In der Schweiz gibt es hunderte verschiedener Kirschensorten. Als Tafelkirschen werden in der Regel aber nur ein paar wenige grosse Arten angeboten. Dabei hätten die alten Sorten einiges zu bieten.
Gross, glänzend, knackig: So liegen die Kirschen im Moment zuhauf in den Gestellen der Grossverteiler. Schwarz oder rot ist dabei die Frage. Denn Kirschen sind Kirschen, denken viele. Wirklich? Die Vielfalt der Kirschensorten ist eigentlich riesig, bloss weiss fast niemand mehr darum.
In der Schweiz gibt es immer noch hunderte von verschiedenen Kirschenarten, die für die traditionellen Anbaugebiete typisch sind. Frits Brunner vom Verein Edelchrüsler zählt einige der alten Basler Sorten auf – die Namen tönen wie eine Verheissung: Basler Adler, Sauerhäner, Basler Langstieler, Rote Lauber, Späte Basler, Schüracher, Erstfrühe, Zweitfrühe, Rosmarin, Ovale Frühe Herzkirsche, Försterkirsche, Braune Herzkirsche, Grünstieler, Weisse Herzkirsche, Mathisler, Guggerchirsi, Hänsi, Rotstieler und andere mehr.
Der Verein Edelchrüsler mit Sitz in Böckten setzt sich für die Erhaltung alter Obstsorten in der Region Basel ein. Der Basellandschaftlichen Natur- und Vogelschutzverband, Pro Natura Baselland und der heutige Baselbieter Obstverband hatten die Vereinigung 1997 gemeinsam gegründet.
Harte und grosse Kirschen verlangt
Heute gehe es nur ums Aussehen und die Transportfähigkeit sowie das «Shell-Life», sagt Frits Brunner. Die Annahmestellen würden nur noch harte Kirschen ab einer vorgeschriebenen Grösse akzeptieren. Da haben es die alten Kirschensorten nicht leicht. Die meisten von ihnen sind genau das Gegenteil: Klein, weich und oft nur bedingt haltbar.
Die marktüblichen Sorten wachsen zumeist auf Niederstammplantagen. Diese grossen, festen Kirschen sind sehr witterungsanfällig und platzen schnell auf. Sie können deshalb praktisch nur auf Niederstammbäumen unter einer Plastikabdeckung produziert werden. Die alten Sorten hingegen wachsen meistens auf den schwieriger zu bearbeitenden Hochstämmern.
Kein Interesse bei Grossverteilern
Coop und Migros geben in den Regalen keine Sortenbezeichnungen an. «Herkunft Schweiz» muss als Kundeninformation genügen. Bei den Grossverteilern spielen die speziellen alten Sorten keine Rolle. Coop-Mediensprecher Ramon Gander sagt: «Für die meisten Kunden scheint vor allem der Durchmesser der Kirschen das relevante Unterscheidungsmerkmal zu sein.» Auch Monika Weibel, Mediensprecherin der Migros, bestätigt, dass bei den Kunden vor allem die grossen Sorten beliebt seien.
Für Thomas Schwizer vom Steinobstzentrum Breitenhof Wintersingen steht fest, dass die alten Sorten eine gewisse Grösse aufweisen müssen, wenn sie als Tafelkirschen auf dem Markt eine Chance haben wollen. Als wichtigen Aspekt der Hochstämmerkirschen erachtet er deren genetisches Potenzial.
Spezieller Geschmack
Die alten Sorten hätten in der Regel aber viel mehr Geschmack als die neuen, transportfesten, glänzenden Tafelkirschen, meint Frits Brunner. Jede Sorte sei speziell und typisch für eine ganz bestimmte Landschaft oder Verwertungsart. Grossartig schmecke zum Beispiel eine Chirsiwähe mit Grüenstieler. Reif eingefroren würden diese über mehrere Jahre ihren köstlichen Geschmack beibehalten: «Ich verwende nie Zucker bei Fruchtwähen. Wenn die Früchte den Zucker und den Geschmack nicht selber bringen, dann nützt alles nichts.»
Wer einmal erlebt habe, wie eine Chirsiwäiä mit dieser Sorte schmecke, werde es nicht mehr darunter machen wollen. Es sei ein Glück, dass es noch Bauern gebe, welche diese alten Kirschensorten auf den Hochstämmern pflegen, ernten und auch verkaufen.
Ältere Leute kennen sie noch
Einer dieser Landwirte ist Martin Meier aus Diegten. Auf seinen Wiesen hegt und pflegt er rund 70 Kirschen-Hochstammbäume mit diversen alten Basler Sorten: Schauenburger, Gelterkinder, Muttenzer Suurhähner und andere mehr. Es gebe schon Konsumenten, welche ganz gezielt nach diesen speziellen Kirschen fragen würden, sagt Martin Meier. Vor allem den älteren Leuten seien die alten Sorten noch ein Begriff.
Er selber findet auch, dass die Hochstämmer-Kirschen vom Geschmack her besser seien. Ob die traditionellen Sorten aber auch wirklich eine Zukunft haben, ist für Martin Meier ungewiss. Er selber glaubt, dass wohl noch mehr alte Hochstämmer verschwinden werden. Auf den Höfen gebe es immer weniger Leute, so fehle zunehmend die Zeit, um sich um die alten Bäume und somit um die alten Kirschensorten genügend zu kümmern.
Eine Kirsche so süss wie Honig
Auf dem Landwirtschaftsbetrieb Drisselhof von Ueli Märki in Oberwil stehen noch rund 200 Hochstammbäume. Jedes Jahr zweit er Bäume mit den alten Sorten, das heisst, er propft von einem alten Baum Zweige auf einen jungen Baum, so dass auf diesem künftig eine der alten Sorten wachsen wird. Zudem pflanzt Ueli Märki jedes Jahr zwei bis drei neue Hochstammbäume. Es gibt Kunden, die extra wegen den alten Sorten auf dem Hof von Märkis vorbeikommen. Die Leute wüssten, dass sich zum Beispiel aus der Frühen Herzkirsche eine sehr gute Konfitüre zubereiten lasse. Als Tafelkirsche sei die Honigkirsche besonders begehrt. Diese honiggelbe Sorte gebe beim Essen kein schwarzes Maul.
«Dönissens Gelbe Knorpelkirsche», so heisst die Honigkirsche mit ihrer Fachbezeichnung, kann in einem guten Jahr ausgesprochen süss werden. Ueli Märki weiss, dass die alten Sorten weniger lang haltbar sind als die üblichen Tafelkirschen. Aber dieser Nachteil halte sich in Grenzen, wenn man die Kirschen bei einem Bauern frisch geerntet kaufen könne.
Paul Imhof, Journalist und Autor mehrerer Bücher (u.a. «Das kulinarische Erbe der Schweiz») hält die alten Kirschensorten eher für Nischenprodukte. «Aber es ist durchaus vorstellbar, dass sich die Leute in Zukunft vermehrt für solche Raritäten interessieren.» Jedenfalls könne man solche traditionellen, geschmacklich sehr variantenreichen Sorten in der Gastronomie, zum Einkochen und fürs Brennen gut gebrauchen. Bei der Verwendung als Tafelkirschen bestehe das Problem, dass sie den heutigen modischen Grössen selten entsprechen. Nicht vergessen sollte man, dass fast alle alten Sorten an Hochstammbäumen wachsen. Diese würden das Landschaftsbild prägen und als ökologische Kleinräume für Pflanzen und Tiere eine wichtige Rolle spielen.