Wie engagiert sind die Leute im Basler Gundeldinger Quartier? Das wollte die Koordinationsstelle für Freiwilligenarbeit wissen und hat die Gundelianer gefragt. Dabei zeigt sich: Das Gundeli liegt im Schweizer Durchschnitt. Mit einer signifikanten Ausnahme.
Wie engagiert ist das Gundeli? Das wollte die Koordinationsstelle Freiwilligenarbeit im April 2014 wissen und verschickte 10’000 Fragebögen an die Gundeldinger Haushalte. Rund 1400 kamen zur Auswertung zurück.
Eine gute Quote, bestätigte Markus Freitag, Direktor des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Bern, am vergangenen Donnerstag. Der Professor war als Fachmann geladen zur Podiumsdiskussion im «L’Esprit». Mit ihm auf dem Podium sassen Michelle Bachmann von der Koordinationsstelle für Freiwilligenarbeit, Mayani Sivanathan vom Jugendrotkreuz des SRK Basel und Claude Wyler, der sich in gleich in einer guten Handvoll von Ehrenämtern engagiert. Unter anderem ist er Vizepräsident der Quartiergesellschaft «Zum Mammut Gundeldingen-Bruderholz».
Was hier als Arbeit zählt, ist in anderen Kulturen Normalität
Wyler begründete auch sein grosses Engagement: «Es ist nicht so, dass ich anderen das Amt nicht zutraue. Eher so, dass ich ihnen nicht zutraue, dass sie es machen.» Die Studentin Mayani Sivanathan hingegen sagte: «Ich habe manchmal mehr davon, als die Kinder und Jugendlichen mit denen ich arbeite.»
Spass an der Sache und die Bestrebung anderen helfen zu wollen, stehen für die meisten bei der Freiwilligenarbeit im Vordergrund. Vieles, was in der Schweiz als Freiwilligenarbeit gelobt werde, sei in anderen Kulturen Normalität, gab Sivanathan, deren Eltern aus Sri Lanka stammen, jedoch auch zu bedenken.
Ehrenamt macht Spass und nützt allen: Warum werden Menschen ehrenamtlich aktiv? Die Befragung unterschied zwischen egoistischen (blau) und altruistischen Motiven (grün). (Bild: Präsidialdepartement Basel-Stadt)
Um die Freiwilligenarbeit hierzulande ist es keineswegs schlecht bestellt. In der Schweiz werden pro Jahr 640 Millionen Stunden gemeinnützige Arbeit geleistet. Unter den europäischen Ländern nimmt die Schweiz vor den Niederlanden und den skandinavischen Ländern die Spitzenposition ein.
Etwa 25 Prozent der Schweizer leisten formelle Freiwilligenarbeit, 35 Prozent sind informell engagiert. Markus Freitag führt das auf die Tradition der Milizarbeit zurück. Schweizweit top bei der formellen Freiwilligenarbeit ist der Kanton Uri, Basel liegt etwa im Mittelfeld.
Fast zwei Drittel der Gundeldinger engagieren sich ehrenamtlich, 18 Prozent in Institutionen wie Sportvereinen. (Bild: Präsidialdepartement Basel-Stadt)
Etwa 60 Prozent aller Gundeldinger engagieren sich freiwillig. Bei formellen Engagements, etwa in Vereinen, kirchlichen Institutionen und anderen Organisationen haben die Männer die Nase vorn. Frauen engagieren sich eher im informellen Bereich, etwa im Bereich Kinderbetreuung, Pflege und Nachbarschaftshilfe. Das entspricht dem Schweizer Durchschnitt.
Spontan und projektbezogen
Der typische Freiwillige in formellen Engagements ist ein eher besser gebildeter Mann mittleren Alters. «Man trifft schon immer wieder auf die üblichen Verdächtigen», sagt Claude Wyler dazu schmunzelnd. Kinderbetreuung für andere leisteten Männer hingegen so gut wie nie.
