Popkultur und Wissenschaft vertragen sich nicht? Die Wissenschaftler Corinna Virchow und Mario Kaiser sehen das anders. Auf Plakaten an 21 Busstationen in Basel stellen sie ihr Magazinprojekt «Avenue» vor.
«Im Moment fühle ich mich grad noch ein bisschen wie ein Laternenfisch.» Mario Kaiser lacht. «Wir tasten mit verschiedenen Leuchten und Farben unsere Umgebung ab, um zu schauen, was da alles kommt.» Der promovierte Wissenschaftsphilosoph steht in seiner kleinen Küche im Gundeli und löffelt Kaffee in den Kocher. Hier hat alles angefangen: Kaiser und seine Partnerin, die Germanistin Corinna Virchow, hatten genug vom abgeschiedenen Wissenschaftsbetrieb und beschlossen, ein Magazin zu gründen, das geistes– und sozialwissenschaftliche Inhalte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht.
Als Erstes mussten sie ihr Laternenfisch-Lämpli in der nächsten Umgebung zünden: Im August des vergangenen Jahres luden die beiden zum Brunch ein und erzählten ihrem Freundeskreis von der Idee. Damals lautete der Arbeitstitel noch «Avenue – Magazin für Geistes- und Sozialwissenschaften», und prompt kam der Kommentar eines Freundes: Ein Magazin mit diesem Titel würde er nie und nimmer kaufen. «Das nahmen wir uns zu Herzen», sagt Virchow und lacht. Binnen weniger Monate erarbeiteten sie ein Konzept für ein Wissenschaftsmagazin, das Wissen und Denken ins Leben integriert und umgekehrt, mit dem neuen Namen «Avenue – Magazin für Wissenskultur».
Wissenschaft und Populärkultur – passt das zusammen?
Ein Name also, der Zukunft, Urbanität und Abenteuer vereint und sich für eine Kultur einsetzt, in der wissenschaftliches Wissen einen neuen Stellenwert bekommt. «Die erste populärwissenschaftliche Zeitschrift für Geistes- und Sozialwissenschaften im deutschsprachigen Raum», heisst es auf der Website von «Avenue» – ein heikles Unterfangen, bedenkt man die schwurbligen Höhenflüge, zu denen Wissenschaftler sich gern hinreissen lassen. Sind Pop und Zack denn überhaupt mit Wissenschaft vereinbar?
Natürlich sind sie das, mehr noch: Sie müssen. Das ist für Virchow und Kaiser klar. Und dafür setzen sie sich auch ein: In der ersten Ausgabe, die es momentan online zu lesen gibt, vereinen sie grosse und kleine Namen in grossen und kleinen Artikeln zu einem grossen Thema: wir Cyborgs. «Uns ist wichtig, dass wir Themengebiete haben, die von verschiedenen Richtungen angegangen werden können», sagt Virchow. Cyborgs vereinen nicht nur Sozial- und Geisteswissenschaften, sondern ermöglichen verschiedenste Blickwinkel und Ansätze. So finden sich in der ersten Ausgabe ein Interview mit dem Kulturtheoretiker Klaus Theweleit, ein Text über Drogen in der neoliberalen Gesellschaft und eine Rezension des Films «Her» von Spike Jonze.
Ein besonderes Schmankerl ermöglichte ihnen die Christoph Merian Stiftung mit der Finanzierung von Werbeflächen an 21 Busstationen in der ganzen Stadt: Zwei Wochen lang hängen hier ausgewählte, komprimierte Artikel zum Reinlesen und Diskutieren – ein Aspekt, der den beiden wichtig ist. «Wir betrachten unsere Inhalte nicht als abgeschlossene Wahrheiten», sagt Kaiser.
Lesersenf erwünscht
Der Dialog mit dem Publikum ist ein wichtiger Teil ihres Konzepts: Die Leser können sich jederzeit einschalten und in fusszeilenartigen Spalten Textpassagen kommentieren – was wiederum von den Autoren beantwortet wird. So sollen die Texte organisch weiterwachsen und als offene Dialoggefässe die Leser zum Mitdiskutieren anregen.
«‹Avenue› will nicht nur über Wissen kommunizieren, sondern auch konkret Wissen kommunizieren», sagt Kaiser und trinkt den Rest seines Kaffees aus. Bis jetzt haben die beiden eine gute Resonanz erfahren, im Januar soll die Crowdfunding-Kampagne starten, im Februar die erste Ausgabe auf Papier erscheinen. Das Lämpchen des Laternenfischs leuchtet weiter, und wir drücken die Daumen: für eine populäre Wissenskultur und erhellte Lebenswelt!