Nach jedem Tunnel ein neues Licht

Seine Behinderung liess Fritz Holderried keine Chance. Daraus machte er eine – und wurde zur Kultfigur.

Treuherzig, fröhlich, empfindsam, schlagfertig: Blueme-Fritz im Juni 1992 bei einem Interview mit Christian Heeb im Studio von Radio Basilisk. (Bild: Kurt Wyss)

Seine Behinderung liess Fritz Holderried keine Chance. Daraus machte er eine – und wurde zur Kultfigur.

Zahlreich waren sie bestimmt nicht an seiner Wiege versammelt, die guten Feen, die den 1935 zur Welt gekommenen Fritz Holderried mit ihren Gaben hätten beglücken können. Während bei Zwilling Rolf die Geburt problemlos verlief, gab Fritz anfänglich keinerlei Lebenszeichen von sich. Doch wie durch ein Wunder überlebte das Buschi, wenn auch mit erheblichen geistigen und körperlichen Behinderungen.

Eine einzelne gute Fee muss sich trotz allem ins Geburtszimmer verirrt haben. Sie schenkte Fritz einen unerschütterlichen Lebensmut und dazu den eisernen Willen, sich niemals und von niemandem beiseiteschieben und als nicht gesellschaftsfähig deklarieren zu lassen. Fritz schaffte es: Mit vierzehn Jahren konnte er zumindest gehen und sprechen. Während Jahren wurde er von Heim zu Anstalt geschoben; immer wieder haute er ab.

«Gueten Oobe, scheeni Rose!»

Fritz will arbeiten, selber Geld verdienen – erst bei einem Metzger, dann auf dem Bau, darauf als Hausierer und zu guter Letzt als Blumenverkäufer. «Gueten Oobe, scheeni Rose!» So tritt er in Basels Beizen an, immer gut gelaunt, immer nett zu den Leuten. «Blueme-Fritz» steht auf seiner ausgedienten Polizeimütze, die er zusammen mit einem alten, mit Pins und «Orden» dekorierten Uniformkittel jetzt ständig trägt. Bald kann er sich ein Mopedli samt Anhänger im Spalentor-Design leisten.

Unzählige Anekdoten ranken sich um seine Person. 1970 zum Beispiel platzt er in eine Sitzung des Grossen Rates und beklagt sich über seinen Vormund, der schon am nächsten Tag abgelöst wird. Im Joggeli amüsiert er während Jahren mit seinen Purzelbäumen das FCB-Publikum.

1987 fährt er mit Moped und Anhänger ins Tessin, da er nicht lesen kann über die Autobahn und durch den über 17 Kilometer langen Gotthardtunnel. Auf Tessiner Seite erwartet ihn die Polizei mit einem Grossaufgebot. Der damalige Basler Polizeidirektor Karl Schnyder verhindert eine Busse und verschafft dem Analphabeten stattdessen eine behördliche Verpflegung mit Piccata und Risotto sowie eine Gratis-Übernachtung.

Wer Blueme-Fritz nur als «Original» in Erinnerung behält, wird ihm damit nicht annähernd gerecht.

Während eines Spitalaufenthalts begann Blueme-Fritz mit dem Malen naiver Bilder von bemerkenswerter Ausdruckskraft. Den Erlös aus dem Verkauf liess er einem Sonderschulheim zukommen. Am 25. Dezember 2003 starb Blueme-Fritz mit 68 Jahren. Im Testament wünschte er sich die Gründung einer Vereinigung zur Unterstützung behinderter und sozial benachteiligter Kinder unter seinem Namen. 2004 wurde dem Anliegen entsprochen (siehe www.blueme-fritz.ch).

Was ist aus einem solchen Leben zu Lernen? Wer Blueme-Fritz nur als «Original» in Erinnerung behält, wird ihm damit nicht annähernd gerecht. Wer einen behinderten Menschen einzig an der eigenen «Normalität» misst, dem verschliessen sich Welten. Und um sein Leben trotz aller Schicksalsschläge bemerkenswert zu meistern, genügt eine einzige gute Fee offensichtlich vollauf.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.02.13

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