Im Gundeldinger Quartier sind dabei überdurchschnittlich viele Junge aktiv. Das Gerücht, die Jugend sei faul und wenig engagiert, sagt Freitag, liege womöglich daran, dass man die Vergangenheit gerne verkläre.
Seit den 1970er-Jahren habe sich aber einiges geändert. Von Institutionen wie Sportvereinen oder kirchlichen Organisationen fühlten sich Jugendliche und junge Erwachsene heute weniger angesprochen. Sie bevorzugen spontanes projektbezogenes Engagement und organisieren sich über Social Media. Darauf müssten sich die Träger einstellen.
Überraschung: Sport interessiert weniger
Nicht jeder, der in den Verein geht, um dort Fussball zu spielen, leistet Freiwilligenarbeit. Das tut er erst, wenn er zum Beispiel als Übungsleiter aktiv wird. Die weitaus meisten Schweizer engagieren sich trotzdem im Bereich Sport. Nicht so in der Fasnachts- und Musikstadt Basel. In der Gundeli-Umfrage schaffte es der Schweizer Spitzenreiter gerade mal auf den vierten Rang:
Basel ist eine Musik- und Fasnachtsstadt: die meisten freiwillig Engagierten taten das im Bereich Kultur und Musik. Erst an vierter Stelle folgt der Sport. Bei den informellen Engagement überwiegt wenig überraschend das Kinderhüten (unbezahlt und ausserhalb des eigenen Haushalts). (Bild: Präsidialdepartement Basel-Stadt)
Grösstes Hindernis: zu wenig Zeit
Immerhin ein Viertel der derzeitigen und ehemaligen Freiwilligen gab an, sie sähen für ihre Arbeit keinerlei Hindernisse. Für alle anderen ist das grösste Hindernis ein knappes Zeitbudget. Entsprechend unterschiedlich ist das Engagement in verschiedenen Lebensphasen.
Wer Familie hat, «muss sich Freiwilligenarbeit auch leisten können». Das bekräftigten mehrere Zuhörer. Claude Wyler nutzt bei seinen vielfältigen Engagements dabei Überschneidungen aus. Keine grossen Zeitprobleme hat Mayani Sivanathan. Sie kann Studium, Familie und freiwillige Arbeit gut unterbringen. «Man muss sich halt struktuieren», findet sie.
Grösstes Hinderniss dabei, freiwillig aktiv zu werden, ist Zeitmangel, fanden die Befragten. (Bild: Präsidialdepartement Basel-Stadt)
Persönliche Kontakte entscheidend
Fast die Hälfte aller Freiwilligen kommt über persönliche Kontakte zum Engagement. Da, stellte sich heraus, könnte weitaus mehr getan werden. Mehr informieren könnte man zum Beispiel in Schulen, finden Claude Wyler und Mayani Sivanathan. Für Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Asylsuchende gebe es dazu grosse Hürden, unentgeltlich aktiv zu werden, sagte eine Zuhörerin.
Ein Hinweis, der von Michelle Bachmann dankbar aufgenommen wurde. Strukturelle Hürden zu beseitigen, sieht sie als Aufgabe der Koordinationsstelle Freiwilligenarbeit an.
Eine umfassende Zwangsverpflichtung zum Bürgerdienst, wie sie kürzlich diskutiert wurde, hält Freitag als Fachmann nicht für sinnvoll. «Bei den Männern würde sich das schon umsetzen lassen, bei den Frauen wäre es schwierig. Sehr schwer wäre es bei Ausländern», schätzt er die Lage ein.
Aufmerksamkeit zu wecken, sei nach seinen Erfahrungen das beste Mittel, um die Freiwilligenarbeit zu fördern: Anlässe, Umfragen, und eben auch Podiumsdiskussionen veranstalten, auf sozialen Medien aktiv werden, Webpages einrichten und andere dabei unterstützen. Und schliesslich: «Die beste Idee war daher, überhaupt über eine Verpflichtung zu reden.»