Molenbeek – ein arabischer Bazar im Herzen Europas

Man muss nicht nach Marrakesch fliegen, um authentisches Souk-Feeling zu erleben. Das gibt es auch im Herzen von Europa. 

Plüschpyjamas und Pfefferminzbündel, Kopftücher und Datteln gibts en masse, Restaurants für Frauen aber muss die Touristin suchen.

«Terrornest» wird Molenbeek, das ehemalige Arbeiterquartier im Westen Brüssels, oft genannt. Die Attentate auf «Charlie Hebdo», auf das Bataclan in Paris, die Brüsseler Anschläge – immer wieder führten die Spuren nach Molenbeek.

Doch Molenbeek hat nicht nur Terroristen etwas zu bieten, sondern auch Touristen. Man muss nicht nach Marrakesch fliegen, um authentisches Souk-Feeling zu erleben. Das gibt es auch im Herzen von Europa.

Das Zentrum von Molenbeek ist ein einziger, riesiger arabischer Bazar. Rund um die Art-Déco-Kirche Saint-Jean-Baptiste, deren Glockenturm einem Minarett ähnlicher sieht als einem Kirchturm, verkaufen die Händler ihre Ware. Donnerstags und sonntags ist Markttag.  

Friedenshüter lässt Fotos löschen

Dutzende Frauen scharen sich um einen Marktstand und strecken die Hände aus. «Promo!», Gebetsteppiche für sieben Euro. Knallrot und giftgrün sind die Teppiche, alle Made in China. Die Händler kommen kaum nach mit Auspacken und Einkassieren.

Fotografieren wird hier nicht sehr geschätzt. Ich solle aufhören, sagt mir ein Mann: «Il y a des femmes ici» – es hat hier Frauen. Ein Mann in lila Uniform gesellt sich zu uns und bittet mich höflich, das letzte Foto zu löschen. Er ist «Gardien de la paix», Friedenshüter, und patrouilliert zusammen mit seinen Kollegen, um das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu erhöhen.

Fast 100’000 Menschen wohnen in Molenbeek, überdurchschnittlich viele davon stammen aus Nordafrika. Ein Viertel der Bevölkerung ist arbeitslos. Bloss ein Kanal trennt Molenbeek vom schicken und hippen Viertel Sainte-Catherine, wo Designer wie Dries van Noten ihre Kollektionen präsentieren. Aber dazwischen liegen Welten.

Wer als Frau in Molenbeek ein Café sucht, braucht Geduld. In den meisten sitzen ausschliesslich Männer.

«Yalla, yalla! Allez, allez! 1 Euro, 1 Euro, 1 Euro», überall ertönt der Singsang der Händler, der wahlweise wie ein Gebet und dann wieder wie ein Rap klingt. «Qualité, qualité, qualité! 1 Euro, 1 Euro, 1 Euro!»  Hier gibt es alles zu kaufen. Kitsch und Ramsch. Pinke Pantoffeln und Plüschpyjamas. Datteln und Granatäpfel. Zahnbürsten und Damenbinden. Stoffe mit 1001 Pailletten, Berge von Mandarinen, Pfefferminzbündel, Kopftücher en masse. 9 von 10 Marktgängerinnen tragen Kopftücher, vollverschleiert ist keine.

Wer als Frau in Molenbeek ein Café sucht, braucht Geduld. In den meisten sitzen ausschliesslich Männer. Aber wer sucht, der findet. «Bonjour Mesdames!», begrüsst uns der freundliche Kellner des «Panorama Family» an der Chaussée de Gand, der kommerziellen Hauptschlagader des Viertels. Hier gibt es Kuchen für alle. 

Ein Quartier des sozialen Engagements

Molenbeek auf seine arabischen Einwanderer zu reduzieren – das wäre zu kurz gegriffen. Es ist ein überaus angenehmes Quartier, das sich zu erschlendern lohnt. Es bietet aussergewöhnliche Architektur, Gartenstädte des 19. Jahrhunderts, Jugendstil- und Art-Déco-Häuser sowie moderne Minergie-Gebäude, die meisten davon mit Sozialwohnungen.

Molenbeek ist auch ein Quartier des sozialen Engagements. Im Restaurant «Bel Mundo» kommt auf den Tisch, was im hauseigenen Garten wächst. Ein 1500 Quadratmeter grosser Gemüsegarten versteckt sich hinter der ehemaligen Bierbrauerei. Das «Atelier Groot Eiland» bietet Ausbildungs- und Arbeitsplätze und ist eine von zahlreichen Initiativen in Molenbeek, die Jugendlichen andere Perspektiven als Arbeitslosigkeit und Extremismus ermöglichen wollen.

Auf der Place Communale leuchtet eine Skulptur. Sie ist den Opfern der Terroranschläge von Paris und Brüssel gewidmet und wurde von der Gemeinde Molenbeek mitfinanziert.  Ein filigranes Metallgewebe aus arabisch anmutenden Zeichen umschliesst eine Lichtquelle. «Flamme de l’espoir» heisst sie, Flamme der Hoffnung.

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