Opfer des Erfolgs

Jacques Herzog und Pierre de Meuron dominieren die Diskussion über die Stadtentwicklung und prägen mit ihren Bauten Basels Stadtbild. Das provoziert Kritik – auf welche die einstigen Architektur-Rebellen empfindlich reagieren.

Bestellt man bei Herzog & de Meuron, erwartet man Spektakel: Der Hauptsitz von Actelion in Allschwil.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Herzog & de Meuron dominieren die Diskussion über die Stadtentwicklung und prägen mit ihren Bauten Basels Stadtbild. Das provoziert Kritik – auf welche die einstigen Architektur-Rebellen empfindlich reagieren.

Nächste Woche wird eine grosse Woche für Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Ihr Messe-Neubau darf dann durch die Presse besichtigt werden. Einer der aufregendsten Eingriffe ins Stadtbild ist vollzogen und vielleicht auch der Anspruch der beiden Stararchitekten eingelöst, die Gewichte in Basel zu verschieben. 

1999 sagte Herzog einmal: «Basel ist auch ein Kaff, das immer mehr ­seiner eigenen Provinzialität nach­zugeben scheint als sich dagegen aufzulehnen. So kommt es, dass der Münsterhügel noch immer der Nabel der Basler Welt ist.» Mit dem Messe-Neubau, mehr aber noch mit Herzog & de Meurons (HdM) Roche-Turm, dürfte sich der Nabel bewegen, weg vom alten Machtzentrum hin zu den neuen treibenden Kräften. Und mitten drin: HdM.

Weitgehend widerstandslos

Mit den beiden Grossprojekten ­haben sich HdM einen Schritt voran gewagt, sie verändern die Stadt nicht mehr nur mit spektakulären Einzelbauten à la Schaulager oder Kleinoden wie dem neuen Volkshaus. Nun reis­sen sie Basel in eine neue Richtung. Das tun sie im Verbund mit den jeweiligen Auftraggebern, weitgehend ohne auf Widerstand zu stossen.

Das Murren in der Branche über den Messebau verstummte spätestens mit einer vor Lob triefenden Verteidigungsschrift des Architektenkollegen Roger Diener in der «Basler Zeitung», in der dieser die neue Messe mit der legendären Grand Central Station in New York verglich.

Ein Bau «wie aus dem Weltall»

Nun, da der Bau fertig ist, ertönen wieder kritische Stimmen. Timothy Nissen, Basler Stadtplaner, Architekt und Hochschuldozent, wähnt sich in einem Science-Fiction-Film: «Der Bau wirkt, als sei er aus dem Weltall herabgesetzt worden, er nimmt keinen Bezug zum Umfeld.» Für den Architekten Jürg Berrel hat der Neubau den Charakter des Stadtteils radikal verändert, «so nach dem Motto, päng, da bin ich, ich bin der Hauptbau». Alle anderen Gebäude rund um den Messeplatz seien degradiert worden.

Herzog ist aufgebracht, als er von der Kritik hört. Er führt gerade eine Gruppe Harvard-Studenten ins neue Semester ein, die aus Boston in das von ihm, Pierre de Meuron, Roger Diener und Marcel Meili geleitete ETH-Studio Basel gekommen sind. Das Studio ist die planerische Ideenschmiede der Architekten.

Schmuddelecken unter der Lupe

Herzog will mit den Studenten drei Sorgen­gebiete in der Region anschauen: die Basler Schifflände, die Birs­felder Hochhäuser und den Agglo-Wulst in Reinach. Die Studenten sollen das Potenzial, das unter den Bausünden der Vergangenheit verschüttet liegt, freilegen. HdM stossen sich, obwohl längst eine Weltmarke geworden, noch immer an den schmuddeligen Ecken nebenan. Dabei stören sie die «Kleingeister und eine Kritik, die angetrieben ist von Eifersucht und Missgunst», wie Herzog sagt. Der Weltstar reagiert dünnhäutig auf Widerspruch, wittert niedere Motive.

