Die Dame am Wettschalter vor der Halle ist eindeutig irritiert. Alle setzen hier wohl nur auf einen als Sieger. Obwohl es für zehn Franken Einsatz gerade einmal 80 Rappen Gewinn gibt. Aber die Dame muss zugeben, dass die Quote auf einen Dreisatzsieg von Filip Krajinovic attraktiv ist: Da springt das 13-Fache heraus.
Aber wer will schon an so etwas denken, wenn in Basel die alljährlichen Federer-Festspiele – vulgo: Swiss Indoors – beginnen. Und dieses Jahr wird in der St. Jakobshalle noch dicker aufgetragen als sonst. Die öffentliche Hand hat mit 117 Millionen Franken den 43 Jahre alten Betonkasten auf Vordermann gebracht.
Roger Brennwald hat ja lange genug genörgelt über die nicht mehr zeitgemässe Infrastruktur für eines der grössten Hallenturniere im Tenniszirkus weltweit. Jetzt ist der Vater der Indoors «überwältigt» und schwärmt: «Das ist ein grossartiges Bauwerk, mondän, das ist luftig, das ist ästhetisch wunderbar.»
Damit ist eigentlich fast alles gesagt über die St. Jakobshalle: Im Umschwung hell und licht gehalten und innen drin sehr dunkel, weshalb sie jetzt «Black Box» genannt wird. Was gleich geblieben ist, sind überrissene Preise etwa für ein nichtssagendes Bier oder lausig gebratene Würste. Der Rest bewegt sich sowieso seit eh und je im Champagner-Cüpli-Bereich und im Fine-Dine-Preissegment.
Das ist irgendwie alles egal, solange «Welcome home Rodscher» da ist. Wenn Wimbledon tennismässig sein Wohnzimmer ist, dann ist die Joggeli-Halle so etwas wie der Andachtsraum. Und auf den «Super Monday», an dem es dieses Jahr Abba zum Mitschunkeln gab, folgt der «Super Dienstag», der traditionell erste Abend mit dem Meister aller Klassen.
Auch da verhält es sich wie immer: vorher Gedränge im Tennisdorf der Sponsoren und riesige Schlangen vor den Verpflegungsständen, hinterher gähnende Leere in der Halle, wenn nach der Hauptattraktion das letzte Spiel des Tages (hier: der Franzose Gilles Simon gegen Leonardo Mayer aus Argentinien) über die Bühne gebracht wird. 9000 Zuschauer (ausverkauft, wie auch der Vorabend) sind jedoch einzig gekommen, um IHM zu huldigen.
Man muss bis 2008 zurückblättern
Es läuft dann zunächst so, wie es in den Erstrundenspielen von Roger Federer in Basel eigentlich immer ist: schnelle Führung, 6:2 nach 30 Minuten. Dann beginnt der aktuell als Nummer 3 der Weltrangliste geführte Federer fehlerhaft zu werden. «Meine Vorhand hab ich gestreut, was weiss ich wohin», wird er später einräumen. Vom ersten Aufschlag ganz zu schweigen (47 Prozent; Saisonmittel: 63).
Doch wie man sich täuschen kann: «Ich habe eigentlich gedacht, ich hätte es im Griff», sagt Federer, «aber das war nicht so.» Als der zweite Satz mit 6:4 an Filip Krajinovic geht, muss man im Programmheft bis 2008 zurückblättern, um einen Satzverlust Federers im ersten Basel-Spiel zu finden. Gegen einen gewissen Bobby Reynolds aus Georgia, USA.
Jeder gewonnene Ball Federers wird nun noch ein bisschen euphorischer gefeiert, das Publikum trommelt mit den Füssen und merkt bei der nächsten Fehlerhaftigkeit, dass sein Held unzufrieden ist mit seiner Vorstellung. Die Umstellung von Schanghai, wird er danach erklären, andere Bälle in Basel, die Höhe (!).
Und der talentierte junge Mann aus Sombor im Nordwesten Serbiens lässt nicht locker. Aus seiner Trainerbox wird er mit geballten Fäusten angefeuert. Die Nummer 35 der Weltrangliste, 26 Jahre alt, heizt Federer ordentlich ein.
Die 9000 leiden, Federer auch. Obwohl er nach wie vor glaubt, alles unter Kontrolle zu haben. Den nächsten Gang einlegen zu können. Sagt er jedenfalls hinterher zu dem Nervenkitzel. «Häufig war es in den ersten Runden doch so: Ich mache das Break. Zack. Gewinne den Satz.» Und das Ganze nochmal. Aus. Vorbei. So waren seit 2008 ausnahmslos alle Auftaktpartien der Federer-Festspiele einseitige Angelegenheiten, die kaum länger als eine Stunde dauerten. Gegen Krajinovic zieht sie sich 128 Minuten hin.
Als der Serbe von 2:5 auf 4:5 verkürzt, bestätigt ein verstohlener Blick auf die Wettquittung: das 13-Fache. Aus Federers Körpersprache ist längst eine Mischung aus Frust und Zorn (auf sich selbst) herauszulesen. Weil ihm nur wenige Bälle leicht von der Hand gehen und das Repertoire von gewohnter Weltklasse bis billiges Geschenk reicht.
«Wenn du das Ass eben nicht servierst»
Souverän und reflektiert wie Federer nun einmal seinen Sport erklären kann, sagt er, als er den widerspenstigen Gegner dann doch in die Schranken gewiesen hat:
«Jetzt hat das Publikum mal ein Match von mir gesehen, live und vor Ort anstatt nur im Fernsehen oder bloss das Resultat im Teletext. Ein Spiel mit Auf und Ab, wo man sich fragt: Was ist denn los? Vielleicht hat das Publikum auch seine Freude gehabt, mal mehr Tennis zu sehen zu bekommen. Break, Re-Break. Da merkt man, wie eng die Marge ist, wenn du das Ass eben nicht servierst, wenn du solltest. Oder wenn der andere einfach gut spielt im falschen Moment für dich. Dann kann das schnell kehren. So gesehen war das sicher interessant für die Leute, die sehen: Es ist immer wieder aufs Neue eine Challenge. Und es war auch gegen Krajinovic nicht einfach.»
Am Schluss ist es auch der Wille, das Spiel nicht verlieren zu wollen. Nicht dieses erste Spiel in dieser neuen Halle, an dem Ort, wo einst für ihn als Balljunge alles begann. «Da muss mehr passieren», sagt Federer, «da muss ich noch schlechter spielen oder der Gegner schon noch ein bisschen besser, damit er mich wegputzt.» Es sieht dann unter dem Strich so aus, wie beim FC Basel. Also so, wie es früher ausgesehen hat: Man gewinnt irgendwie, auch wenn man nicht so berauschend gespielt hat.
Am Donnerstag gehen die Federer-Festspiele weiter. Dann wartet Jan-Lennard Struff, ein 28-jähriger Deutscher, baumlang, aus dem sauerländischen Warstein. «Ich werde frisch sein», verspricht Federer, «aber ich muss sicher besser spielen.»