Mein Kinderwunsch nimmt ab und zu. Ab und zu ab und ab und zu zu. Über die Festtage hat er wieder abgenommen. Denn da gaben Kinder den Ton an. Kaum ein Fest, an dem früher noch geraucht, gesoffen und proletet wurde, das nicht zum Kindergeburtstag mutiert ist. Denn Kinder haben jeden Tag Geburtstag, während ihre Eltern täglich zehn Tode sterben.
Kinder sind narzisstische Psychopathen, die sich als Mittelpunkt des Universums sehen. Das kleine Subjekt degradiert den Erwachsenen zum Objekt und knechtet es mit eiserner Faust. Das Objekt wird zum Zulieferer und Bewunderer degradiert. Oder zum Klettergerüst.
Einige Eltern werden mir zustimmen, weil ich recht habe, andere werden mich für diese Zeilen hassen, weil ich recht habe. Ok, «narzisstische Psychopathen» ist ein bisschen hart. Wie wärs mit «sadistische Neurotiker»? Denn natürlich kann auch mit Kindern noch geraucht, gesoffen und gejohlt werden. Halt einfach nur bis zehn Uhr abends und mit Unterbrechungen im Minutentakt zwecks Beklatschung eines grenzdebilen «Kunststücks», eines wackeligen Satzes oder eines falsch ausgesprochenen Wortes.
Da gibt es dann Sachen zu hören wie: «Es heisst ‹Fuchs›, Gian, mit ‹chs›, nicht ‹z›.» Im Kopf von Onkel Knackeboul entsteht das Bild einer Höhle im Wald, wo viele Vaginas gemütlich zusammenhocken. Und das Grosi fragt sich, ob ihr komischer Enkel aus der Stadt Haschisch spritzt, dass er immer so unangebracht losprustet.
Wenn ihr Menschen als Hüpfburg benutzt, dann beachtet bitte, dass sie Geschlechtsteile haben.
Dabei mag ich Kinder. Bin ja selbst noch eins. Das ist ein Skill und ein Schaden. Skill, weil ich gut mit Kindern kann und in meinem Metier als was auch immer oft Grenzen sprenge, wo andere eine erwachsene Vorsicht an den Tag legen. Schaden, weil ich ein ganzes Weihnachtsessen lang Mineralwasser über den Tisch pruste, weil ein dreijähriges Kind aus Versehen «Scheide» gesagt hat.
Mit Kindern teile ich die Faszination für das Repetitive, das Stupide, den Loop. Ich kann zum Beispiel mit der zweijährigen Maya stundenlang einen mikroskopisch kleinen Teil eines Taschentuchs auf den Boden schweben lassen und finds nach dem 77. Mal immer noch mindestens so lustig wie sie.
Oder den Hang zu psychotischen Fantastereien. Gian und ich waren uns sofort einig, dass wir, wenn wir uns ein Kissen über den Kopf stülpen und so einen riesigen Hut tragen und dazu Handschuhe anziehen, dass wir dann ein Fuchs (mit «chs») sind. Dreieckiger Hut, Handschuhe – typisch Fuchs. Ich mag also Kinder und will mir selbst mal zwei, drei zutun, aber ich mag eben auch ihre Eltern und den Weltfrieden. Deshalb erlaube ich mir zum Jahresbeginn sechs Bitten an alle kleinen Kinder:
1. Wenn ihr das nächste Mal jemanden als Hüpfburg benutzt, dann beachtet bitte, dass Menschen Geschlechtsteile haben. Wenn ihr Sprünge über mehr als einen halben Meter plant, dann bitte auf die Bauchregion zielen (und Tritte ins Gesicht, wenns geht, nur in Ausnahmefällen).
Weinen und schreien zu Übungszwecken oder aus reiner Bosheit solltet ihr unterlassen.
2. Esst euer verdammtes Glace auf! Ich glaube, ihr verwechselt die Nahrungsaufnahme mit einer Performance, welche die Vergänglichkeit des Lebens und die hässlichen Spuren, die es hinterlässt, darstellen soll. Wenn ich eine solche Performance sehen will, gehe ich an eine Präsentation der Studierenden von «Musik und Medienkunst» an der Hochschule der Künste Bern und nicht mit euch Rackern in den Zürcher Zoo.
3. Ich bewundere euren Sinn für Freiheit und eure Naturverbundenheit, aber manchmal, wenn es zum Beispiel minus 30 Grad ist und Chatze haglet, kann man durchaus die Jacke dem Tütü vorziehen. Eure Eltern meinen es gut mit euch. Sie wollen euch keine Zwangsjacke anziehen. Bitte verzichtet unter solchen Umständen auf Zetermordio.
4. Hört auf mit diesem Gewimmer und Gelärme! Hier legitime Gründe zum Weinen und Schreien: Ihr seid mit eurem Velöli in hohem Tempo Gesicht voran auf einem Kiesweg gelandet. Ihr habt beim Sprung vom Kajütenbett erst in der Luft gemerkt, dass ihr nicht Superman seid, obwohl ihr euch ein Cape aus einem Badetuch gemacht habt. Eure Eltern lassen sich scheiden, und ihr müsst fortan bei dem Teil wohnen, das ihr weniger mögt.
Weinen und schreien zu Übungszwecken oder aus reiner Bosheit solltet ihr hingegen unterlassen. Da ist man mit euch kreuz und quer durch den Zoo gepilgert und dann hat es nur noch Äberi-Glace und kein Himbeeli. Das ist kein Grund für Gezeter! Ehrliches Weinen und Schreien ist ok. Aber dieses überdramatische herausgepresste Geheule: Nein!
Mein Gesichtsausdruck will euch mitteilen, dass ihr aufhören sollt, bevor eure Eltern realisieren, was für Monster ihr seid.
5. Macht nicht alles Schöne kaputt. Hämmert nicht mit euren Fäusten auf Klavieren herum oder auf antiken Gemälden oder dem Gesicht meiner Freundin. Auch nicht auf meinem Mischpult oder meinem Loopgerät. Es wird nicht besser, wenn ihr heftiger darauf herumhämmert oder lauter schreit. Mein verzweifelter Gesichtsausdruck will euch mitteilen, dass ihr aufhören sollt, bevor ich es laut sagen muss und eure Eltern realisieren, welch missratene Monster sie auf die Welt gesetzt haben.
6. Putzt eure gruusigen Schnudernasen! Was habt ihr eigentlich in eurem Kopf? Das sind ja mindestens drei Tonnen Schleim pro Stunde, die aus euch rausfliessen und die ihr sporadisch mit der Zungenspitze einem Geschmackstest unterzieht. Oder dann dieses Hochschnürfeln wie eine Horde verkokster Seekühe. Wobei das immerhin noch besser ist, als diesen Schlamassel einfach stehen zu lassen und mich vollzulabern, während euch der Schnuder-Nil vom Zinggen ins Fressloch trieft. Putzt euch das weg!
Dies mein Appell an euch Kinder, die ihr (noch) nicht lesen könnt, die ihr euch einen Scheiss dafür interessiert, was irgendjemand ausserhalb eurer selbst sagt, die ihr gerade damit beschäftigt seid, mit eurem Brei-Löffel Kerben in meinen edlen Holztisch zu hauen. Vielleicht können wenigstens eure Eltern ein wenig über euch lachen. Oder über sich. Oder über mich.