Post setzt auf externen Velokurier mit Uber-Prinzip

Die Post will Filialen schliessen und Stellen abbauen und trotzdem ihren Service an der Haustüre ausbauen. Dafür testet sie einen Logistik-Anbieter, der nach dem Uber-Prinzip die Kurierwelt erobern will. Problem: Die Ware ist versichert – die Velofahrer nicht.

Die Post setzt verstärkt auf einen externen Kurier-Partner, der nach dem Uber-Prinzip funktioniert – die Kuriere sind weder angestellt noch versichert.

(Bild: Alamy/Montage: Nils Fisch)

Die Post will Filialen schliessen und Stellen abbauen und trotzdem ihren Service an der Haustüre ausbauen. Dafür testet sie einen Logistik-Anbieter, der nach dem Uber-Prinzip die Kurierwelt erobern will. Problem: Die Ware ist versichert – die Velofahrer nicht.

Im Grunde wolle das der Kunde: Bis 2020 sollen rund 600 Postfilialen geschlossen werden, darunter auch die Basler Hauptpost, 1200 Arbeitsplätze sind gefährdet. Und die Post begründet die Ab- und Umbaupläne offiziell so: Der Kunde stelle neue Forderungen an den Service Public, deshalb wolle man sich rüsten.

Der Abbau von eigenem Personal geschieht nicht etwa, weil es kein Personal mehr bräuchte. Wie Recherchen der TagesWoche zeigen, setzt die Post auch weiterhin auf Personal – aber auf externe, günstige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Outsourcing auf Kosten der eigenen Angestellten.

Darauf deuten jedenfalls die Tests hin, welche die Post derzeit mit einem externen Partner durchführt.

Mit Start-up auf neuen Wegen 

Um den Unmut über die neue Streichrunde bei der Post zu mildern, versicherte Konzernchefin Susanne Ruoff Ende Oktober im Interview mit «10vor10»: «Man kann mit gutem Gewissen sagen, die Post hat schon immer und wird auch in Zukunft immer gute und sozialverträgliche Lösungen für ihr Personal finden.»

Im gleichen Interview sprach Ruoff auch von den Chancen neuer Services der Post: «Man will heute, dass sofort, flexibel und ortsunabhängig geliefert wird – wir können die Dienstleistung dazu anbieten.» Ruoff sprach vom Ausbau des Hausservice mit einem Netzwerk aus Partnerbetrieben. Und Ruoff fügte an, man solle die Situation doch mal in der Breite betrachten und nicht nur auf Post-Filialen fokussieren.

«Als Nummer eins in der Logistik mit klassischer Herangehensweise sind wir interessiert am Know-how von Start-ups, die unkonventionelle Lösungen suchen.»
Postsprecher Oliver Flüeler

Nebst publikumswirksamen Experimenten mit Robotern und Drohnen hat die Post seit dem Frühjahr 2016 in Bern ein konkretes Projekt mit einem Hauslieferdienst am Laufen. Die Kunden können auf der Shopping-Plattform Kaloka bei vielen kleinen Innenstadt-Lädeli online einkaufen und sich die Ware nach Hause liefern lassen. Der ausführende Kurierpartner der Post ist die Notime AG.

Das Start-up mit Sitz in Zürich verspricht neue Lösungen für Same-Day-Delivery, also die Auslieferung noch am selben Tag der Bestellung. Für die Feinverteilung in den Städten setzt Notime, passend zu ihrer Brand-Farbe Grün, auf Velos. Trotzdem sieht sich die Firma nicht als klassischer Velokurier.

In Abwesenheit von Co-Firmengründer und Medienverantwortlichen Philipp Antoni erklärt Flurin Hess, Head of Business Development bei Notime: «Wir sind in erster Linie eine Technologiefirma, deren Mitarbeiter sich vor allem mit Algorithmen und künstlicher Intelligenz befassen. Darum gehen wir die problematische letzte Meile anders an als bisherige Logistik-Unternehmen und finden für mittlere bis grosse Firmen flexiblere Lieferlösungen als die Post.» 

