Pharmariese Pfizer zahlt 340 Millionen US-Dollar für die Lizenz eines Wirkstoffs, den Forscher an der Uni Basel entdeckt haben. Die Universität begnügt sich mit ein paar Millionen.
Der Champagner blieb im Kühlschrank. Dabei hatte der Pharmariese Pfizer letzten Herbst gerade einen Deal über 340 Millionen US-Dollar abgeschlossen. So viel war Pfizer die Lizenz für einen Wirkstoff gegen eine Blutkrankheit wert, den ein Forschungsteam rund um Professor Beat Ernst an der Uni Basel entdeckt und erforscht hatte. Mit diesem Geld könnte die Uni fast die Hälfte ihres Budgets decken. Doch das Geld fliesst nicht an die Uni, sondern an die amerikanische Start-up-Firma GlycoMimetics. Diese hatte zusammen mit dem Forscherteam der Uni Basel den Wirkstoff «GMI-1070» weiterentwickelt.
Wie viel von diesen 340 Millionen US-Dollar an die Uni Basel fliesst, hält die Universität unter dem Deckel. Die Lizenzvereinbarung sei vertraulich. «Die Vereinbarung enthält Geschäftselemente, an deren Geheimhaltung die Universität und der Vereinbarungspartner ein dringendes Interesse haben», erklärt Verwaltungsdirektor Christoph Tschumi auf Anfrage der TagesWoche. Etwas weniger zugeknöpft gab er sich gegenüber dem Journalisten Patrik Tschudin, der den Fall für die DRS-2-Radiosendung «Kontext» aufgedeckt hatte. Die Uni sei mit einem zweistelligen Millionenbetrag am Pfizer-Deal beteiligt, liess Tschumi sich entlocken.
Auf den ersten Blick scheint der Uni damit ein echter Coup gelungen zu sein. Bewegen sich doch die Lizenzeinnahmen in Durchschnittsjahren um die 200 000, 300 000 Franken. Ein Klacks im Vergleich zum «zweistelligen Millionenbetrag». Dass die Uni den Champanger dennoch im Kühlschrank liess, erklärt sie mit den «sehr hohen Unsicherheiten in dieser frühen Phase». Der Weg sei noch lang, bis der Wirkstoff erfolgreich alle Test durchlaufen habe und die Behörden ein entsprechendes Medikament zulassen würden.
Doch die Basler Entdeckung ist vielversprechend, sonst hätte Pfizer für die Lizenz nicht 340 Millionen US-Dollar springen lassen. Wie in der Branche üblich, gibt es den vollen Betrag erst, wenn der Wirkstoff auch die restlichen Hürden bis zur Zulassung nimmt. Zudem habe GlycoMimetics Anspruch auf Lizenzgebühren auf allfällige Umsätze, erklärt ein Pfizer-Sprecher.
Umsatz in Milliardenhöhe
Dennoch rechnen Pharma-Analysten wie Karl-Heinz Koch von der Broker-Firma Helvea damit, dass sich der Pharmariese Pfizer einen Verkaufsrenner, einen sogenannten Blockbuster, verspricht: «Dieser Wirkstoff hat ein Potenzial von jährlichen Umsätzen in Milliardenhöhe», ist Koch überzeugt. Pfizer scheint nicht nur von den gemäss Beat Ernst phänomenalen Resultaten der Tierversuche beeindruckt zu sein, sondern vor allem auch davon, dass sich das Mittel nicht nur zur Behandlung der in Afrika verbreiteten Blutkrankheit Sichelzellenanämie zu eignen scheint, sondern auch als Mittel bei Infarkten, Rheuma oder Arthritis.
Nach Einschätzungen von Experten, die nicht genannt sein wollen, müsste die Uni deshalb bei einer erfolgreichen Markteinführung an der Lizenz mit einem dreistelligen Millionenbetrag, vor allem aber zusätzlich am Umsatz beteiligt sein. Bei einem Volumen von einer halben Milliarde wäre das wiederum ein zweistelliger Millionenbetrag, und zwar jährlich bis zum Ablauf des Patents. Doch selbst hier hält sich die Uni bedeckt: Sie gibt nicht nur keine Auskunft darüber, wie hoch ihre Beteiligung ist, sie erklärt selbst die Antwort auf die Frage, ob sie überhaupt am Umsatz beteiligt sei, zum Geschäftsgeheimnis.