Doch auch aus unverdächtigen Kreisen werden Vorbehalte laut. Regula Lüscher, baselstämmige Berliner Senatsbaudirektorin, sah in einem ­Interview mit der TagesWoche beim Messe-Neubau «eine Grenze überschritten». Man habe es verpasst, vor dem öffentlichen Raum haltzumachen – ein Teil des Messeplatzes wurde dem Neubau einverleibt.

Auch der frühere Basler Kantonsbaumeister Carl Fingerhuth kritisierte in einem vielbeachteten Artikel in der NZZ die Auswirkungen aufs Stadtbild scharf. Herzog traf auch dieser Einspruch. Er lud Fingerhuth auf einen Kaffee, um die Angelegenheit auszudiskutieren.

Enge Beziehung zu den Behörden

Die Mühe, mit Kritik umzugehen, ist für Benedikt Loderer keine Eigenart von HdM. «Das ist branchenüblich», sagt der profilierte Architekturkritiker. Bei HdM komme aufgrund ihrer Bedeutung aber hinzu, dass sich niemand traue, den Mund aufzumachen. «Zivilcourage war noch nie eine Archi­tektentugend.»

Für Architekt Nissen liegt ein Grund dafür in der Angst, nicht mehr zum Zug zu kommen: «HdM zu kri­ti­sieren ist nicht einfach. Man muss in Kauf nehmen, von Auftraggebern ausgeschlossen zu werden.» Denn Kritik an HdM sei immer auch Kritik an Kantonsbaumeister Fritz Schumacher und Baudirektor Hans-Peter Wessels.

Die Konstellation scheint, ungeachtet der Qualitäten von HdM, tatsächlich problematisch. Wessels pflegt ­einen engen Kontakt zu HdM, Schumacher hat sich in seinen Ideen, etwa zur Entwicklung des Hafens oder des Dreispitz weitgehend von HdM inspirieren lassen. In zwei Jahren will Schumacher abtreten, die Neubesetzung des Postens wird einer der wichtigen Personalentscheide des Kantons. Auch HdM haben sich dazu ihre Gedanken gemacht, öffentlich äussern wollen sie sich nicht.

Es gibt drei Machtfaktoren in Basel: Pharma, Messe und HdM.

Mulmig werden kann es einem, wenn weitere Machtfaktoren dazukommen. Basel-Beobachter Loderer beschreibt das so: «In Basel gibt es drei grosse Player: Chemie, Messe und Herzog & de Meuron. Wenn diese kombiniert auftreten, können sie alles durchboxen. Jede Stadt ist erpressbar, Basel aber besonders.» Das ist bei den Grossprojekten Roche-Turm, Messe und Novartis Campus augenfällig. Bedenkenlos gab die Politik den Begehren der drei grossen Unternehmen statt.

Jacques Herzog und Pierre de Meuron fühlen sich falsch verstanden. «Wir haben so wenig Macht wie jeder andere Architekt», sagt Herzog. Um die lokale Konkurrenz nicht wegzudrücken, würde das Büro bewusst nicht mehr bei kleineren Wettbewerben mitmachen. «Wir nehmen niemandem etwas weg», sagt de Meuron.

Als Rebellen gestartet

Das Selbstbild der beiden Architekten ist geprägt von ihrer Biografie. Als Berufsanfänger rieben sich HdM an den herrschenden Strukturen in der Stadt, an zwei alles dominierenden Architekturbüros. Die sicherten sich ihre Aufträge auch über Bekanntschaften im Rotary-Club und andere Seilschaften. Herzog und de Meuron wollten das nie. Also halten sie sich bis heute aus diesem Klüngel raus – und ­haben Mühe damit, ihre Vormachtstellung anzuerkennen.

Doch heute sind sie es, die den Takt in Basel vorgeben. Das zu hinterfragen, muss zulässig sein. HdM hätten es jedenfalls gemacht.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.02.13

Nächster Artikel