«Sauerteigbrot backen ist Anarchie»

Wollten Sie immer schon einmal Sauerteigbrot backen? Sie sind nicht der einzige, das ist momentan des Hipsters hippste Tätigkeit. Für den Berliner Künstler und Kurator Michael Fesca ist das Fermentieren eine Strategie, um sich dem übermächtigen Wirtschaftssystem zu verweigern. Am Freitag und Samstag hält er einen Workshop dazu.

Ein Stück Arbeit: Sauerteigbrot.

(Bild: imago stock&people)

Michael Fesca, haben Sie heute schon gebacken?
Ja, gerade heute Morgen habe ich ein Brot aus dem Ofen geholt. Ich muss mich vor den Workshops immer ein bisschen einbacken.

Einbacken?

Das Interessante am Sauerteigbacken ist ja, dass es nicht hundertprozentig planbar ist. Der Sauerteig ist ein lebendiges Wesen, dafür muss man ein Gespür entwickeln. Deshalb backe ich mich ein, dann weiss ich, wie ich ihn gerade einschätzen muss.

Eine kleine Diva, der liebe Sauerteig.

Im Prinzip ist der Sauerteig ja ein ganz Einfacher, aus nichts als Mehl und Wasser. Ohne künstliche Backtriebmittel. Darin kultiviert man praktisch die Keime, die man an den eigenen Händen hat. Am besten stellt man das Mehl-Wasser-Gemisch auf eine warme Fensterbank über der Heizung, so dass Milchsäurebakterien und wilde Hefen entstehen.

Die den Teig aufgehen lassen?

Ja, ausserdem enthält ein Sauerteigbrot etwa 200 Geschmackstoffe, deshalb schmeckt es so speziell. Die Bakterien überleben nur, wenn man sie immer wieder mit Stärke füttert, in dem man jeden Morgen Mehl und Wasser dazugibt.

Wenn er nicht aufgeht, kann ich dann Hefe reintun?

Bei einem Sauerteig kann man nicht tricksen. Das war auch der Grund, weshalb Bäcker lange Zeit kaum noch damit gebacken haben, die Teigführung ist recht zeitintensiv. Hefe würde das Problem nur auf Kosten des Geschmacks und der Haltbarkeit des Brotes lösen. Wer ein Sauerteigbrot backen will, fällt aus dem Takt, der erlebt die Zeit anders.

Wie, anders?

Mich interessiert, wie der Mensch Zeit erlebt. Und heute ist das natürlich überwiegend von einem strengen Takt von Uhren bestimmt, die Zeit wird ökonomisch durchgeplant.

Der Wecker klingelt um 6 Uhr, um acht Uhr muss man im Büro sein, um 14 Uhr ist Sitzung… ist das schlimm?

Es führt dazu, dass wir Zeit quantitativ erleben und denken, fünf Minuten seien immer gleich fünf Minuten.

Haben Sie schon mal fünf Minuten erlebt, die sieben Minuten dauerten?

Mir geht es darum, dass Zeit auch durch Stimmungen und Gefühle verändert wird.

Wenn ich in der Nacht wach liege, fühlt sich die Zeit langsam und schwer an, wenn ich aber mit meiner Tochter in der Frühlingssonne sitze, fühlt sie sich kurz und leicht an.

Das geht so weit, dass ich eine Geschichte eines Freundes toll finde, wenn ich beim Zuhören in der Sonne sitze, aber weniger toll, wenn es regnet.

Und wenn Sie backen?

Fermentation bringt den Menschen aus dem Takt, weil der Prozess überhaupt nicht dem entspricht, wie wir normalerweise unsere Zeit planen. Im Alltag habe ich oft weniger als eine Stunde Zeit zum Kochen, also überlege ich mir genau, welches schnelle Menü ich auswähle. Wenn ich einen Kuchen oder ein normales Brot backe, greife ich zu Hefe oder Backpulver, damit ich in kurzer Zeit einen schönen Teig habe.

Und beim Sauerteigbrot?

Wenn ich den Fermentationsprozess in Gang setzte, weiss ich, er braucht mindestens 24 Stunden Zeit, wenn ich schon nach zwei Stunden backe, ist das Brot hart wie Stein. Mir diese Zeit zu nehmen, ist anarchisch.

Ich habe noch nie fermentiert, aber ich habe ein Kind. Das holt einen auch nachts aus dem Bett und verlangt Futter, und doch ist das Kinderhaben nicht mächtig genug, um die Gesellschaft zu verändern. Kann es dann das Sauerteigbrot?

