Nobelpreisträger macht Frauenwitz – und bleibt an einem # hängen

Wegen einer frauenfeindlichen Bemerkung musste der Nobelpreisträger Tim Hunt kürzlich seinen Hut nehmen. Eine grosse Rolle spielten dabei die sozialen Netzwerke.

Ein renommierter Wissenschaftler macht eine frauenfeindliche Bemerkung. Und die Hölle bricht los. Im Internet protestierten Wissenschaftlerinnen mit dem Hashtag #distractinglysexy.

(Bild: freethoughtblog.com)

Frauen im Labor, sagte der Nobelpreisträger Tim Hunt Anfang Juni auf einer Konferenz, lenken nur von der Arbeit ab. Wissenschaftlerinnen wehrten sich in den sozialen Netzwerken mit dem Hashtag #distractinglysexy. Tim Hunt kostete die Bemerkung schliesslich den Job.

Frauen in Laborkitteln, an solchen Bildern war in letzter Zeit in den sozialen Medien kein Vorbeikommen. Mit den Bildern verbunden: der Hashtag #distractinglysexy. Ursache dafür ist der Medizin-Nobelpreisträger Tim Hunt, der sich bei einem Vortrag in Südkorea über die Zusammenarbeit von Männern und Frauen im wissenschaftlichen Labor ausliess.

Die sei schwierig, sagte er. Es wäre besser, Frauen und Männer würden in getrennten Labors arbeiten. Im Wortlaut sagte Hunt: «Drei Dinge passieren, wenn sie (die Frauen, Anm. d. Red.) im Labor sind: Du verliebst dich in sie, sie verlieben sich in dich, und wenn du sie kritisierst, fangen sie an zu heulen.» Diese Bemerkung fallen liess Hunt ausgerechnet an einer Konferenz für Wissenschaftsjournalistinnen.

Stufe Eins: Der kreative Protest

Zunächst schien die Bemerkung vom höflichen Applaus für Hunts Referat überdeckt zu werden. Doch auf Twitter tauchte sie bald darauf wieder auf: «Denkt dieser Nobelpreisträger, dass wir in viktorianischen Zeiten leben?», fragte dort die Leiterin des Studiengangs Wissenschaftsjournalismus an der Londoner City University, Connie St Louis, wie «Spiegel Online» berichtete. Ihr Tweet ist in Zwischenzeit offenbar gelöscht worden. Finden lässt sich jedoch dieser hier:

Auf Twitter wurde diese Reaktion auf den Vorfall schnell aufgenommen. Zunächst in Form eines kreativen Protests. Unter #distractinglysexy posteten Wissenschaftlerinnen witzige, schlagfertige Bemerkungen und Bilder von sich in Arbeitskleidung. Mit Schutzbrillen, Arbeitsoveralls, Mundschutz, Messgeräten am Körper, Vollschutz in Biolabors.

Oder sie posteten Namen und Fotos bekannter Wissenschaftlerinnen wie Marie Curie (einzige Frau unter den vier Mehrfach-Nobelpreisträgern), Rosalind Franklin (wegweisende Entdeckungen zur Strukur der DNA), Christiane Nüsslein-Volhard (Nobelpreisträgerin Physiologie und Medizin), Margaret Hamilton (entwickelte die Flugsoftware für das Apolloprogramm) und etlichen anderen.

Diese Aktion blieb nicht ohne Wirkung. Die Royal Society diszanzierte sich, Sir Tim Hunt entschuldigte sich und trat am 11. Juni von seiner Position als als Honorarprofessor am University College London (UCL) zurück. Nicht ganz freiwillig.

Stufe Zwei: Der Rauswurf

Während Tim Hunt noch im Ausland weilte, wurde seine Frau, die ebenfalls Wissenschaftlerin ist und ebenfalls eine Professur an der UCL innehat, zum Gespräch bestellt. Hunt solle zurücktreten oder man werde ihm kündigen, liess die UCL ausrichten.

Sein Arbeitgeber habe ihn in dieser Sache voll «im Regen stehen lassen», beschwerte sich Tim Hunt im Anschluss in verschiedenen Medien. Die UCL betonte allerdings, dass Onlinekommentare keine Rolle bei der Kündigung gespielt hätten. Hunts Frau gibt sich inzwischen grosse Mühe, ihren Mann als guten Feministen darzustellen. Er koche, kaufe ein und mache Hausarbeit, liess sie wissen. Ab und zu sage er eben «dumme Sachen». Ein Ausweis für seine berufliche Einstellung zu Frauen ist das freilich nur bedingt.

Stufe Drei: Die öffentliche Meinung

Die öffentliche Diskussion hat sich mittlerweile zu einer Diskussion über den Sinn und Unsinn des Hashtags und der Kündigung ausgewachsen. Auf einigen Plattformen kann man sogar online abstimmen, ob man die Kündigung berechtigt findet.

Wegen eines verbalen Ausrutschers einen renommierten Wissenschaftler auf diese Weise aus dem Amt jagen, das muss nicht sein, finden die einen. Zumal Tim Hunt bei seiner Arbeit Männer wie Frauen fördere. Und die Karriere eines Menschen wegen einer Lappalie zu zerstören, sei von der UCL bestenfalls unbedacht. Die UCL gebe Tim Hunt dadurch die Möglichkeit, sich als Opfer zu präsentieren – für den Feminismus ein Bärendienst. Und einen Shitstorm wie diesen sollte so oder so keiner aushalten müssen.

Die Kündigung sei gerecht, finden die anderen. Ein Nobelpreisträger habe schliesslich eine Vorbildfunktion. Und wer sich bei einem Vortrag despektierlich über Frauen äussere, der habe dies garantiert auch schon bei früherer Gelegenheit getan. Hunts Aussage sei weit mehr als nur ein schlechter Scherz und es sei gut, dass frauenfeindliche Bemerkungen endlich sichtbare Folgen hätten. Überdies sei der Nobelpreisträger bereits 72 Jahre alt. Von einer zerstörten Karriere könne demzufolge keine Rede sein.

Eine dritte Gruppe hält die Portestaktion für ausgesprochen kreativ. Es sei Zeit, dass in der Wissenschaft noch immer benachteiligten Frauen endlich sichtbar würden. Eine Debatte sei überfällig. Denn Frauen publizieren zum Beispiel weniger und werden bei Peer-Reviews öfter schlecht bewertet. Erst der Hashtag #distractinglysexy habe vor Augen geführt, wie viele Frauen in der Wissenschaft Relevantes und Interessantes leisteten – und das nicht erst seit ein paar Jahren. 

#distractinglysexy-Tweets

Nächster Artikel