Mit der wohlklingenden Kampfansage weckte Notime das Interesse des Branchenleaders. «Als Nummer eins in der Logistik mit klassischer Herangehensweise sind wir interessiert am Know-how von Start-ups, die unkonventionelle Lösungen suchen», sagt Post-Mediensprecher Oliver Flüeler.

Ein Uber für Velokuriere 

Wie gut das funktioniert? Zahlen zu Kaloka in Bern will Flüeler keine nennen. Doch die Post zeigt sich durchaus zufrieden. «Wir haben das Pilotprojekt gerade um ein Jahr verlängert und werden nächstes Jahr eine weitere Stadt aufschalten. Nun sind wir gespannt auf die Zahlen des Weihnachtsgeschäftes. Davon erhoffen wir uns noch mehr Information zu den Kundenwünschen», sagt Flüeler.

Eine Verkaufs-Plattform wie Kaloka ist für ein Unternehmen wie die Post perfekt, da Bestellungen, Inkasso und Lieferung über sie läuft. Doch dafür braucht das Staatsunternehmen Partner für die Expresslieferungen, die auch zu ausserordentlichen Zeiten wie an Feiertagen, in der Nacht oder an den Wochenenden arbeiten. Flüeler: «Wir können den vom Kunden geforderten 24-Stunden-Express-Service unmöglich mit eigenen Mitarbeitern auf Piket abdecken, und an Sonntagen dürfen wir gemäss Seco gar nicht liefern.»

Mit Partnern geht so einiges, was im Staatsbetrieb nicht möglich ist. So schickt Notime seine Fahrer ohne Unfallversicherung auf die Strasse. Wie beim Fahrdienst Uber gelten die Kuriere, die für Notime fahren, nicht als Angestellte. Das Uber-Prinzip, einfach für Kuriere.

Kunden müssen sich derweil keine materiellen Sorgen machen: Die Waren, und falls benötigt auch das Notime-Leihfahrzeug, die sind versichert.

Auf der Notime-Homepage lockt das Anwerbe-Video für Fahrer zu munterer Musik mit: «Hey! Hast du Zeit, willst du dich mehr bewegen oder Geld verdienen?» Egal, ob mit Auto, Scooter, Velo oder sogar dem Bürostuhl – «Einfach so wie es dir Spass macht!»

So locker und cool wie die Aufgabe wird auch das Angestelltenverhältnis beschrieben. «Du musst dich nicht mit uns verheiraten …» Nur registrieren, treffen, App runterladen und den Vertrag unterschreiben.

Wer sich bewirbt, wird zu einem ersten Online-Lernmodul eingeladen. Das meiste darin klingt ähnlich wie bei den meisten Velokurieren. Nur, dass man als Selbstständiger arbeitet. Dass man dafür eine eigene Haftpflicht- und Unfallversicherung abschliessen sollte, wird noch mit einer lustigen «Boom»-Sprechblase untermalt. Kunden müssen sich derweil keine materiellen Sorgen machen: Die Waren, und falls benötigt auch das Notime-Leihfahrzeug, die sind versichert.

Sozialverträglichkeit? Realitätsfremd

Die Nachfrage, ob ein derartiger Partner zulässig ist für einen Staatsbetrieb, der sich soziale Anstellungsbedingungen auf die Fahne schreibt, bezeichnet Mediensprecher Flüeler als realitätsfremd: «Mit unseren Partnern vereinbaren wir klare Bedingungen und Leistungen. Wir können einer eigenständigen Firma aber nicht vorschreiben, wie sie ihre Mitarbeiter entlöhnt und anstellt.»

Die Post wolle auch in Zukunft die Nummer eins in der Logistik und im Zahlungsverkehr bleiben. Darum könne man nicht zuwarten, bis ein anderer Anbieter mit einem neuen Produkt kommt. Flüeler: «Soll die Post auf marktgefragte Lösungen der Zukunft verzichten und dafür in Schönheit sterben? Davon haben unsere Angestellten auch nichts.»

