«Rom sollte unabhängige Kontrollen im Kirchenrecht einsetzen»

Trotz Aufbruchstimmung im Vatikan ist der Weg zur Kurienreform steil und steinig. Der Tübinger Theologe Dietmar Mieth, kennt die Baustellen.

Wer bestimmt, wer Bischof wird? Papst Franziskus im Kreise von katholischen Würdenträgern. (Bild: L'OSSERVATORE ROMANO)

Trotz Aufbruchstimmung im Vatikan ist der Weg zur Kurienreform steil und steinig. Der Tübinger Theologe Dietmar Mieth kennt sich aus mit den Lehrbeanstandungsverfahren der römischen Glaubenskongregation hat. Im Interview verrät er die akutellen Baustellen.

Mit Papst Franziskus ist die Hoffnung auf Reformen in die katholischen Kirche zurückgekehrt. Dietmar Mieth, Sie mahnen nun eine Reform des Papstamtes an. Wie wäre ein rundum erneuertes Papstamt zu gestalten «zur Freude des Evangeliums»?

Der Papst hat selbst einige Richtzeichen gesetzt, indem er von mehr Kollegialität, von mehr Kommunikation und Transparenz gesprochen hat. Er sieht, dass das Verhältnis Papstamt-Kurie-Bischofskollegium reformiert werden muss. Wenn man das als Vorhaben ernst nimmt, muss einem klar sein, dass das heisst: mehr Abstimmungen mit den pastoralen Bedürfnissen, mehr Einbeziehen der regionalen Bischofskonferenzen und der Diözesanräte.

Gibt es für ein solches System Vorbilder?

In der Schweiz, in Deutschland und in Österreich gab es synodale Ergebnisse in den 70er-Jahren, die die Adaption des Konzils vorantreiben sollten, aber in Rom schlicht nicht registriert und beantwortet wurden. Kollegialität ohne Einbezug dieser Ergebnisse ist nicht denkbar. Mit blossen Meinungsumfragen und Plebisziten wie sie im Vorfeld der Bischofssynode im kommenden Herbst durchgeführt werden, können die Ergebnisse beispielsweise der Würzburger Synode 1971 und der Schweizer Synode 1972, sowie weiterer Diözesansynoden, nicht ersetzt werden.

Sie nehmen das Bild des Konzils auf, das die Kirche als Kommunikationsgemeinschaft ohne Einbahnstrassen charakterisiert hat. Besteht Nachholbedarf?

Seit dem Konzil sind fünf Jahrzehnte vergangen, in denen über die regionalen Synoden bereits Einiges nach Rom kommuniziert worden ist. Allerdings sind ihre Überlegungen und Vorschläge von der Kurie nicht beantwortet worden. Diese seitens der Kurie verweigerte Kommunikation scheint mir keine Möglichkeit zu sein, wie Kirche gelebt werden kann

«Es kann nicht sein, dass man zwar miteinander redet, aber die Ergebnisse keine Rolle spielen.»

In verschiedenen Bistümern laufen aber doch Dialogprozesse …

Das Stichwort Dialog existiert zwar, aber es werden keine dialogischen Verhältnisse hergestellt. Dialogische Verhältnisse herstellen bedeutet, dass der andere zunächst in seinen Aussagen anerkannt und gewürdigt wird und es einen Raum gibt, in dem ein ergebnisoffener Austausch möglich ist. Man kann nicht von einem Dialog sprechen, wenn das Gespräch von vornherein unter einer gewissen Kuratel steht. Es kann nicht sein, dass man zwar miteinander redet, aber die Ergebnisse keine Rolle spielen, weil sofort wieder die Rubriken, die Hierarchien, einsetzen. Offene Kommunikationsräume sind absolut erforderlich, aber sie sind nicht da.

Papst Franziskus legt offensichtlich eine andere Gesprächskultur an den Tag. So spricht er Klosterfrauen auch schon mal auf den Telefonbeantworter, um ihnen ein gesegnetes neues Jahr zu wünschen.

Ich denke, dass der Papst spontane und von Menschlichkeit gekennzeichnete Gesten setzen kann. Er ist nicht so zurückgezogen und hat keinen so grossen reflexiven Abstand wie sein Vorgänger. Das kommt bei den Menschen gut an. Das ist gut so. Auf der anderen Seite muss er in Sachen Kurienreform Vieles delegieren. Darum hat er die achtköpfige Kardinalsgruppe eingesetzt. Schaut man sich die Besetzung an, denkt man, das ist – salopp ausgedrückt – ein ziemlicher Gemischtwarenladen. Man muss die Hoffnung aber nicht gänzlich aufgeben, denkt man an die reformerischenBemühungen des Vorsitzenden dieser Gruppe, den honduranischen Kardinal Maradiaga. Er will offensichtlich Eckpunkte der nötigen Kurienreform vorantreiben.

