Morgens um halb sieben auf dem Gammelflug

Wer mit Billig-Airlines fliegt, darf nichts erwarten. Der Flug von Berlin nach Basel um 6.15 Uhr ist trotzdem eine Zumutung. Eine Kolumne.

Sechs Uhr früh, Berlin: Hipster Kids haben das pralle Leben hinter, alle anderen zwei Stunden Horror vor sich.

Eigentlich weiss man ja, was kommt. EasyJet – das bedeutet schlecht gekleidete Stewards und Beutelkaffee, «Wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit» und «Danke für Ihre Geduld» und garantiert immer diesen einen Sitznachbar, dessen fette Arme über die Lehne hängen, der sich einen Gin Tonic bestellt – «Mit dem guten Gin!» – und nach drei Schlucken zur speichelsprühenden Lebensgeschichte ausholt.

Nie wieder, denkt man sich nach jedem Flug aufs Neue, während das halbe Flugzeug mal wieder euphorisch klatschend dem Piloten zu seiner gelungenen Landung gratuliert.

Und trotzdem sitzt man jetzt wieder in diesem Blechkäfig in Grellorange, einer Farbe, die niemandem, wirklich niemandem steht, so wie niemandem ein EasyJet-Flug steht. Auch den dürren Hipster Kids nicht, die gerade bleichgesichtig durch den Eingang wanken, Wasserflasche in der Hand, aslige Turnschuhe an den Füssen, generische Tattoos an den Armen. Die meisten von ihnen tragen Sonnenbrille – eine rührende Massnahme, die armen Augen sind sich gerade mal die Lichtschlitze in der Panorama Bar gewohnt.

Ein Mensch, ein Drink

Da kommen sie gerade her, sagen die, die noch was sagen wollen. Und die wollen immer dasselbe sagen: «36 Stunden lang durchgefeiert. ‹Berghain›, weisch.» Dann schauen sie kurz auf und warten auf Zustimmung. Die überarbeiteten Pupillen geben alles. «Es ist so geil da, das ganze Wochenende Nacht, du verlierst jedes Zeitempfinden! Wow, ich sags dir, wow!»

Berlin–Basel, 06.15, Montagmorgen. Niederste Schublade. Pendler, Partygänger, Prolos.

Ich denke an den Gin-Tonic-Hünen. Was er wohl gerade macht? Wieso er nicht gerade neben mir sitzt? Was da wohl für ein fieser Gott hinter den EasyJet-orangen Wolken sitzt, der noch weniger Erbarmen hat als ich Beinfreiheit, was für eine Arschgeige, die die Räder des Schicksals so dreht, dass ich jetzt statt Gin Tequila bekomme? Einen billigen Tequila, die Sorte Tequila, die niemand will, die sich dir ins Hirn bohrt, unerbittlich, so, dass du nichts entgegnen kannst, dass dein Kopf rotiert, dass du nur noch in stupiden Metaphern denkst. Jeder Mensch ein Drink, zum Beispiel. Mein Nachbar, der Tequila Sunrise.

«Guten Morgen!» Weisse Zähne leuchten mir ins Gesicht. «Was zu trinken?» Ich schüttle den Kopf und drehe mich zum Sitznachbarn. Der stellt sich schlafend, aber seine Augen klappen immer wieder auf, wie kleine Rollläden. Die Stewardess guckt leer und wendet sich den nächsten Passagieren zu. Sie scheint diesen Flug zu kennen. Berlin–Basel, 06.15, Montagmorgen. Niederste Schublade. Pendler, Partygänger, Prolos. Welche Sorte von Stewards kriegt diesen Flug? Sicher nicht die schottischen Single Malts, so viel ist klar.

Frühstücks-Groteske

Vielleicht hat sie aber auch einfach abgetauscht, einen guten Deal gekriegt. Den Nachmittagsflug nach Kopenhagen zur Wiedergutmachung. Lauter schöne, frische Blondschöpfe, die fröhlich an hausgemachten Chia-Bars knabbern. Aus der Bordmenükarte bestellen die höchstens den Grüntee.

Ganz anders die Passagiere des 06.15-Flugs nach Basel. Kaffee, Blaubeermuffins, Marsriegel, Fleischkäse-Ciabatta, you name it. Nichts zu grotesk, ein Frühstück zu sein. 

Dem Anzugträger vorne rechts reichen die klassischen Snackvariationen nicht. Er gönnt sich eine stärkende Tomatensuppe. Für Bloody Mary seis noch ein bisschen zu früh, scherzt er mit der Flight Attendant. Die lächelt gequält. Schön an den Kopenhagen-Flug denken.

Wer EasyJet fliegt, der ist geizig oder hat keine andere Wahl. Auf die meisten hier trifft beides zu. Der Frühflug setzt voraus, dass man Montagmorgen irgendwo sein muss. Meistens an der Uni oder im Büro. «Ich leg mich gleich eine Runde schlafen. Während der Vorlesung. Haha!» Tequila Sunrise hat seine Augen immer noch nicht zugekriegt.

Dafür redet er jetzt über die üble Angewohnheit einiger Menschen, nach dem Landen zu klatschen. «Ich meine – wir sind doch keine Musical-Vorführung hier!» Da wär ich mir nicht so sicher, denke ich. Hinten fängt ein Baby an zu schreien. Die Vorstellung ist gleich vorbei. Danke für ihre Geduld.

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