Mitgegangen, mitgefangen? Der «Saubannerzug»-Prozess verhandelt unsere Grundrechte

Ab heute stehen 18 Angeklagte vor dem Strafgericht, die im Juni 2016 in Basel Fenster eingeschlagen, Wände verschmiert und Steine gegen Polizisten geworfen haben sollen. Der Staatsanwaltschaft ist dabei egal, wer genau was getan hat – alle sollen gleichermassen haften.

Die Staatsanwaltschaft will nicht wissen, wer die Scheibe eingeschlagen hat. Sie klagt auch Leute an, die nur in der Nähe waren.

Die Aktion gegen «Rassismus, Repression, Vertreibung und Gentrifizierung» dauerte gerade einmal eine halbe Stunde.

Danach protokollierte die Polizei: Sachschäden von mindestens 160’000 Franken, drei Verletzte, fünf beschädigte Polizeiautos. An Ort und Stelle verhaftete die Polizei 13 Demonstranten, sieben wanderten für längere Zeit in Untersuchungshaft.

Am Mittwochmorgen startet der Prozess gegen insgesamt 18 Personen. Für die Verhandlung vor dem Dreiergericht sind fünf Tage angesetzt.

Die Liste der Strafbestände ist lang. Unter anderem lauten die Vorwürfe:

  • qualifizierte Sachbeschädigung (öffentliche Zusammenrottung und grosser Schaden)
  • Angriff
  • Körperverletzung (mit einem gefährlichen Gegenstand) oder sogar versuchte schwere Körperverletzung
  • Störung des öffentlichen Verkehrs
  • Landfriedensbruch
  • Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte

Die Staatsanwaltschaft schreibt in der Anklage immer wieder von einem «Saubannerzug», der am 24. Juni 2016 durch die Stadt zog. An diesem Abend traf sich eine Gruppe von rund 50 Personen auf dem Areal der Sekundarschule Holbein und des Gymnasiums Leonhard.

Die Demonstranten – unter ihnen die 18 Beschuldigten – waren gemäss Anklageschrift alle schwarz gekleidet und vermummt, sie seien mit Hämmern, Farbgläsern, Spraydosen und dergleichen ausgerüstet gewesen und hätten aus einer Mulde Steine mitgenommen. Das Ziel sei es laut Anklage gewesen, möglichst grossen Schaden zu verursachen und dabei auch vor der Polizei nicht Halt zu machen.

Auf seinem Weg von der Kanonengasse durch den Schützengraben bis zur Spitalstrasse demolierte der «Krawallmob», wie ihn die Staatsanwaltschaft auch nennt, zahlreiche Fensterscheiben, besprayte Häuserfassaden und zertrümmerte die Bildschirme von zwei BVB-Automaten.

Den höchsten Sachschaden verbuchte die Helvetia-Versicherung am Steinengraben. Sie fordert über 86’000 Franken Entschädigung plus fünf Prozent Zins für die vergangenen zweieinhalb Jahre.

Unterwegs gab es auch Auseinandersetzungen mit der Polizei: An drei Orten bewarfen die Demonstranten Polizisten und ihre Autos mit Gegenständen. Dabei wurde ein Polizist durch Steine an Knie und Unterschenkel leicht verletzt.

Es geht nicht mehr darum, was der Einzelne getan hat

Für diese Delikte müssen sich die Demonstranten im Alter zwischen 21 und 32 Jahren nun vor dem Strafgericht verantworten. Bemerkenswert ist die sogenannte Solidarhaft, welche die Staatsanwaltschaft zur Anwendung bringen will. Anstatt zu beweisen, dass eine Person eine Straftat verübt hat, werden alle Beschuldigten für das gleiche Vergehen angeklagt.

«Mit dieser Taktik will man versuchen, von der Notwendigkeit eines individuellen Tatverschuldens abzulenken», sagt Alain Joset. Der profilierte Strafverteidiger ist Mitglied der Demokratischen Juristen Schweiz. Er beobachtet diese Strategie bereits seit Längerem, vor allem bei Gesetzesverstössen, die aus grossen Menschenansammlungen heraus – etwa bei Sportveranstaltungen oder eben Demos – begangen werden.