Der Post sei daran gelegen, Arbeitsplätze zu sichern und sie sei bekannt für ihren fortschrittlichen GAV. «Wir nehmen unsere soziale Verantwortung wahr und wehren uns gegen Lohndumping.»

Niemand will ein Lohndumper sein

Lohndumping will auch Notime nicht – laut eigenen Angaben. Die Fahrer von Notime erhalten gemäss Information von der Website einen Stundenlohn von 22.50 Franken plus Umsatzbeteiligung, je nach Auftragsvolumen. Da sind dann ungefähr 25 Franken, wie Co-Firmengründer Philip Antoni gegenüber der «Schweiz am Sonntag» sagte. Das sei mehr, als ein Velokurier in der Stadt Zürich verdiene. 

Kuriere sind nirgendwo Grossverdiener. Die Löhne variieren bei den angefragten Kurierbetrieben in Zürich, Basel und Bern, die denselben Hausliefer-Service für Online-Bestellungen anbieten wie Notime. Der grosse Unterschied: Bei allen Diensten sind die Fahrer angestellt und versichert. Auch die Fahrer, die nur eine Schicht pro Woche fahren.

Ohne Versicherung unterwegs – und dann verdient ein Kurier-Uber-Fahrer unter dem Strich auch noch schlechter als ein klassischer Velokurier.

Bei Siroop, einem ähnlichen Online-Portal wie Kaloka, das von der Swisscom und Coop betrieben wird, kutschiert in Zürich das «Rikscha-Taxi» die Waren nach Hause. Rikscha-Taxi-Fahrer verdienen 30 Franken die Stunde. Beim Hauslieferdienst «zürichathome.ch» vom Flash Kurier verdienen die Fahrer nach Umsatz. Läuft es gut, bewegt sich der Lohn um die 30 Franken, wenns sehr gut läuft sogar darüber. Nur bei totaler Flaute sinkt der Lohn womöglich auch mal unter 25 Franken pro Stunde.

Bei Notime hingegen müsste nach Sozialabzügen, Unfallversicherung, Taggeld und so weiter eine gewaltige Umsatz-Beteiligung auf den Stundenlohn dazukommen, damit Fahrer lohnmässig mit den traditionellen Velokurieren mithalten können. Kommt hinzu: Eine angefragte Versicherung meldete erstens Zweifel an der von Notime behaupteten «Selbstständigkeit» der Fahrer an – und sagte, eine Taggeldversicherung für Unfall sei, wenn überhaupt, dann nur «zu hohen Spezialpreisen» abschliessbar. Somit verdient ein Kurier-Uber-Fahrer nebst fehlendem Versicherungsschutz auch noch schlechter als ein klassischer Velokurier.

Notime-Fahrer auch in Basel

Den Uber-Vergleich hört Flurin Hess nicht gerne, obwohl Co-Firmengründer Philip Antoni gegenüber dem Finanzportal «Moneycab» sagte: «Notime hat am Anfang an der Idee gearbeitet, ein ‹Uber für Pakete› zu werden.»

Flurin Hess relativiert die Aussage seines Chefs: «Die Parallele zu Uber besteht für uns vor allem darin, alle Abläufe technologisch zu optimieren. Bei den ethischen Fragen zum Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer grenzen wir uns klar ab.» Die Frage der Unfallversicherung sei jedenfalls aktuell ein Thema beim Start-up. «Auch weil sich grosse Kunden dies ideologisch oder ethisch nicht erlauben können.»

Grosskunden gewinnt Notime derzeit einige. In Basel etwa schickt die Firma für das Shopping-Portal brack.ch Velofahrer auf die Strasse. Zu den Grosskunden, die dem Kurierdienst «ideologisch oder ethisch» gewissen Druck machen, scheint die Post jedoch nicht zu gehören.

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