Naturhaushalt mit deutlich grösserem Defizit als die Staatshaushalte

Die Verschuldung der Menschheit gegenüber der Natur ist zehnmal grösser als die viel beklagte Staatsschuld in den Industrieländern. Das zeigt der neuste «Living Planet Report».

Eine der grossen Belastungen: die CO2-Belastung. (Bild: sda)

Die Verschuldung der Menschheit gegenüber der Natur ist zehnmal grösser als die viel beklagte Staatsschuld in den Industrieländern. Das zeigt der neuste «Living Planet Report».

Die Daten der Staatshaushalte sind präzis, omnipräsent und tiefrot. Zusammengefasst und gerundet zeigen sie: Die Staatsschulden in den USA, in Japan und der EU zusammen summierten sich Ende 2011 auf über 30 000 Milliarden Schweizer Franken. Diese kumulierten Schulden sind etwa gleich hoch wie das Bruttoinlandprodukt (BIP), welches die gleichen Länder in einem Jahr zusammen erwirtschaften. Das heisst: Um ihre Staatsschulden zu tilgen, müssten die Menschen (oder ihre Nachkommen) ein Jahr lang gratis arbeiten.

Die Staatsverschuldung zählt zu den grössten Problemen der industrialisierten Welt. Doch dieses Problem wäre lösbar. Denn den Schulden der öffentlichen Hand, aber auch von Banken und vielen Privatpersonen, steht global ein ebenso grosses Guthaben gegenüber. Allerdings konzentriert sich dieses Vermögen mehrheitlich in den Händen einer kleinen Minderheit.

Die Buchhaltung zur Natur

Neben monetären Daten gibt es auch eine Buchhaltung über die Natur. Geführt wird diese vom «Global Footprint Network» in Kalifornien. Die Naturbuchhalter rechnen nicht mit Dollar oder Franken, sondern mit produktiven Boden- oder Wasserflächen (in Hektaren pro Kopf). Die Summe von allem, was auf diesen Flächen wächst oder sich erneuert, bezeichnen die Footprint-Forscher als «ökologische Kapazität»; dabei handelt es sich um das Angebot. Auf der andern Seite erfassen sie unter dem Begriff «ökologischer Fussabdruck» den Naturverbrauch; dies  insgesamt und pro Kopf der Menschheit.

Die Naturbuchhaltung ist nicht so genau wie die Staatsbuchhaltungen. Denn die Fruchtbarkeit von unterschiedlichen Böden oder die Fähigkeit von Meeren oder Wäldern, den Abfall oder den CO2-Ausstoss der Menschheit abzubauen, lässt sich weniger präzis messen als Geldmengen. Trotzdem wird die Methode des Footprint-Network von Fachleuten als taugliches Instrument anerkannt, um Angebot und Verbrauch im Naturhaushalt abzuschätzen.

Mehr verbraucht als nachwächst

Die Daten dieser Naturbuchhaltung veröffentlicht der WWF International alle zwei Jahre in seinem «Living Planet Report»; die jüngste Ausgabe mit 164 Seiten ist gestern erschienen. Hier die wichtigsten Resultate:

> Im jüngsten Erhebungsjahr 2008 war der ökologische Fussabdruck global um 53 Prozent höher als die ökologische Kapazität pro Kopf der Weltbevölkerung. Mit andern Worten: 2008 verbrauchte die Menschheit 1,5 mal mehr natürliche Ressourcen, als die Natur regenerieren konnte. Dieses Defizit lässt sich temporär verkraften, weil die Natur über grosse Reserven verfügt. Beispiel: Der vom Ökosystem nicht absorbiere CO2-Ausstoss, den die Plünderung von Erdöl und Kohle verursacht, wird in die Atmosphäre gepufft und reichert sich dort an.

> Im Jahr 1970 überschritt der Naturverbrauch der Menschheit erstmals das Naturangebot. Seither ist diese Verschuldung gegenüber der Natur stetig gewachsen.

> Das genannte Defizit im Naturhaushalt kumulierte sich im Zeitraum von 1970 bis 2008 auf eine Summe, die zehnmal so gross ist wie die ökologische Kapazität im Jahr 2008. Mit andern Worten: Die Natur brauchte zehn Jahre, um ihre Übernutzung oder Plünderung auszugleichen, welche die Menschheit in den letzten 38 Jahren verursacht hat.

Die gegenüber der Natur angehäuften Schulden sind damit zehnmal grösser als die kumulierte Staatsverschuldung in den Industrieländern. Und sie lassen sich weniger leicht tilgen. Denn es ist leichter, Geld zu drucken oder Steuern einzutreiben, als abgeholzte Urwälder aufzuforsten oder in CO2 umgewandeltes Erdöl zu regenerieren. 

Vom globalen Durchschnitt gibt es massive Abweichungen. So ist der ökologische Fussabdruck pro Kopf in den monetär reichen Industriestaaten (noch) viel grösser als in den Entwicklungsländern. Zudem schwankt die ökologische Kapazität, je nach Besiedelungsdichte und Klima. Beispiel: Die Schweiz verbraucht pro Kopf rund dreieinhalb Mal mehr Natur, als die Natur innerhalb ihrer Landesgrenze regenerieren kann.

 

 

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