Ohne Märchen geht es nicht. Aber mit auch nur bedingt.
Sich in der Welt der Märchen und Sagen auszukennen, gehört hierzulande zur Allgemeinbildung. Viele Anspielungen und Wortspiele gehen an jenen vorbei, die niemals mit Aschenputtel, den sieben Zwergen oder Dornröschen zu tun hatten. Zudem ist es ohne einigermassen fundiertes Wissen in diesem Bereich schwer, ein Fernsehquiz zu gewinnen.
Moderne Eltern kommen aber oftmals an ihre Grenzen, wenn sie ihrem Nachwuchs Grimm- oder Andersen-Märchen vorlesen. Die gesellschaftlichen Regeln von damals passen nicht mehr so ganz in die heutige Zeit, und die handelnden Personen dienen auch nur bedingt als Vorbilder: Brave, auf einen Prinzen wartende Prinzessinnen widersprechen der Gleichberechtigung und böse Stiefmütter der Idee der glücklichen Patchworkfamilie. Und nur, weil man sich einmal geküsst hat, muss man nicht gleich heiraten. Vor allem nicht, wenn eine Partei dabei bewusstlos war – oder einst ein Frosch.
Märchen abzuändern hat Tratition
Wie löst man nun dieses Dilemma? Schliesslich gibt es in Märchen auch Gutes zu entdecken – und eine gute Portion Nervenkitzel; und niemand möchte seinem Kind die Chance nehmen, später einmal sehr viel Geld zu gewinnen. In dieser Hinsicht kann man von Walt Disney viel lernen: Hielt die amerikanische Firma sich in den 1950er-Jahren noch brav an die überlieferten Geschichten, adaptiert sie mittlerweile einfach jene Teile, die heutzutage noch funktionieren. Der Rest wird ergänzt. Dafür braucht es natürlich einiges an Fantasie – oder Vorbereitung.
Märchen abzuändern hat übrigens Tradition: Auch die Brüder Grimm zensierten fleissig, was ihnen zu brutal oder zu erotisch erschien.
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Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 25.10.13