wiederum haben sich pensionierte Führungskräfte zusammengeschlossen, die ihre «Erfahrung allen Bereichen der Wirtschaft und Verwaltung zur Verfügung» stellen.

Ein weiterer, seit seiner Gründung im Jahr 2006 inzwischen auf neun ­regionale Netzwerke gewachsener Sen­ioren-Zusammenschluss ist der Verein Innovage. Der Name, eine Kombination von «Innovation» und «âge» (Alter), ist Programm: Ältere Menschen beraten gemeinnützige Organisationen und Institutionen unentgeltlich bei der Umsetzung neuer Projekte. Das setzt bei den Innovage-Beraterinnen und -Beratern natürlich eine gewisse Qualifikation voraus.

Zu Beginn habe man deshalb ausschliesslich auf ehemalige Führungskräfte gesetzt, sagt Catherine Dessemontet, pensionierte Ärztin und Vorstandsmitglied bei Innovage Nord­westschweiz. Es habe sich aber gezeigt, dass diese Voraussetzung zu eng gefasst sei. «Ebenso wichtig, nebst fachlichen Kompetenzen, sind menschliche Qualitäten und Lebenserfahrung. Sich in einem Team einzugliedern stellt ausserdem für manche eine Herausforderung dar.»

Aktiv im Alter heisst die Devise. Damit sind nicht Hobbys gemeint.

Heute kann Mitglied bei Innovage werden, wer «über 55 Jahre alt und pensioniert ist oder kurz vor der Pensionierung steht» und in «Führungs-, Verwaltungs oder Beratungsarbeit Er­fahrungen gesammelt hat» – kurz: wer eine gute Bildung hat und motiviert ist, sich sozial zu engagieren. Wie ­Catherine Dessemontet, die die Arbeit bei Innovage als «sehr spannend und befriedigend» bezeichnet.

Die Innovage-Truppe der Nordwestschweiz kann denn auch schon ­einige erfolgreich umgesetzte Projekte auflisten, die dank ihrer Begleitung zustande gekommen sind: beispielsweise der «Surprise-Chor» vom ­Verein des gleichnamigen Strassenmagazins oder das Projekt «PC-Kings», wo ­Jugendliche ­Seniorinnen und Senioren in die ­Geheimnisse des Computers einführen.

In die Selbstständigkeit entlassen werden konnte die Raumschule des Vereins «drumrum», ein Projekt «zur Förderung der baukulturellen Bildung für Kinder und Jugendliche», bei dem Catherine Dessemontet massgeblich beteiligt war.

Viel Lob für die Routiniers

In den «drumrum»-Workshops setzen sich Kinder und Jugendliche mit der Wahrnehmung und Gestaltung ihres Umfelds auseinander – von der Stadt als Ganzes über das Wohnquartier bis zu ihrem eigenen Zimmer. «Sie erfahren, dass Raum nicht etwas Gegebenes ist, sondern gemacht wird», sagt Nevena Torboski, Architektin, Initiantin und Vereinspräsidentin. Es gehe darum, die Kinder für die Raumwahrnehmung zu sensibilisieren, sie miteinzubeziehen, sie zum Mitgestalten zu animieren.

Von Innovage hat Torboski über eine Bekannte erfahren, als die Idee aufkam, statt immerzu einzelne Workshops und Veranstaltungen zu organisieren, die «drumrum»-Raumschule als Institution zu verankern. Und auch wenn die Raumschule das Ziel, sich in eigenen Räumlichkeiten­ einrichten zu können, noch nicht ganz erreicht hat, ist Torboski voll des Lobs für die «erfahrenen Leute von ­Innovage». Dank ihnen könne man heute ein solides Konzept vorweisen, zudem seien mit der Innovage-Unterstützung die Struk­turen professionalisiert worden.

Wer Innovage näher kennenlernen will, hat an der diesjährigen Muba (22. Februar bis 3. März 2013) Gelegenheit dazu.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.02.13

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