So vertritt Joset einen Mandanten, der 2016 nach Auseinandersetzungen im Nachgang eines FCB-Spiels verhaftet wurde. Der Student verbrachte über einen Monat in Untersuchungshaft – wegen Landfriedensbruch. Erst nachdem Joset eine Haftbeschwerde eingereicht hatte, kam der junge Mann frei. Die Verhandlung fand bis heute nicht statt.

Heute sagt Joset mit Blick auf den anstehenden Prozess: «Das Schuldprinzip lässt nicht zu, dass jemand, der bei einer Demonstration mitläuft, einfach für alle möglichen Gesetzesverstösse aller Teilnehmer verantwortlich gemacht werden kann.»

Joset kennt den Fall des «Saubannerzugs», einer seiner Mitarbeiter vertritt einen der Angeklagten. Joset ist besorgt über die Haltung der Staatsanwaltschaft, die alle für alles bestrafen wolle. «Es werden alle in den gleichen Topf geworfen und bei allen wird der gleiche Vorsatz unterstellt», sagt Joset.

Angeklagt wegen einer SMS

Dies ist insbesondere verwunderlich, wenn man bedenkt, dass nicht einmal alle Angeklagten am 24. Juni verhaftet worden waren. Mediale Wellen schlug der Name einer ehemaligen Juso-Präsidentin, der auf der Anklageschrift landete. Die Frau schickte an diesem Tag eine SMS an einen der Verhafteten, wodurch die Staatsanwaltschaft sie mit der Demonstration in Verbindung brachte. Sie hingegen behauptet, an dem Tag gar nicht in Basel gewesen zu sein, geschweige denn an der Demonstration, berichtete die «Republik».

Alain Joset ist sicher: «Die spärlich gesammelten Beweise reichen nicht aus, um eine Mittäterschaft aller Angeklagten zu beweisen.» Er bezieht dies insbesondere auf die zur Anklage gebrachte Sachbeschädigung und die versuchte schwere Körperverletzung gegen Polizisten. Hier geht es um die Gegenstände, mit denen die Beamten beworfen wurden, wobei laut Anklageschrift nicht klar ist, ob es sich um Steine, Glas oder Farbbeutel handelte.

Wenn die Staatsanwaltschaft nicht genau weiss, wer eine Straftat begangen hat, werden alle Anwesenden angeklagt.

Für Joset ist die Verhandlung auch politisch brisant: «Die Botschaft der Staatsanwaltschaft respektive des Staatsmonopols lautet: Passt auf, wenn einer aus einer Gruppe austickt und gegen Regeln verstösst, seid ihr alle Mittäter.» Anders gesagt – wenn die Staatsanwaltschaft nicht genau weiss, wer eine Straftat begangen hat, werden einfach alle Anwesenden angeklagt.

Eine äusserst problematische Botschaft: «So werden Bürger davon abgehalten, ihre Grundrechte auszuüben», sagt der Strafrechtler. Das bisherige Verfahren sei eine grosse Belastung für die Angeklagten. «Die Ungewissheit über die Folgen einer Strafuntersuchung löst bei vielen Menschen Stress aus.»

U-Haft zur Abschreckung

Hinzu kommt, dass sieben der Angeklagten lange Zeit in Untersuchungshaft sassen. Zwischen acht Wochen und füneinhalb Monaten waren die jungen Leute inhaftiert – bis das Appellationsgericht aufgrund von Haftbeschwerden in mehreren Fällen verfügte, dass die Demonstranten freizulassen seien. Die Gründe für eine Untersuchungshaft – Verdunkelungs- oder Fortsetzungsgefahr – seien nicht mehr gegeben gewesen, urteilte das Gericht damals.

Für Joset hat auch die lange Untersuchungshaft System – sie soll abschreckend wirken. Wer will schon an einer Demo teilnehmen, wenn er Gefahr läuft, später zur Rechenschaft gezogen zu werden für Taten, die er nicht begangen hat.

Nächster Artikel