Aller Geheimhaltung zum Trotz zeichnet sich ab, dass die Uni die potenzielle Perle zum Spottpreis der Privatwirtschaft überlässt und diese den grossen Reibach damit machen kann. Der Unirat, der sich darum kümmern müsste, dass die Hochschule ihre von der Allgemeinheit finanzierten Forschungsergebnisse möglichst teuer weiterverkauft, ist durchsetzt mit Vertretern aus Wirtschaft und Pharma (siehe Seite 10). Diese sind daran interessiert, dass die Industrie Forschungsergebnisse von der Uni möglichst günstig übernehmen kann.
Vischers Doppelrolle
Der ehemalige Regierungsrat Ueli Vischer und heutige Uniratspräsident sitzt gar zugleich im Verwaltungsrat der Firma Biomedinvest. Diese investiert nach eigenen Angaben 250 Millionen Franken von Anlegern in gut drei Dutzend verschiedenen Start-up-Firmen der Life-Sciences-Branche. Als Verwaltungsrat der Biomedinvest ist Vischer an einer möglichst hohen Rendite dieser Life-Sciences-Firmen interessiert, also auch daran, dass diese möglichst günstig zu Forschungsergebnissen kommen.
Doch die Verstrickung geht noch weiter: Tatsächlich steckt Biomedinvest in mindestens ein Start-up-Unternehmen Geld, das aus der Uni Basel hervorgegangen ist. Vischer sieht dennoch keinen Interessenskonflikt in seiner Doppelrolle: Die Universität habe von den Trägerkantonen unter anderem den Auftrag, «Spin-offs zu produzieren, welche in der regionalen Wirtschaft einen Mehrwert erzielen sollen». Diese müssten finanziert werden, und dazu wiederum seien Kapitalgeber wie die Biomedinvest da – im Interesse der Universität und der Region. «Die Biomedinvest hat mit der Universität Basel direkt nichts zu tun», sagt Ueli Vischer.
Für den an der Uni Basel in der Grundlagenforschung tätigen Biologen Jose Xavier Girau ist Vischers möglicher Interessenkonflikt Teil eines grös-seren Problems. Der SP-Gesundheitsexperte hat eine klare Forderung: «Im Universitätsrat dürfen keine Personen aus der Wirtschaft vertreten sein.» Diese hätten mehr ihre Klientelinteressen im Blickpunkt als eine freie unabhängige Universität.
Bezahlte Lehrstühle
Die Wirtschaftsnähe des Unirats spiegelt sich in der Strategie der Uni. «Wir müssen raus aus dem Elfenbeinturm und rein in die Gesellschaft», hat Rektor Antonio Loprieno das neue Leitbild zusammengefasst – wobei er unter Gesellschaft vor allem die nach gratis ausgebildeten Talenten und günstigen Innovationen verlangende Wirtschaft zu meinen scheint. So lässt sich die Uni immer mehr Lehrstühle von grossen Unternehmen bezahlen. Die Uni vergrössert ihr Angebot, ohne etwas dafür tun zu müssen. Novartis, Roche, Synthes, Endress+Hauser – die Liste der Konzerne ist lang, die sich auf diese Art in den Basler Lehr- und Forschungsbetrieb eingekauft haben. Eine umfassende Studie zum Thema Sponsoring der Uni findet sich beim Wissenschaftsjournalisten Marcel Hänggi.
Die Basler Biomechanik-Professur von Bert Müller wurde vom Industriellen Thomas Straumann bezahlt. Die Firma Straumann ist einer der grossen Player in der Medizinaltechnik. Dieses Geld allerdings darf Müller nur für die Forschung verwenden.
Das bedeutet, dass seine tägliche Arbeit zu keinem kleinen Teil darin besteht, Geld aufzutreiben. Knapp ein Drittel seines Budgets steuert die Wirtschaft nach Gutdünken bei. Müller arbeitet eng mit Unternehmen zusammen. Eben hat eine Firma einen künstlichen Schliessmuskel auf den Markt gebracht, sein Team hat die Entwicklungsarbeit geleistet. Die Kooperationen haben ihre guten Seiten, meint Müller: «Angewandte Forschung ist ein ganz wichtiges Element, um innovativ zu bleiben.»
Planungssicherheit hat er aber so kaum. Seinen Mitarbeitern, seinem Backoffice kann er immer nur befristete Verträge ausstellen. «Das ist eine Belastung», sagt Müller.
Auch in der Forschung und Entwicklung werden ihm Grenzen gesetzt. «Verliert eine Firma das Interesse an einem Produkt, werden die Mittel von heute auf morgen gestrichen, auch wenn wir vom Potenzial des Produkts überzeugt sind.» Das Positive an den Partnerschaften sei, dass Studenten Industriekontakte knüpfen können und lernen, marktorientiert zu arbeiten. Dennoch wünscht sich Müller mehr Sponsorengelder, die nicht an Auflagen geknüpft sind – und mehr öffentliche Beiträge: «Ich bekomme praktisch kein Geld von der Uni Basel.»