Welches wären solche Eckpunkte?

Ein wichtiger Eckpunkt ist eine Verfahrensreform bei der Ernennung von Bischöfen. In dem Zusammenhang sei an die Kölner Erklärung erinnert, in der über 200 Theologieprofessoren bereits vor 25 Jahren eine grössere Beteiligung der Kirche als solche angemahnt haben. Die katholische Kirche besteht eben nicht nur aus dem Domkapitel.

Sie sagen, die päpstliche Rechtsgewalt müsse fundamental neu durchdacht werden. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Eckpunkte dieses neu Buchstabierens der päpstlichen Machtfülle?

Ich denke, Rechtsgrundsätze, die allgemein einsichtig sind und vom gesunden Menschverstand geteilt werden, müssen berücksichtigt werden. Ich sage damit nicht, dass alles dem gesunden Menschenverstand in seiner Allgemeinheit unterworfen werden soll. Ich sage nur, es ist nicht verständlich, wenn beispielsweise innerhalb eines laufenden Verfahrens Kirchengesetze geändert werden. Das ist verschiedentlich bei Bischofsernennungsverfahren etwa vorgekommen. Das heisst, es ist zum Beispiel nicht nachvollziehbar, wenn der Gesetzgeber jederzeit die Möglichkeit hat, das Gesetz auch im Vollzug so zu handhaben, wie er es als letzte Instanz wünscht.

Was schlagen Sie vor?

Es müssen unabhängige berufene Kontrollinstanzen eingebaut werden, die helfen, die Richtigkeit der Verfahren und die letztinstanzlichen kirchlichen Rechtssetzer genau zu überprüfen. Diese Kontrollinstanzen dürfen nicht absolut kuriengebunden sein. Nur so ist zu vermeiden, dass in dem Moment, wo vom Kirchenrecht die Rede ist, der Eindruck entsteht, man bewege sich ausserhalb des Rechtsdenkens und operiere mit intransparenten Verfahren, in denen zum Beispiel den Beteiligten keine Akteneinsicht gewährt wird. Solche Verfahren, die die Kurie bis heute gegen eigenständig denkende Theologinnen und Theologen anstrengt, widersprechen moralischen Überlegungen, an denen sich jedes Recht messen lassen muss. Die Kirche ist bekanntlich mit guten Gründen darauf bedacht, die Leute darauf aufmerksam zu machen, dass hinter dem Recht einsichtige Grundsätze stehen müssen. Ich denke, was für das staatliche Recht geltend gemacht wird, kann die Kirche durchaus auch auf sich selbst anwenden.

«Die Machtfülle des Papstes hat auch ihre guten Seiten.»

Wie könnten unabhängige Kontrollinstanzen für die katholische Kirche aussehen?

Wer Kontrollgewalt abgibt, muss damit nicht gleichzeitig auch Entscheidungsgewalt abtreten, aber er muss einen Vertreter einer unabhängigen Instanz beispielsweise in einem Lehrbeanstandungsverfahren anhören. Das würde bedeuten, dass innerhalb dieser kirchlichen Rechtsinstanzen Menschen sitzen, die sich nicht in kurialer Abhängigkeit befinden.

Wie beurteilen Sie die Durchsetzbarkeit einer Kurienreform der Dezentralisierung, von der Papst Franziskus in seiner Regierungserklärung «Gaudium Evangelii» spricht? Mit Franziskus‘ ist die alte Kuriengarde ja nicht von heute auf morgen verschwunden.

Die Machtfülle des Papstes hat auch ihre guten Seiten. Zwar sollte er die Vorschläge seiner Mitarbeiter, an die er Aufgaben der Kurienreform delegieren muss, durchaus beachten. Auf der anderen Seite hat der Papst die Möglichkeit, sehr strikt in die laufenden Prozesse einzugreifen. Freilich muss er dabei einiges riskieren, denn seine Entscheidungen werden nicht immer von allen goutiert werden. Zudem sind die kurialen Behörden in der Lage, strategisch zu handeln. Der Papst wird also die Wege im Auge behalten müssen, auf denen er die Kurienreform erreichen kann.

Wie ist Ihre persönliche Einschätzung: Hat Franziskus das Zeug, sich gegen die Kurie durchzusetzen?

Ich kann das nur hoffen, aber nicht beurteilen.

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Dietmar Mieth, lehrte bis 2008 theologische Ethik an der Universität Tübingen. Von 1974 bis 1981 war der 73-jährige Professor für Moraltheologie an der Uni Fribourg. Seit 2008 präsidiert Mieth die Meister-Eckhardt-Gesellschaft.

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