Ich glaube nicht, dass es solche Heilmittel gibt. Die Veränderung besteht aus einem Schritt vor und fünf Schritten zurück. Ich glaube halt, dass eine ungerechte Welt, in der Menschen für andere schuften müssen, auf die Dauer nicht funktionieren kann. Davon werden wir jetzt gerade eingeholt.

Reden Sie von den Menschen, die aus Osteuropa oder Afrika hierher kommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben?

Ja, sie kommen zu unserem Wohlstand, schliesslich haben sie ihn ja mitgeschaffen, während des Kolonialismus, aber auch heute. Menschen in Afrika schuften bis heute dafür, dass wir hier Handys haben.

Oder billige Tomaten und Peperoni, sogar im Winter.

Ich glaube, dass die meisten sich einig sind, dass sich etwas ändern muss, aber es fehlt die Idee, wie das gehen könnte. Ein Ansatz könnte sein, den Fokus vom «wie viel» auf das «was» zu verschieben, von der Quantität zur Qualität. Wir müssen fragen: Wofür schuften wir? Was ist wirklich wichtig? Für was und wen sind unsere ökonomischen und kulturellen Anstrengungen?

Was ist wichtig?

Dass alle Menschen ein halbwegs gutes Leben haben.

Und wenn wir uns einlassen auf solche Prozesse wie Sauerteigbrot backen, wird uns bewusst, was ein gutes Leben ist?

Ja, ich glaube, es geht darum, nicht über Minuten zu reden, sondern darüber, was Zeit besonders macht, was eine Verschiebung oder Färbung unseres Erlebens bewirkt. Zum Beispiel sich die absurde Zeit zu nehmen, ein Brot zu backen.

Wie kommt denn ein Künstler wie Sie zum Sauerteigbrot?

Vor ein paar Jahren erinnerte ich mich an ein Brot aus der Kindheit, das rabenschwarz war, ein riesiger Leib und innen drin schön feucht. Es war würzig und schmackhaft und hat sich tagelang gehalten, und ich formte daraus immer kleine, klebrige Kugeln.

Das Brot wollten Sie wieder haben?

Ja, doch im norddeutschen Raum gibt es das nicht. Und dann sass ich eines Tage in Süddeutschland bei meiner Mutter am Küchentisch und da stand so ein Brot auf dem Tisch, aus einer Bäckerei auf dem Land. Ein Sauerteigbrot aus Weizen, nicht aus Roggensauerteig, wie die meisten Sauerteigbrote in Deutschland. Die stammen heute aus Grossindustriebetrieben.

Und dann fingen Sie selber an zu backen.

Als ich mit 15 Jahren beim Berufsberater war, fragte er: «Was wollen Sie denn werden?» Und ich: «Ja, ich will Künstler werden, aber eigentlich finde ich den Teigprozess, wie man ihn macht und knetet, auch interessant.» Und er sagte: «Ja, kommen Sie mal wieder, wenn Sie wissen, was Sie machen wollen.» Daran habe ich mich erinnert, als ich auf der Suche nach etwas Verlorenem zum Teig zurückgekehrt bin.

Stehen Sie für Ihren gefundenen Teig mitten in der Nacht auf?

Nein, man kann zum Glück den Prozess des Fermentierens verzögern, indem man den Teig in den Kühlschrank stellt, dann geht es langsamer.

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28. April 2017, 17.00 bis 22.00 Uhr/ 29. April 2017, 10.00 bis 13.00 Uhr
Kunst-Workshop «Fermenting time. Brot backen mit Sauerteig».
FoodCultureLab, Oslo-Strasse 10, 4023 Basel
Eintritt frei, anmelden unter ate@kochenundreden.ch

Der Workshop ist Teil der Reihe «About to Eat. Kochen und Essen als ästhetische Praxis» der Hochschule für Gestaltung und Kunst.

PS. Falls Sie selber aus dem Takt fallen wollen, hier finden Sie das Sauerteigbrotrezept der Sauerteigbrotrezepte. Es kommt aus der Kultbäckerei «Tartine» in San Francisco und ist auf Amerikanisch geschrieben.

PPS. Fragen Sie jetzt bitte nicht, wie es ein amerikanischer Bäcker an die Spitze der ursprünglich deutschen Backkunst geschafft hat. Das ist eine andere Geschichte.

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