Vor allem in der Forschung fehlen der Uni die Mittel, den Ausbau zu finanzieren, den sie anstrebt. Also springt die Wirtschaft ein: In der Schweiz betreibt nur die Zürcher ETH mehr Auftragsforschung als die Uni Basel. Der kritische Forscher Girau sieht hier gröbere Schwierigkeiten: «Die Uni Basel schafft dank der Privatmittel immer neue Forschungsgruppen und gerät dadurch in eine massive Abhängigkeit von den Geldgebern.» Weil das Geld aber nur dorthin fliesst, wo die Industrie profitieren kann, bleiben die anderen Bereiche zurück. «Es gibt an mehreren Instituten riesige Lücken im Unterbau», hat Girau festgestellt. Die Arbeitslast für die «Wasserträger», die Zudiener und Helfer habe gravierende Ausmasse angenommen. «Die Leute gehen kaputt», sagt Girau.
Das Erstzugriffsrecht von Novartis
Die Pharmaindustrie nimmt, die Uni gibt. Das lässt sich am Friedrich Miescher Institut (FMI) beobachten, einem von der Novartis finanzierten biomedizinischen Forschungslabor. Die Uni Basel hat kürzlich die Zusammenarbeit intensiviert, das FMI gilt nun als affiliertes Institut. Basler Studenten können dort ihre Masterarbeit schreiben oder als Postdocs forschen. Sie können unter der lenkenden Hand von Novartis Erfahrungen mit den neusten Verfahren der Industrie sammeln und ihre Karrierechancen aufbessern. Doch was immer sich von ihrer Arbeit verwerten lässt – Novartis hat das Erstzugriffsrecht. Die hehren Grundsätze der Uni Basel, die eine Bevorteilung einzelner Unternehmen ausschliessen sollen, sind hier ausser Kraft. «Das Institut gehört der Novartis und ist damit nicht an die Regeln der Universität gebunden», begründet Beat Münch, Adjunkt des Rektors. Girau sagt: «Das ist ein Unding. Die Uni muss ihren Anteil bekommen.»
Der Zugriff der Industrie auf Ressourcen und Ruf der Uni erfolgt auf allen Ebenen, gerne auch dort, wo er von aussen nicht sichtbar ist. Hochproblematisch ist das bei der Medizin, wo die Pharma ein grosses natürliches Interesse an einer engen, fruchtbaren Verbindung hat – nur schon, wenn sie klinische Studien zu neuen Medikamenten in Auftrag gibt. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) ist daran, ihre Richtlinien für die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und der Industrie zu verschärfen.
«Es gibt eine ganze Generation, die es als Selbstverständlichkeit erachtet, sich von der Industrie einspannen, bezahlen und beschenken zu lassen», sagt Hermann Amstad, Generalsekretär der SAMW. Mit den neuen Regeln will man verhindern, dass der medizinische Nachwuchs die gleiche Mentalität entwickelt. So fordert die SAMW die Fakultäten auf, Kontakte zwischen Medizinstudierenden und Unternehmen zu unterbinden – ein Dauerthema in den Bildungsinstituten. So habe es etwa den Fall gegeben, dass am Morgen in einem Schweizer Hörsaal plötzlich an jedem Platz ein gesponsertes Stethoskop lag.
Zu viele ungute Tendenzen
Verschärft werden die Richtlinien auch bei den Schweizer Ökonomen. Im Zusammenhang mit der Bankenregulierung wurde eine Häufung an zweifelhaften Auftragsgutachten festgestellt. Der Diskurs um das Verhältnis der Hochschulen zur Wirtschaft wird virulenter. Die Schweizerische Akademie der Wissenschaften wird eine grosse Tagung dazu abhalten. Zu viele ungute Tendenzen zeigen sich und immer drängender wird die Frage nach der Autonomie der von Steuermitteln bezahlten Professoren – auch an der Uni Basel steuert die öffentliche Hand 80 Prozent der Mittel bei.
Für Biologe Girau liesse sich das Problem einfach beheben: Er fordert, dass die Uni Basel ihre Wissenschaftler dazu verpflichtet, alle Interessensbindungen detailliert offenzulegen. Sämtliche Studien sollen öffentlich publiziert werden – auch Auftragsarbeiten. So verschwinden keine Ergebnisse in der Schublade oder werden erst Monate später publiziert, wenn das Interesse erloschen ist. Was an deutschen Unis, wie der Uni Hamburg, ein vertraglich festgehaltener Standard ist, steht in Basel noch nicht einmal zur Diskussion.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.06.12